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Kinogeschichte: Wer im Glashaus schwitzt

„Am Set“: Fotos aus hundert Jahren Film zeigt die Deutsche Kinemathek in Berlin. Fritz Lang, Ernst Lubitsch und W. D. Griffith sind die Protagonisten des goldenen Zeitalters.

Film braucht Licht, viel Licht. Die ersten Filmstudios glichen Treibhäusern, nur dass in ihnen keine Blumen, sondern Illusionen produziert wurden. Einer der ersten Filme, die 1912 im gerade errichteten Kleinen Glashaus in Neubabelsberg gedreht wurden, war das Melodram „Wenn die Maske fällt“. Auf einem Foto sitzt die bleich geschminkte, mit einem wagenradgroßen Hut geschmückte Hauptdarstellerin Asta Nielsen inmitten von Kulissen, die eine großbürgerliche Wohnung mit Eichenmöbeln, Gobelins und einem Friedrich-II.-Porträt an der Wand zeigen. Sie spricht mit dem Regisseur, Assistenten in weißen Kitteln machen sich an Requisiten zu schaffen, der Kameramann hat gerade einen neue Filmrolle eingelegt. Das Spiel kann beginnen.

„Am Set“ lautet der Titel einer beeindruckenden Ausstellung, mit der das Berliner Museum für Film und Fernsehen die Kunst der Standfotografie feiert. Gleich im zweiten Raum stößt der Besucher auf die in einem Leuchtkasten riesenhaft vergrößerte Asta-Nielsen-Szene. Ein paar Schritte weiter steht eine hölzerne Fotokamera auf einem Podest, die einst dem Filmpionier Guido Seeber gehört hat. Der Besucher schaut, als habe er sich selber zum Standfotografen verwandelt, durch die Linse auf das Gruppenbild mit der Stummfilmdiva, zu dem auch der Kameramann Seeber gehört. In einer Vitrine daneben dokumentieren Glasnegative und -positive den Bau des Babelsberger Glashauses, an der Wand hängt eine Architekturzeichnung. Errichtet wurde das Atelier von der Deutschen Bioscop GmbH, 1922 ging es in den Besitz der Ufa über.

Die verspielte Installation ist eine Hommage des Museums zum bevorstehenden 100. Geburtstag der Babelsberger Filmproduktion. Ansonsten stammen die Exponate im ersten Teil der Ausstellung aus der Pariser Cinémathèque française, 250 erlesene Vintage Prints, versammelt zu einem Best-of der Filmfotografie in ihrem goldenen Zeitalter vor 1939. „Diese Fotografien lassen erahnen, wie aufregend Kreativität sein kann, wenn sie auf ein neues Jahrhundert, eine neue Technik, eine neue Kunstform und wahrhaftig eine neue Art zu sehen reagiert“, schreibt Martin Scorsese im Grußwort des Katalogs. „Mögen die Fotos gestellt oder während des Drehs eingefangen sein, stets verspürt man die gleiche Erregung.“

Größte Erregung, höchste Konzentration. Fritz Lang als Dompteur. Auf einem Foto inszeniert er mit einem Megaphon eine Massenszene für „Metropolis“. Dutzende Kinder, im Film der proletarische Nachwuchs der Unterstadt, stehen bis zum Bauchnabel im Wasser und recken ihm hilfesuchend die Arme entgegen. Gefilmt wird gleich mit zwei Kameras. Ein paar Jahre später dreht Lang, nun Emigrant, in den Studios von Metro- Goldwyn-Mayer in Hollywood den Thriller „Fury“, läuft armfuchtelnd durchs Außengelände, hinter ihm die hoch aufgesockelte Kamera.

Ernst Lubitsch lehnt, in Knickerbockerhosen eine Zigarre schmauchend, entspannt am Tor eines amerikanischen Studios. David W. Griffith posiert bei den Arbeiten für seinen Stummfilm „Way Down East“ mit Kamera und Team im Schnee auf einem Schlitten. Und Cecil B. DeMille gibt, den Western „Union Pacific“ inszenierend, in einem überfüllten Saloon per Mikrofon Regieanweisungen an Barbara Stanwyck und Anthony Quinn. Es ist eine Zeit großer Träume und großer, diktatorengleich agierender Regisseure. Erich von Stroheim lässt für „Foolish Wives“ das Casino von Monte Carlo detailgenau in Kalifornien nachbauen. Ein Bild zeigt den Exzentriker vor der aufgeschnittenen Rückseite des Baus angestrengt sinnierend auf einem Sessel, das alles in malerischer Berglandschaft.

Man sollte sich Zeit nehmen für diese Fotos, an einigen besonders kleinformatigen Exemplaren ist eine Lupe befestigt. Sie erzählen von der Arbeitsteilung in den Bilderfabriken von Hollywood, Paris, Babelsberg und fügen sich auch zu einer kleinen Technikgeschichte. Die Scheinwerfer wachsen in den Studios zu ganzen Stativwäldern. Kameras werden nach der Einführung des Tonfilms in unförmige Schallschutzgehäuse verpackt.

Für eine Szene von „Vogues of 1938“ liegt Joan Bennett in einem satinbezogenen Bett, Scheinwerfer und eine riesige Technicolor-Kamera mit Magazinen für drei Filme beugen sich wie Insekten zu ihr herab. Viele Standfotos stammen von anonymen Künstlern, aber es sind auch einige große Meister vertreten, Horst von Harbou, George Hurrell oder Laszlo Willinger. Hinreißend das Bild, auf dem Don English sich mit Marlene Dietrich auf dem Set von „Shanghai Express“ in einem Spiegel aufgenommen hat.

Die Ausstellung endet 1939 und macht dann einen Sprung in die Gegenwart. Der zweite, vom Berliner Museum erarbeitete Teil zeigt Bilder aus Babelsberger Produktionen der letzten zehn Jahre. Für Dani Levys Komödie „Alles auf Zucker“ wird die Kamera auf einem Billardtisch aufgebaut. Katrin Saß probiert für „Good Bye, Lenin!“ Perücken durch, präsentiert sich als Oma mit Dutt und Rockerbraut mit Langhaarmatte. Die dialogische Arbeitsweise von Andreas Dresen ist daran zu erkennen, dass er bei den Fotos zu „Sommer vorm Balkon“ stets im Gespräch mit Cast und Crew zu sehen ist. Sehr erhellend sind Displays, die von den Aufnahmen des Location Scouts bis zum fertigen Film die Entstehung von Szenen für „Der Vorleser“ und „The International“ nachvollziehbar machen. Drehorte: ein Hörsaal im Institut für Anatomie der Charité und das ICC. Berlin kann atemberaubend aussehen.

Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Potsdamer Platz, bis 29. April, Di–So 10–18, Do 10–20 Uhr. Katalog im Museumsshop 29 €.

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