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Dallesandro

© Berlinale

Teddy-Award: Der faule Schöne

Joe Dallesandro ist eine Legende - und der faulste Filmstar aller Zeiten. Für sein Lebenswerk erhält der Warhol-Star nun einen Ehren-Teddy.

So beginnt eine Verbrecherkarriere: Die Mutter ist 16 Jahre alt, als sie den Jungen zur Welt bringt. Sie klaut Autos und landet im Knast. Er folgt ihrem Beispiel, klaut ebenfalls Autos und muss eine Jugendhaft absitzen. Eine Zeit lang geht er auf den Strich. Weil er hübsch aussieht und Bodybuilding betreibt, kommt er weg von der Straße und verdient ein wenig Geld als Aktmodell. Schließlich wird Andy Warhol auf ihn aufmerksam und gibt ihm 1968 die Hauptrolle in „Flesh“.

Also keine Verbrecherkarriere, sondern eine Karriere im Undergroundfilm. Aber wie lange hält solch ein Ruhm vor? Männer wie Joe Dallesandro gibt es wie Sand am Meer, und Warhol ist kein loyaler Arbeitgeber. Dallesandro hat nie etwas gelernt, auch nie hart gearbeitet, außer beim Krafttraining. Er ist nicht einmal ehrgeizig. Man soll mit Superlativen vorsichtig umgehen, aber in diesem Fall kann man ohne Übertreibung sagen: Joe Dallesandro ist der faulste Filmstar aller Zeiten. Ob er einen Stricher, Cowboy, Junkie oder Gigolo verkörpert: Fast immer hat man den Eindruck, er sei für die Dreharbeiten geweckt worden und noch nicht ganz klar im Kopf. Und doch ist er eine Legende, ein würdiger Preisträger des Ehren-Teddys, der ihm am Freitag bei der Gala im Haus der Kulturen der Welt verliehen wird.

Dallesandro ist der ruhende Pol in Andy Warhols Filmen, die von kreischenden, hysterischen Zicken beiderlei Geschlechts bevölkert werden. Um ihn herum findet amateurhaftes Overacting statt. Er selbst ist einfach nur da, kein schlechter Schauspieler, sondern gar kein Schauspieler. Und er gibt Rätsel auf. Denn so träge und müde er auch erscheinen mag – zwischen ihm und der Kamera funkt es. So etwas ist nicht erlernbar und nicht wirklich erklärbar. Eine weitere Besonderheit Dallesandros ist seine Androgynität. Allzu oft werden Männer als androgyn bezeichnet, die einfach nur unmännlich sind. Dagegen ist Dallesandro „männlich“ und „weiblich“. Er hat die Figur eines Actionhelden, aber er präsentiert sich als williges, passives Objekt. Man assoziiert ihn weniger mit bewegten Bildern als mit Fotos, wie jenes von Annie Leibovitz, das die Titelseite des Magazins „Rolling Stone“ schmückte.

In Europa arbeitete er mit so bedeutenden Regisseuren wie Louis Malle, Walerian Borowczyk, Jacques Rivette und Catherine Breillat, deren Frühwerk „Tapage Nocturne“ (1979) im Panorama gezeigt wird. Zurück in Hollywood, musste er feststellen, dass niemand seine italienischen und französischen Filme kannte. Es gab keinen kommerziellen Undergroundfilm mehr, und die sexuelle Revolution war ausgereizt. Joe Dallesandro sollte nie wieder einen Film dominieren. Aber er erhielt interessante Nebenrollen, meist als Mafioso. Francis Ford Coppola besetzte ihn als Gangster Lucky Luciano in „The Cotton Club“ (1984), und es folgten Angebote von Blake Edwards, John Waters, Mika Kaurismäki und Steven Soderbergh. An Silvester hat er seinen 60. Geburtstag gefeiert.

Obwohl er als Ikone der Sex- und Drogenkultur gilt, war Dallesandro im Privatleben eher konservativ. Er bevorzugte monogame Beziehungen und hat zwei Söhne aus drei Ehen. Seine Adoptivtochter Vedra Mehagian Dallesandro hat den Porträtfilm „Little Joe“ produziert, der seine Weltpremiere auf der Berlinale erlebt. Kindheit und Jugend des Stars hat die Regisseurin Nicole Haeusser bemüht kreativ als Comic inszeniert. Ohne höheren Erkenntnisgewinn werden die weiteren Stationen seines Lebens abgehakt. Man sieht Ausschnitte aus Filmen und hört Dallesandros Kommentare dazu. Voller Stolz denkt er an seine Begegnung mit Sir Laurence Olivier und dessen Komplimente zurück: „Selbst wenn er mich angelogen hat – es war ein schönes Gefühl.“ Noch immer plagen ihn Schuldgefühle, weil die Flasche Pepsi, die die kleine Vedra ihm weggenommen und ausgetrunken hat, hochprozentigen Alkohol enthielt. Zwischendurch gibt es Mutmaßungen über die Erotik von Namen, die auf O enden: Rudolph Valentino, Greta Garbo, Jean Harlow, Marlon Brando, Marilyn Monroe – und Joe Dallesandro.

Das Anekdotische seiner Erzählungen ermüdet mit der Zeit, und man vermisst andere Stimmen. Es ist schön, dass er Serge Gainsbourgs „Je t’aime“ (1976) für das Beste hält, was er je gedreht hat, aber warum hat man zu dem Anlass nicht seine damalige Partnerin Jane Birkin interviewt? Oder Udo Kier, an dessen Seite er 1973 in den herrlichen Horrorfilmparodien „Andy Warhols Dracula“ und „Andy Warhols Frankenstein“ zu sehen war? Wer mit so vielen interessanten Künstlern zusammengearbeitet hat wie Joe Dallesandro, der hat auch ein tiefgründigeres Porträt verdient.

„Little Joe“: 13. 2., 17.30 Uhr (Cubix 7), 15. 2., 15.30 Uhr (Colosseum 1)

In Frankreich drehte Dallesandro mit Regisseuren wie Malle, Rivette und Breillat

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