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Poetisch. Paul Klees Gemälde „Bebende Kapelle“ von 1924.

© bpk / Nationalgalerie, SMB, Samm,Sammlung Scharf-Gerstenberg/Roman März

Klassiker des 20. Jahrhunderts: Läuten für die Fische

Das Berliner Museum Berggruen und die Sammlung Scharf-Gerstenberg vereinen erstmals ihre Paul-Klee-Bestände.

Warum erst jetzt? Sanierungsdruck und Raumnot machen plötzlich möglich, was lange undenkbar schien. Bisher residierten die kapitalen Klee-Kollektionen des Museums Berggruen und der Sammlung Scharf-Gerstenberg hüben und drüben an der Charlottenburger Schloßstraße, im westlichen und östlichen Stülerbau, nach dem Willen der Sammler und Erben säuberlich getrennt. Etwa 30 Werke Paul Klees hatte Dieter Scharf zusammengetragen, fast 70 Arbeiten der Kunsthändler Heinz Berggruen. Dessen Klee-Konvolut war seit dem Frühjahr im sanierten Kommandantenhaus nebenan ausgestellt, das wegen Schimmel im Dachgeschoss aber schon wieder geschlossen ist. Mindestens ein Jahr dauert die neuerliche Sanierung. Die 120 Picassos im Stammhaus der Berggruen-Sammlung tangiert das nicht. Aber wohin mit dem Publikumsliebling Klee?

Kurzerhand gewährt das Haus Scharf- Gerstenberg den Werken Obdach. So kommt zusammen, was wirklich zusammengehört. Während Heinz Berggruen vor allem Werke aus Klees Bauhaus- Phase schätzte, sprach den Sammler Scharf mit seiner Vorliebe für Surreales und Grafisches eher das eigensinnige, symbolistische Frühwerk Klees an, aber auch das spröde späte Schaffen.

Die Kuratorinnen Felicia Rappe, erst seit September am Museum Berggruen, und Kyllikki Zacharias von Scharf-Gerstenberg haben mit Begeisterung und Feingefühl die Bestände neu durchmischt, immer auf der Suche nach zarten Korrespondenzen, motivischen Bezügen, formalen Gruppen. Werktitel Klees wie „Den Fischen läuten“ oder „Bebende Kapelle“ gliedern den locker chronologischen Parcours in zwölf Themenräume.

Es beginnt mit einer winzigen Landschaftsstudie von 1897. Deren Naturalismus lässt Klee schon wenig später hinter sich, zeichnet Liniengespinste aufs Papier, die sich zum Kopf eines Trinkers oder einem Frauenakt formen. Der Künstler erprobt die Linie, brilliert als Grafiker. Hier im Frühwerk sind die Blätter aus der Sammlung Scharf-Gerstenberg unter sich. Dann entdeckt der Künstler die Farbe – und der Sammler Berggruen übernimmt mehr und mehr den dominierenden Part. Etwa im zentralen Paradiesraum der Ausstellung. Auf moosgrünen Wänden strahlen die verträumten Gärten Klees um die Wette, mal teppichartig aus abstrakten Streifen gewoben in blühendem Rot, Grün und Gelb, dann wieder stärker figürlich floral.

Was den Anstoß zu all dieser farbigen Opulenz gab, zeigt ein Aquarell von Klees Tunisreise 1914. Das Blatt stammt aus der Sammlung Scharf-Gerstenberg. So antworten beide Bestände manchmal fast wie Stichwortgeber aufeinander. Etwa wenn eine kapriziöse „Heilige vom innern Licht“ sich plötzlich einem „Verliebten“ gegenübersieht, dessen Kopf sich mit erotischen Phantasien füllt. Solche Korrespondenzen machen einfach Spaß.

Nicht immer wird klar, was genau die einzelnen Themengruppen eint und wo der nächste Abschnitt beginnt. Aber wozu auch? Klees Werk braucht keine Schubladen. Er selbst hat seinen Hang zu peniblen Ordnungssystemen immer wieder lustvoll konterkariert und ad absurdum geführt. So überlässt man sich, poetisch eingestimmt von den Sektionstiteln, lieber den Verästelungen der Linien, den Tonleitern der Farbe, den Sprachspielereien der Bildtitel.

Die vornehmlich mit kleinformatigen, zarten Werken bestückte Ausstellung bringt den eigenen Bestand aufs Schönste zur Geltung – vielleicht gerade weil sie der kleinen Form huldigt, die Klee so sehr lag. Die großen Klee-Ikonen aus der Nationalgalerie sucht man leider vergeblich, etwa das berühmte Gemälde „Architektur“ aus der Bauhauszeit und die nächtliche „Abfahrt der Schiffe“. Sie waren bereits langfristig als auswärtige Leihgaben versprochen.

Heinz Berggruen, dessen Geburtstag sich Anfang Januar 2014 zum 100. Mal jährt, hätte an der Ausstellung seine Freude gehabt. Zumal er selbst den hübschen frankophonen Titel „Les Klee du Paradis“ beisteuerte. Er hatte schon als Kunsthändler in Paris davon geträumt, eine Ausstellung mit diesem Titel zu machen, kam aber nie dazu. „Les Klee du Paradis“ klingt wie „les clés du paradis“, also „die Schlüssel des Paradieses“.

So ist aus der sanierungsbedingten Raumnot nur Gutes erwachsen. Für die geplante Schließung der Neuen Nationalgalerie ab voraussichtlich 2015 lässt das hoffen. Wegen der Generalrestaurierung des Baudenkmals wird die gesamte Klassische Moderne für rund vier Jahre obdachlos. Wer weiß, zu welchen kreativen Ideen dies die Kuratoren anspornt? Ein Werk von Paul Klee heißt „Palast im Vorübergehen“: Auch Interimslösungen können unerwarteten Zauber bergen.

Sammlung Scharf-Gerstenberg, Schloss- str. 70, bis 31. August 2014; Di-So 10-18 Uhr.

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