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Kultur: Küstenträume

Sirene im T-Shirt: Neil Jordans „Ondine“

Darf man dem Märchen trauen? Oder folgt eine rationale Begründung, die alles Legendenhafte zurechterklärt? Bei all den mind-game movies, die ihr hundsgemein vergnügliches Spiel mit der Zuschauererwartung treiben, weiß man ja gar nicht mehr ein noch aus. Was also hat Neil Jordan vor, wenn er eine hübsche Meerjungfrau (Alicja Bachleda-Curus) wasserspeiend im Fangnetz eines Fischers (Colin Farrell) auftauchen lässt? Wenn er den beiden die archaischen Namen Ondine und Syracuse verpasst? Und wenn Ondine dem glücklosen Fischer von der traurigen Gestalt mit ihrem Sirenengesang auch noch die Netze zum Bersten füllt? Von der Liebe, die sich zwischen dem Fischer und seinem neuen Weib in einer malerischen Bucht entspinnt, zu schweigen. Ja, dieser Regisseur scheint ernsthaft darauf aus, das uralte Märchen, den Mythos von Undine noch einmal zu erzählen. Einerseits.

Andererseits spielt „Ondine“ in einer Stadt an der rauen irischen Küste, die dem heutigen Cork verdammt ähnlich sieht. Es gibt Fischkutter, Pubs, Autos und auch einen Rollstuhl. Damit fährt die kranke Tochter des Fischers vorzugsweise in die Bibliothek und leiht sich dort Bücher über irische Legenden aus. Was also nun? Modernes Märchen – oder erträumt sich der Fischer alles nur?

Schön schwebend, dieser anfängliche Zustand. Doch was folgt, wirkt leider behäbig und uninspiriert. Neil Jordan wurde für Filme wie „Mona Lisa“ (1986), „The Crying Game“ (1992), „Butcher Boy“ (1997) oder „Das Ende einer Affäre“ (1999) zu Recht als der außergewöhnlichste Regisseur Irlands gefeiert. Doch diese Zeit liegt lange zurück. Zuletzt hat sich Jordan beim liberalen Publikum unbeliebt gemacht, als er Jodie Foster in dem Selbstjustiz-Drama „Die Fremde in dir“ (2007) zur Berserkerin werden ließ. Überdrehte er damals aufs Heftigste, lässt er seinen Motor jetzt zu untertourig laufen: Nicht sonderlich spannend der Dunkelmann aus der Vergangenheit der vermeintlichen Meerjungfrau, nicht sonderlich komisch der lustig gemeinte Pfarrer (Stephen Rea), bei dem Syracuse zwischendrin gerne im Beichtstuhl vorbeischaut. Immerhin Kameramann Christopher Doyle, bekannt durch seine Zusammenarbeit mit Wong KarWai, zaubert ein paar beeindruckende Nebelküstenbilder auf die Leinwand.

Doch spätestens als der Film sich in Rivalität mit Unterwäschewerbung begibt und sich die Meerjungfrau im Wet T-Shirt zu räkeln anfängt, stellt sich eine neue Frage: Geht es hier also weder um ein Märchen noch um irgendwas Modernes, sondern vor allem um eine müde Altherrenfantasie?

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Julian Hanich

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