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Lisbeth Salander (Noomi Rapace), die raue Heldin aus "Vergebung".

© Yellow Bird Pictures/Knut Koivisto

"Millennium"-Trilogie: Vergeltung

Sie ballert nicht in der Gegend rum - sondern allenfalls in Notwehr: Warum die Kinostory um Lisbeth Salander Mut macht. Zum Abschluss der „Millennium“-Trilogie.

Ja, man kann das jetzt alles ganz schlecht finden. Man kann Stieg Larssons drei „Millennium“-Schmöker, deren Stoff sich allein in deutscher Übersetzung knapp sechs Millionen Leser suchtartig einverleibten, ein bisschen fahrig geschrieben finden – und die Dialoge mitunter geschwätzig und die Dramaturgie für einen Krimi sogar zeitweise gefährlich unspannend. Man kann die daraus entstandenen Filme, die ursprünglich fürs Fernsehen konzipiert waren, ein bisschen fernsehmäßig finden. Man kann aus dem Wechsel der Regisseure und Drehbuchautoren – Teil 2 und 3 verantworten Daniel Alfredson und Jonas Frykberg – schließen, dass Teil 1 nicht nur für die Auftraggeber nix taugte. Oder man meint, dass Teil 2 und 3 eigentlich zusammen gezeigt werden müssten, weil man 3 ohne 2 womöglich gar nicht versteht. Und so weiter.

Klar kann man das. Man kann das ganze Vorhaben aber, zum Beispiel, auch erst mal grundsätzlich anerkennen.

2336 Buchseiten zu drei Filmen zu verarbeiten, die von ganzen Leserdivisionen akribisch auf ihre Materialtreue geprüft werden: Das will erst mal geleistet sein. Und wie soll man es finden, dass sich mit Michael Nyqvist als Mikael Blomkvist, Top-Rechercheur der Zeitschrift „Millennium“, und vor allem Noomi Rapace als Lisbeth Salander, Detektivin und Hackerin und Rächerin, zwei großartige Schauspieler mal eben in die Ikonografie des Kinos einschreiben – so selbstverständlich wie einst, um zu den Stars zu greifen, Sean Connery als James Bond?

Vielleicht darf man noch weiter gehen. Die Trilogie des 2004 im Alter von 50 Jahren an einem Herzinfarkt gestorbenen Schweden Stieg Larsson, hierzulande unter den griffigen, aber abwegig christianisierenden Titeln „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ erschienen, setzt im Thriller-Genre ästhetische Maßstäbe, die von deutscher Unterhaltung in „Tatort“-Manier ebenso weit entfernt sind wie vom üblichen Hollywood-Bombast. Hier ermitteln keine Textaufsager, sondern durchaus aufregende, fassbare, widersprüchliche Charaktere. Und sie treten nicht vor Hundertschaften von Fernsehteams oder in überfüllten Courtrooms auf, sondern zum Beispiel vor höchstens zwei Dutzend Reportern in einer schmucklosen Halle. Auch muss es der Rasanz einer Verfolgungsjagd nicht unbedingt schaden, wenn die Helden zuvor noch Zeit finden, sich anzuschnallen.

Wir sind nicht in L.A., wir sind auch nicht in Hinterschwindlingen, sondern eben in Schweden, der Heimat des europäischen Qualitätskrimis. Mikael Blomkvist recherchiert folglich mit aufreizender, zeitweise nahezu selbstmörderischer skandinavischer Gelassenheit in einer Hölle aus höchsten – und höchst kriminellen – Politkreisen. Und seine meist ferne, oft abgetauchte Partnerin Lisbeth Salander, die hartnäckig die Verursacher ihres lebenslangen Traumas aufspürt und der mindestens zwei Dutzend menschliche Monster nach dem Leben trachten, ballert nicht im „Eine Frau sieht rot“-Stil durch die Gegend, sondern allenfalls in äußerster Notwehr. Ihre Waffe ist: pure Intelligenz – von der Wahl ihrer optischen Tarnung, mal Punk und mal blondes Gift, bis zum kombinatorischen Geschick in kompliziertesten Situationen. Tempo kommt hinzu, auch körperliche Durchtrainiertheit. Kurzum: Fitness auf jedem Niveau.

In „Vergebung“, dem Schlussstück der Trilogie, das im Gegenteil besser „Vergeltung“ hieße, fokussiert sich das Geschehen ganz auf Salanders persönliche Rache – und das so frech wie souverän abseits von Action-Elementen; schließlich muss sie sich zunächst im Krankenhaus von einem grausamen Mordanschlag erholen, bevor man diese supergefährliche Frau anderweitig einsperrt. Dafür ist sie nicht mehr – wie in „Verblendung“ – in erster Linie der clever, effizient und verborgen agierende geistige Motor Blomkvists bei der Aufdeckung einer Serie von Frauenmorden. Oder – wie in „Verdammnis“ – überwiegend aktiv in der Enttarnung der Akteure und Profiteure eines Mädchenhändlerrings. In „Vergebung“ geht es um Lisbeth Salanders eigene Rechnung, die sie, nach Misshandlung und Missbrauch und Vergewaltigung, mit der Männerwelt offen hat, vom Vater über den Psychiater bis zum Vormund. Und mit all den Hintermännern, die sogar in den Spitzen des schwedischen Geheimdienstes nisten.

Wie souverän und unbeirrbar sie, gegen alle Intrigen und Komplotte, dieses Kartell von Männergespenstern zur Rechenschaft zieht: Das ist das Faszinierende dieses dritten Teils, der zugleich auf der tiefen Einsamkeit seiner lebenslang beschädigten Heldin beharrt. Zudem wirken nun alle Elemente der Trilogie zielstrebig auf diese konzentrierte Erfahrung hingeführt. Die stets auf eigene Faust und im Ergebnis in eigener Sache ermittelnde Lisbeth Salander setzt die ungeheure Entschlossenheit, ihre so überlegen anmutenden Peiniger zu besiegen, gegen die Scham, die die Peinigung ihr antun und die sie zum Schweigen bringen sollte. „Vergebung“ zeigt, dass es lohnt, sich auch aus scheinbar aussichtsloser Position gegen erlittenes Unrecht zu wehren. Wenn man dabei ein paar verlässliche Helfer – wie Blomkvist, sein Redaktionsteam und einige nicht korrupte Leute von Polizei und Justiz – an der Seite hat, umso besser.

Natürlich ist es Zufall, dass diese im Oktober letzten Jahres, im Februar und nun im Juni ins Kino kommenden Filme in Deutschland zeitlich mit der beileibe nicht beendeten Missbrauchsdebatte korrelieren. Aber es ist ein schöner, oder besser: ein guter Zufall. Denn diese Filme machen Opfern Mut statt Wut, die ebenso paralysieren kann wie Scham. Auch dafür steht die von Noomi Rapace so mustergültig verkörperte, kluge und disziplinierte Lisbeth Salander.

Ab Donnerstag in 13 Berliner Kinos.

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