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Claude Chabrol 2009 mit der Goldenen Berlinale Kamera.

© Mehdi Taamallah/ABACAPRESS.COMnull

Nachruf: Claude Chabrol - das unbestechliche Auge

Sittenbildner, Ironiker, Regisseur der Frauen: Zum Tod des großen französischen Filmemachers Claude Chabrol, der am Sonntag im Alter von 80 Jahren gestorben ist.

Früher steckten seine kleinen, listigen Augen hinter dicken Brillengläsern. Mitte der Neunziger war Schluss damit, der graue Star wurde ihm wegoperiert. Das Eifersuchtsdrama „Die Hölle“ hatte er gewissermaßen noch halbblind gedreht; der erste Film, den er doppelt sehenden Auges realisierte, war „Biester“. Vielleicht ist es deshalb Claude Chabrols freundlichster Thriller geworden und sein unbarmherzigster dazu: Nicht die Bourgeoisie ist darin monströs, sondern es sind die Verhältnisse. Isabelle Huppert und Sandrine Bonnaire spielen zwei Haushälterinnen, die ihre schrecklich nette Herrschaft gnadenlos niedermähen. Aus Scham, denn eine von ihnen ist Analphabetin.

Als „Biester“ 1995 in Venedig uraufgeführt wurde, saß Chabrol lachend auf der Hotelterrasse und erzählte von dem Riesen-Respekt, den er vor seiner Haushälterin hat. Und davon, dass er nicht an Psychologie glaubt, sondern an Pathologie. Er steckte an mit seinem Witz, seinem unbestechlichen Blick auf die Welt. So war es bis zuletzt, als er sich auf der Berlinale 2006 und 2009 auf dem Podium mit seiner Lieblingshauptdarstellerin Isabelle Huppert kabbelte und dem Affen grinsend Zucker gab. Ein alter Hase, ein Meisterdetektiv und Trickbetrüger mit brillanter Sehschärfe und beißendem Esprit, der sich augenzwinkernd als Clown tarnte. Claude Chabrol, einer der letzten großen Regisseure der Nouvelle Vague, ist tot. Erst am 24. Juni war er 80 geworden. Rivette und Resnais sind noch da, auch Jean-Luc Godard, der selber bald 80 wird und dem Filmfest Cannes dieses Jahr eine Flaschenbilderpost schickte. Die anderen nicht mehr, Truffaut und Rohmer, mit denen Chabrol als Kritiker bei den „Cahiers du Cinéma“ anfing (und ein Buch über Hitchcock schrieb), nachdem der Pariser Apothekersohn erst Pharmazie und Literaturwissenschaft studiert hatte, um für den Rest seines Lebens Filme zu drehen. Seit seinem Debüt von 1958, „Die Enttäuschten“, und dem Berlinale-Sieger „Schrei, wenn du kannst“ ein Jahr darauf sind es fast 60 Produktionen fürs Kino und 20 fürs Fernsehen geworden. Ein Workaholic, der das Genre mehr liebte als das Experiment. Ein Genre setzt Grenzen, und es ging ihm ja immer um Gefangene ihrer Klasse, ihres Dünkels, ihrer Benimmregeln, um Menschen unter Druck, um die Druckkammern der Groß- und Kleinbürger, das lässt sich innerhalb eines festen Rahmens besser erzählen. Das Grauen, das in Stilmöbeln und sonnengelben Interieurs nistet oder besser: die Grausamkeit, die in der Sittsamkeit steckt, das war sein Thema. Chabrol, der große Moralist, der Dialektiker der Aufklärung über La France und das alte Europa.

Seine bevorzugte Einstellung: die kühle, manchmal schreckstarre Distanz. Die Kamera entfernt sich und mutet dem Publikum zu, es mit dem Gesehenen fortan allein auszuhalten. Dennoch war sein Blick nie der eines ungerührten Insektenforschers, sondern der „eines Kindes, das Insekten in einem Glaskäfig hält und abwechselnd staunend, erschrocken oder lustvoll die merkwürdigen Verhaltensweisen seiner Tierchen betrachtet“, wie Fassbinder bemerkte. Das gilt für Chabrols frühe moralische Geschichten aus der Pompidou-Ära rund um „Die untreue Frau“ genauso wie für seine späteren Literaturverfilmungen, Psychogramme und pechrabenschwarzen Komödien, bis zu „Geheime Staatsaffären“ von 2006, in der Isabelle Huppert als Staatsanwältin die Erotik der Macht gegen die Strippenzieher der Politik auszuspielen versucht.

Chabrolesk, das ist ein Film mit einer Krimihandlung, in der alles offen zutage liegt und jeder hinters Licht geführt wird, das Publikum eingeschlossen. Chabrolesk, das sind Sujets wie Gier, Lüge, Heuchelei, Eifersucht, Ehebruch und Korruption – die Chabrolschen Todsünden als Phantome des Banalen, wie Helmut Merker im Tagesspiegel schrieb. Chabrolesk sind die Familienclans, die die kleinen Perversionen und großen Schweinereien ihre Mitglieder hinter der Maske der Wohlanständigkeit kaschieren. Chabrolesk sind die Tischszenen, bei denen auf feinem Damast gespiesen und erlesener Wein getrunken wird, während der Regisseur unmerklich die Messer wetzt – im wirklichen Leben war Chabrol ein Gourmet. Chabrolesk, das ist Regie als Intrige: „Das Leben ist ein Spiel“ (1998) sei sein autobiografischster Film, sagte er selbstironisch, zieht darin doch eine verführerische Hochstaplerin ( Huppert) ahnungslosen Leuten unmerklich das Geld aus der Tasche. Auch eine Art, den eigenen Beruf ins Bild zu setzen. Allein die Titel: „Das Biest muss sterben“, „Der Schlachter“, „Blutige Hochzeit“, „Rien ne va plus“, „Die Farbe der Lüge“. Sie zeugen nicht nur von Chabrols Liebe zum Thriller, sie dienen vor allem der Selbststilisierung als Monster-Zoodirektor, als sadistischer Analytiker. Aber es ist ein Täuschungsmanöver: So wie der geistreiche Chabrol sich gern als Clown tarnt, so verbirgt sich hinter dem Richter Gnadenlos ein Anwalt der Frauen. Nicht jeder seiner Filme ist ein Meisterwerk. Chabrol, und davon gibt es leider immer weniger, war auch ein verlässlicher Routinier.

Aber zu dem Schatz, den er hinterlässt, gehören seine Frauenbildnisse, wie es sie im europäischen Kino sonst nur von Bergman und Antonioni gibt. Die wunderbar geheimnisumwitterte Stéphane Audran, mit der er 16 Jahre verheiratet war, in über 20 Filmen. Romy Schneider in „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“. Nathalie Baye als von der Familie hintergangene Karrierefrau in „Die Blume des Bösen“. Marie Trintignant als Trinkerin, in der erschütternden Simenon-Verfilmung „Betty“. Und vor allem Isabelle Huppert, die mürrische, verschlagene, hochmütige, brillante Huppert, dieses so himmlisch irdische Geschöpf, ob als Giftmischerin in „La Violette Nozière“, als Engelmacherin in „Eine Frauensache“, als „Madame Bovary“, Analphabetin, Staatsanwältin oder betrogene Betrügerin. Diesen Frauen galt Chabrols Zuneigung, hier endete seine Koketterie mit dem monströsen Charme der Bourgeoisie. Für die bezwingend Unbezwinglichen, die Unverstandenen, die sich am Ende von einer Männergesellschaft verraten sehen, entwickelte er Solidarität, ja Zärtlichkeit.

Gut, es könnte sein, dass sie eines Tages wie die Hausmädchen in „Biester“ zum Jagdgewehr greifen. Chabrol verurteilt es nicht. Die Rache der Frauen macht ihm vielleicht Angst, aber er kann sie verstehen. Claude Chabrol ist tot, am Sonntag ist er in Paris gestorben. Seine Komplizenschaft wird fehlen im Kino wie sein unbestechlicher Blick.

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