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Sean Penn

© ddp

Der Weltverweigerer: Sean Penn verfilmt Aussteiger-Reportage

Zurück zur Natur: Sean Penn hat Jon Krakauers „Into the Wild“ verfilmt. Der Film zeigt die Lebensgeschichte eines Alaska-Reisenden.

War er ein naiver Träumer? Ein fanatischer Spinner? Ein sympathischer Idealist? Die kurze Lebensgeschichte von Chris McCandless, der 1992 mit 24 Jahren auf einem Alaskatrip verhungerte, führt auf viele Fährten. Und kann den, der sich mit den eigensinnigen Wegen dieses Lebensexperimentators beschäftigt, selber dazu verleiten, ihnen nachzugehen – und sich auf Abwege zu begeben. Der amerikanische Journalist Jon Krakauer hat sich, zuerst in einer Reportage, dann in einem eindringlichen Buch mit der Person von McCandless beschäftigt: Sein Tatsachenroman „In die Wildnis“ (Into the Wild, 1996) bildet nun die Grundlage von Sean Penns zweiter Regiearbeit, die am Donnerstag in unseren Kinos anläuft.

Krakauer hat in seinem Buch eine erst imponierende, dann absonderliche und schließlich tragische Lebenskurve verfolgt: Warum spendet ein junger Mann aus sogenanntem guten Hause nach dem Abschluss seines Studiums sein ererbtes Vermögen einer gemeinnützigen Organisation und landet nach einer Reise quer durch den amerikanischen Kontinent in Alaska, um dort, nachdem er in einem alten Bus sein Lager aufgeschlagen und sich einige Monate von mitgebrachtem Reis, erlegten Tieren und gesammelten Pflanzen ernährt hat, schließlich an Unterernährung zu sterben?

Krakauer stellt Chris McCandless – auch unter Rückgriff auf seine eigene Vergangenheit – als Schwärmer und Konsumverweigerer dar, ganz in der Tradition der Sinnsuche in einer von der Zivilisation unberührten Natur, wie es sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt. Schriftsteller wie Henry David Thoreau – sein „Walden oder Leben in den Wäldern“ (1854) wurde zur rousseauistisch angehauchten Aussteigerfibel schlechthin – oder Jack London haben in ihren Werken den Mythos der Selbstreinigungskraft des Menschen in freier Natur beschworen. Immer wieder folgten dem „Ruf der Wildnis“ ausschließlich männliche Jünger. Zu ihnen zählt, wie Krakauer erklärt, in altersgemäß hormongesteuerter Selbstüberschätzun auch Chris McCandless.

In Sean Penns erster Regiearbeit seit der eigenwillig-wuchtigen DürrenmattVerfilmung „Das Versprechen“ (2000) beschränkt sich der Hollywood-Star, der nach eigenen Angaben des Schauspielens müde ist, auf die Biografie des jungen Aussteigers in den neunziger Jahren. Der junge Chris (Emile Hirsch) – ein ferner Nachzügler jener Hippies, die ihr Seelenheil einst in Goa, Matala und anderweitigen irdischen Paradiesen suchten – wirkt aus der Distanz jener fünfzehn Jahre, die den Zuschauer von seinem todesmutigen, todessüchtigen Abenteuer trennen, fast schon wieder archaisch. In Zeiten des globalen Kapitalismus und der Klimakatastrophe klingen Konsumverzicht und Zurück-zur-NaturParolen eher wie naive Strategien, um sich dem kollektiven Postulat „Ich kaufe, also bin ich“ zu verweigern. Dennoch bleibt solche Prinzipientreue ein Faszinosum: Grund genug für den ewig linken amerikanischen Rebellen Sean Penn, die Spätausläufer des Aussteigertums kinematografisch zu erfassen.

Wobei es vielleicht doch eines visionäreren Regisseurs bedurft hätte, um das meditative, grüblerische und im Kern gottessucherische Naturell dieses frühvollendeten Einsiedlers mit den Mitteln des Kinos zu durchdringen. Penns Inszenierung gerät stattdessen, was die imposanten Schauwerte eher listig bestätigen als dementieren, ins überwiegend seichte Fahrwasser der Naturmystik – Landschaftstotalen mal mit, mal ohne Sonnenuntergang im Breitwandformat, wohin das Auge blickt. Großzügig gedeutet, mag allerdings auch noch der weitgehende Verzicht aufs Erzählen als programmatisch durchgehen. Schließlich bleibt schon Krakauers Held Chris, der sich bald Alexander Supertramp nennt, in seinem fast religiösen Wahn schwer greifbar – trotz aller Zeugen und Weggefährten, die der Autor aufgetrieben hatte.

Chris’ Begegnungen, etwa mit einem gealterten Hippiepaar, einer Gruppe von Erntehelfern, dänischen FKK-Anhängern und einem Ex-Soldaten bleiben flüchtig, und die Kamera hält Distanz. Biografische Motive für seine Suche werden in körnig-blassen Home-Movie-Simulationen nur angerissen; hier ist der Weg gerade nicht das Ziel, wie sonst beim Roadmovie. Vielmehr scheint es, dass Chris’ Reise – Sean Penn unterteilt sie in fünf Stationen von „Geburt“ bis „Weisheit“ und legt sie dramaturgisch als Entwicklungsprozess an – geradezu zwangsläufig in Alaska enden muss, wohin ihn die Abenteuerlust treibt.

In „Into the Wild“ driftet der noch wenig profilierte Darsteller Emile Hirsch von inneren Dämonen getrieben immer bärtiger und verwahrloster über den Kontinent. Zeitlupen zerdehnen die Momente der Einsicht, in denen ein Off-Kommentar die innere Stimme des jungen Mannes übernimmt. Aus dem Off auch kommentiert Chris’ Schwester Carine (Jena Malone) das Vorleben ihres Bruders – das in parallel zu dessen letzten Lebenswochen montierten Rückblenden gezeigt wird.

Penn bleibt dicht an der von Krakauer skizzierten Biografie; lediglich in der Gewichtung der Ereignisse hat er sich einige Freiheiten genommen. Ähnlich konturlos wie Hirsch wirken auch die anderen Schauspieler, unter ihnen William Hurt und Catherine Keener. Dabei verkörpert gerade ein realer Naturbursche, Brian Dierker als Alt-Hippie, seine Figur am überzeugendsten – wohl, weil er am stärksten jener Wertewelt verhaftet ist, die der Film mit epischem Gestus feiert. Aber wo Krakauers Buch auf magische Weise die Seelenlandschaft eines jungen Glückssuchers ausleuchtete, erschöpft sich die Kamera bald im manischen Blick auf die undurchdringliche Natur.

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