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Endlich hören mir alle zu. Mel Gibson als Spielzeugfabrikant Walter Black, der durch manisch indirektes Reden die Heilung sucht.

© Concorde

Filmkritik: "Der Biber": Wir sind nicht okay

In Jodie Fosters Depressions-Drama "Der Biber" kommuniziert Mel Gibson per Handpuppe. Der Film über gestörte Kommunikation, familiäre Defizite und manisch indirektes Reden betreibt ästhetische Mimikry.

Keine schlechte Idee. Da läuft einer permanent mit seinem Alter Ego herum und lässt es frei von der Leber weg sagen, was er selber nie über die Lippen bekäme. Der Spielzeugfabrikant Walter Black hat sein anderes, freches, schwatzhaftes Ich in einem Müllcontainer gefunden: eine Handpuppe, ein Biber aus Stoff, ein Macho mit prolligem Cockney-Akzent. Eigentlich spricht Walter überhaupt nicht mehr, weder als Boss der Spielzeugfirma, noch als Ehemann und Vater zweier Söhne. Walter ist chronisch depressiv.

Dass Jodie Fosters Film „Der Biber“ – ihre dritte Regie-Arbeit nach „Das Wunderkind Tate“ und „Familienfeste und andere Schwierigkeiten“ – wie ein Boulevardstück mit jovialer Off-Stimme beginnt, ist ein geschicktes Täuschungsmanöver. Walters schwere Krankheit bringt es mit sich, dass er andere für sich sprechen lassen muss. Bis er an den Biber gerät, dem er seine Stimme leiht (oder das Tier umgekehrt ihm, so sieht es der Biber), der ihn therapiert, Super-Geschäftsideen hat und sogar Talkshows mit ihm bestreitet.

Hier verstellen sich alle. Der Off-Erzähler, der Walters bisherige Therapieversuche – Pillen, Yoga, Trommelkurse – als Chronik des grotesken Scheiterns intoniert; noch der Selbstmordversuch endet als Slapstick mit Duschvorhangstange. Mel Gibson, der den Handpuppenspieler mit mürrischer Miene verkörpert, ein raffiniertes Schauspiel im Schauspiel als Vexierbild einer verstörten Identität. Jodie Foster als Walters tapfere Ehefrau, die fröhliche Miene zur verzweifelten Lage zu machen versucht. Walters pubertierender Sohn (Anton Yelchin), der die Marotten des Vaters auf Post-it-Zetteln notiert, um ihm bloß nicht ähnlich zu werden.

Auch seine Freundin (Jennifer Lawrence, die oscarnominierte Newcomerin aus „Winter’s Bone“) macht allen was vor: Das blonde Highschool-Girl leidet ebenfalls unter einer Familientragödie und bringt seinen Schmerz in verbotenen Spray-Aktionen zum Ausdruck. Nur Walters jüngerer Sohn freut sich über seinen wie ausgewechselten Dad, der fortan mit dem Biber joggt, duscht und ihn sogar beim Sex nicht aus der Hand legt.

Die Bilder des in und um New York gedrehten Films spiegeln ein erstarrtes Seelenleben. Der deutsche Kameramann Hagen Bogdanski bewegt sich zunächst ebenso antriebsarm durch die kühlen Interieurs wie Walter. Der Film über gestörte Kommunikation, familiäre Defizite und manisch indirektes Reden betreibt ästhetische Mimikry: Allmählich kommt Bewegung ins Bild. Denn das Alter Ego entpuppt sich als Nervensäge. Der Biber übernimmt die Regie in Walters Leben; der Komplize wird zum Despoten, der Lebensretter zur Lebensbedrohung. Jodie Foster, die sich dazu bekennt, Phasen der Depression auch selbst zu erleben, verharmlost die Krankheit nicht: Walter überlebt den Krieg mit dem Biber nur, indem er einen hohen Preis zahlt. Nein, du bist nicht okay, wir sind alle nicht okay – und manchmal ist Hilfe unmöglich.

Eine heiter vorgetragene, mutige Botschaft für einen US-Mainstreamfilm. Leider bekommen Foster und Drehbuchautor Kyle Killen zuletzt Angst vor der eigenen Courage und fügen eine zweite Hollywood-Weisheit hinzu. Du bist nicht okay, aber du bist auch nicht allein. So einfach ist das mit dem Happy End: Vater und Sohn müssen nur miteinander zu sprechen beginnen. Und Graffitis kann man auch ganz legal auf Betonwände malen. Wenn schon eigensinnige Selbstheilung, dann bitte im Rahmen des Gesetzes.

In 5 Berliner Kinos; OV im CineStar Sony Center, OmU im Odeon

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