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Kommentar: Vom Witz zum Treppenwitz

Bernhard Schulz über die Staatsgalerie Stuttgart und den Verfall einer Attraktion.

Im Jahr 1984 überstrahlte ein Museum alle Konkurrenten: der Neubau der Staatsgalerie Stuttgart. James Stirling, der Großmeister der Postmoderne, hatte einen ausgeklügelten, anspielungsreichen Bau neben den klassizistischen Altbau des Museums gesetzt, und alle, alle kamen; über eine Million Besucher gleich im ersten Jahr. Stirling avancierte zum Staatsarchitekten am Hofe von Lothar Späth. Noble Sandsteinfassaden kombiniert mit grellviolett gestrichenen Rohren und giftgrünem Noppenboden, das war postmoderne Ironie pur. Nur ist das mit Anspielungen so eine Sache. Geht man heute, 23 Jahre nach der Eröffnung, am porös gewordenen Sockel des Gebäudes vorbei, können die gezielt „herausgefallenen“ Steinplatten, die das dahinter verborgene Parkdeck einsehen lassen (Ironie!), schlicht als Bauschaden missverstanden werden. Dass die runde Leere in der Mitte des Gebäudes eine Anspielung auf Schinkels Rotunde in Berlin ist – ach, wer ahnt das schon angesichts ihres unwirtlichen Zustands!

Von der postmodernen Ironie zum traurigen Witz war es in Stuttgart ein seit langem zu beobachtender Weg. Das intelligente Spiel von „High“ und „Low“ hat sich abgenutzt. Schon vor Jahren musste die Unternehmensberatung McKinsey bemüht werden, um der in der Besuchergunst abgestürzten Institution neues Management zu vermitteln. So stehen denn, beliebiges Beispiel, Teilnehmer irgendeiner Unternehmenstagung im Foyer herum, nach dem Imbiss im hauseigenen Restaurant, das einmal unter dem Namen „Fresko“ eine Topadresse war und mittlerweile Namen und Identität verloren hat. Der Tagungsbetrieb bringt Geld.

Die Stuttgarter Topadresse ist mittlerweile das Kunstmuseum am Schlossplatz. Da geht man hin, da kehrt man zu Apéro und Abendessen ein. Da gibt’s die Wechselausstellungen zu sehen, die die Staatsgalerie unter ihrem neuen Direktor trotzig verweigert. Der, von der Londoner Tate Gallery geholt, begann zu einem unglücklichen Zeitpunkt und agiert selbst unglücklich. „Kunst ist kein Spektakel, sie ist still und schwierig“, lautet sein Motto. Nun ja – schwierig ist’s, einen Bau frisch und lebendig zu halten, der gewiss den Höhepunkt der Zeitströmung von 1984 bildet, nun jedoch seinerseits historisch geworden ist – und verkommt, gerade so wie die von der Postmoderne verlachten Schuhkartons der sechziger Jahre. Der Noppenboden, 1984 andächtig betreten, ist heute nur mehr ein giftgrünes Ärgernis. Sic transit gloria mundi. In Stuttgart zu besichtigen ist die ewige Wiederkehr des Immergleichen.

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