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Film: Jagdszenen

Albtraum Iran: Rafi Pitts’ „Zeit des Zorns“

Der Mann, er heißt Ali, redet nicht viel. Fährt mit einem alten Chevrolet durch Teheran, ein Mensch allein in einer Blechbüchse, im Autobahngewirr dieser grauen, seltsam gottverlassenen Stadt. Eine Wohnbetonburg, eine Fabrikhalle (Ali arbeitet als Nachwächter dort), Behördengänge von kafkaeskem Zuschnitt, Ausflüge in den Wald. Ali schießt mit einem Hochpräzisionsgewehr, aber kein Wild kommt in Sicht. Leben ohne Worte: Aus dem Autoradio ertönen Wahlkampfreden, auf der Tonspur (Rhys Chatham, Radiohead) dröhnen hart angerissene E-Gitarrensaiten und insistierende Drums.

„Zeit des Zorns“ ist ein Film wie eine Zeitbombe. Regisseur Rafi Pitts, der in Paris lebt und zum Filmemachen regelmäßig in seine Heimat Iran zurückkehrt, spielt selbst den vor Schmerz erstarrten Helden, der erfährt, dass seine geliebte Frau und die kleine Tochter bei gewaltsamen Auseinandersetzungen erschossen wurden. Der diensthabende Beamte sagt, es war ein Versehen. Ali steigt auf einen Hügel über der Autobahn, zielsicher legt er auf einen Polizeiwagen an.

Man muss sich das klarmachen. Das iranische Kino, berühmt für seine traumwandlerische Metaphorik, redet Klartext. Da schießt einer zurück, und der Filmemacher ist selber der Polizistenmörder. Keine sympathische Figur, aber eine unvermeidliche. Kein Opfer, kein tapferer Kämpfer, kein genialer Mime (Pitts’ schauspielerisches Repertoire ist durchaus begrenzt), sondern ein Protagonist der Verzweiflung. Eine solche Szene gab es noch nie im iranischen Kino.

Dennoch ist „Zeit des Zorns“ keine Aufforderung zum gewaltsamen Widerstand, kein militantes Pamphlet zu den Unruhen seit Ahmadinedschads Wiederwahl 2009, kein vordergründig politischer Film. Sondern Ausdruck einer an ihr äußerstes Ende geratenen Geduld, einer schreiend stillen Wut nach einer Zeit der Stagnation. Und ein Akt der Verweigerung, des ästhetischen Ungehorsams: Pitts’ letzter Film, der wie „Zeit des Zorns“ im Berlinale-Wettbewerb lief, trug den lyrischen Titel „Es ist Winter“.

Ja, Alis klappriger Wagen ist grün wie die Farbe der Opposition in Iran. Aber es ist ein stumpfes, schmutziges Grün. Und der Wald, in dem der Jäger später zum Gejagten wird, in dem er mit zwei Polizisten eine schier endlose halbe Filmstunde lang keinen Ausweg findet, in dem die Drei einander belauern, heillos verstrickt in Angst, Misstrauen, Ratlosigkeit und Gewalt wie das Land selbst, das nicht weiter weiß und sich auch der Energie der iranischen Jugend mit grausamer Sturheit verweigert – dieser Wald trägt kein Laub. Er ist düster, neblig, dauerverregnet, das Gegenteil der poetischen Kiarostami-Landschaften. Es gibt keinen Gegenentwurf zur unwirtlichen Stadt, kein Entkommen, keine bessere Welt.

Der Vorspann: ein Foto von 1980. Die Revolutionsgarden auf Mopeds, sie sind im Begriff, eine US-Flagge zu überfahren – Dokument einer Aggression. Heute sitzen die Revolutionsgarden wieder auf Mopeds und schlagen auf das eigene Volk ein. Rafi Pitt’s in Teheran lebender, international preisgekrönter Kollege Jafar Panahi sitzt seit Anfang März im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis. Er arbeitete an einem Film über die iranische Oppositionsbewegung. Auch Pitts’ Regieassistent Mehdi Pourmoussa war zeitweilig inhaftiert. Christiane Peitz

Kino in der Kulturbrauerei, Neues Kant, OmU: Babylon Kreuzberg, Central Hackescher Markt

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