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Statisten und Stative. Ein Kameramann filmt das Spiel von Luise Wolfram (Frau hinter der Tapete) und Judith Engel (Anna). Foto: Drama

© Bresadola/drama-berlin.de

Kultur: Krisenornamentik

Katie Mitchell inszeniert an der Schaubühne „Die gelbe Tapete“.

Die ersten zehn Minuten: großes Theater. Aber eines, das schwer in Worte zu fassen ist. Bei der britischen Regisseurin Katie Mitchell gehen die Grenzen zwischen Theater, Film und Installation fließend ineinander über. Mitchell, beim kommenden Theatertreffen mit Friederike Mayröckers „Reise durch die Nacht“ vertreten, wuchtet eine riesiges Set auf die Bühne, mit eingerichteten Zimmern, in denen die Handlung spielt, Technikboxen, in denen live Geräusche fabriziert werden, und einer Sprecherkammer. Es gibt unzählige Kameras und Kameramänner und Lichtanknipser, die während der gesamten Vorstellung über die Bühne wuseln und mindestens so wichtig sind wie die Schauspieler.

Katie Mitchell bricht die Illusion von dem, was Theater gemeinhin ausmacht: den Moment. Man kann es brachialer formulieren. Mitchell zerschmettert den Theatermoment der angeblich „wahren Empfindung“ und setzt seine Splitter dann auf atemberaubende Weise zu einem vielfach gebrochenen, verwirrenden Erlebnis-Etwas, zu einem medialen Gegenwarts-Ding wieder zusammen. Es entsteht ein Live-Hörspiel oder -Film, der, während die Schauspieler agieren, schon sauber geschnitten, perfekt ausgeleuchtet und in raffinierten Perspektiven auf einer großen Leinwand erscheint.

Während die noch unsichtbare Judith Engel als Anna – Hauptfigur in „Die gelbe Tapete“ nach einer Erzählung von Charlotte Perkins Gilman – eine unsichtbare Treppe hochstapft, sieht man schon Tilman Strauß als Ehemann Christoph in Großaufnahme hektisch ein Zimmer herrichten, während Cathlen Gawlich das dazugehörige Blumenpapierknistern fabriziert. Fasziniert spaziert der Zuschauerblick durch die Räume wie durch eine zeitgenössische Märchenlandschaft. Und dabei hat Ursina Lardi noch nicht einmal begonnen, die Gedanken der hochdepressiven Anna ins Mikrofon zu hauchen.

Die Gefahr dieses Ansatzes liegt allerdings auch auf der Hand. Die Virtuosität, die beeindruckende Choreografie dieser multiperspektivischen Bildherstellung, der große Technikaufwand sollte gerechtfertigt sein durch den Stoff, um den es geht. Die Geschichte muss schon ein gerüttelt Maß an Komplexität aufweisen, sonst wird – wie an diesem Abend in der Schaubühne – aus einer Methode schnell effekthascherische Manier.

Die autobiografische Kurzgeschichte „Die gelbe Tapete“ von Charlotte Perkins Gilman aus dem Jahr 1891 gilt als Klassiker der feministischen Literatur. Eine junge Frau leidet an Depressionen und bekommt von ihrem Mann, der nicht zufälligerweise Arzt ist, Ruhe verordnet. Keine intellektuelle Tätigkeit, keine Anstrengung, kein Kontakt zum Kind. Doch anstatt zu gesunden, driftet sie in eine Fantasiewelt, sieht Figuren in der gelben Tapete und entwickelt paranoide Vorstellungen.

Katie Mitchell und Lyndsey Turner haben die Geschichte aktualisiert, indem sie den Schwerpunkt auf das Postnatale der Depression gelegt und aus dem ignoranten einen fürsorglichen Ehemann gemacht haben. Doch an dem, was den Text vor allem aus- und stark macht, an seinem monologischen Charakter, haben sie naturgemäß nichts geändert. Das geht nicht auf. Während Ursina Lardi Annas Gedanken (und damit die gesamte Geschichte) vorträgt, schrumpft die gespielte und abgefilmte Handlung bald zur simplen Illustration. Man sieht in Großaufnahme vor allem Judith Engels ansprechend leidendes Gesicht, dessen Ausdruck immer weiter entrückt. Man sieht die wachsende Irritation von Iris Becher als überfordertem Kindermädchen und staunt über die Tricks, mit denen kriechende Frauen (Luise Wolfram) in das Tapetenmuster projiziert werden, aber es geht einen bald nichts mehr an. Die Mittel schnurren auf Autopilot.

Die treffenden Kommentare eines Besuchers, während er danach seiner Begleitung in die Daunenjacke hilft: „Mit den Kosten dieser Inszenierung ließe sich ein ganzes Theater im Osten retten.“ Und: „Über den Abend werden sicher gute Doktorarbeiten geschrieben.“

Wieder heute, morgen und am 1.4.

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