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Zersplitterte Realität. Die Installation "Reflecting Gardens" von Jeppe Hein.

© Björn Kietzmann

Kunst auf der IGA: Was man sich anschauen sollte

Auch in der Natur begegnet man sich selbst: Ein Spaziergang zu den Kunstwerken, die dieses Jahr auf der Internationalen Gartenausstellung in Marzahn zu sehen sind.

Genau jetzt wäre „Marzahn“ zu hören. Eine musikalische Erzählung über den Berliner Bezirk von Anna Rispoli. Sie hat die Boxen im Park von Marzahn-Hellersdorf angeworfen, erste Töne mäandern vom Boden ins Ohr. Doch dann passiert, was in jedem Märchen die Spannung bringt: Das Böse naht in Form eines Rasenmähers, der faucht und brüllt wie ein Drache und wild entschlossen ist, alle Gänseblümchen im Umkreis niederzumetzeln. Kein Wunder, dass sich die italienische Künstlerin mit ihren Figuren und ihrer akustischen Installation in den Schutz eines Wäldchens zurückgezogen hat. Der Hain ist Teil der Internationalen Gartenausstellung, genau wie die nun tote Rasenfläche, die sich kurz vor Eröffnung der IGA der Gründlichkeit ihrer Rabattenpfleger unterwerfen muss.

Bei den Künstlern dagegen ist von Anpassung keine Spur. Neun sind es, und jeder von ihnen hat unter freiem Himmel eine Arbeit verwirklicht, die diesen Begriff auch verdient. Hier steht keine Skulptur als bloße Zier im Weg – und wenn sie doch blinkt und funkelt wie im Fall von Jeppe Hein, dann soll sie benutzt und betatscht werden. Sobald die Besucher abends gegangen sind, läuft Wasser über die dreieckigen Spiegelsäulen und reinigt den Irrgarten zumindest von den gröbsten Spuren. Auf dass die Realität weiter hundertfach zersplittert, sodass man sich in der Natur immer wieder selbst begegnet.

Ein kleines Paradies in der grauen Ödnis

Bei Martin Kaltwasser stellen sich Fragen der Reinigung gar nicht. Sein Beitrag, der zugleich zu den neuen „Gärten der Welt“ gehört und ebenso wie Heins Arbeit dauerhaft auf dem Gelände installiert bleibt, ist ziemlich pflegeleicht. Glatt gewalzter Asphalt, drei amerikanische Mittelklassewagen, eine Handvoll künstliche Palmen und ein Stück umzäuntes Grün. Das genügt dem Berliner Künstler für seinen „Los Angeles Garden“. Und es ist alles andere als persiflierend gemeint: Kaltwasser hatte ein Stipendium in Berlins ältester Partnerstadt und realisierte dort ein Projekt mit Studenten. Gearbeitet haben sie exakt auf jenem Parkplatz, der hier ausschnitthaft nachgebaut ist: dem Bergamot Station Car Park vor einer Mall, in der Dutzende von Galerien untergebracht sind. Das kleine Paradies in der grauen Ödnis hat ein Kunsthändler angelegt, der nicht mehr mitansehen wollte, wie seine Mitarbeiter mittags auf den Parktaschen herumstanden. Kaltwassers Imitat spielt mit den Fantasien, die das Sehnsuchtswort Los Angeles beschwört – und gleicht es dann kühl mit dem von ihm erfahrenen Alltag ab. Bloß die Palmen sind in L. A. echter, aber das Experiment einer Pflanzung exotischer Bäume hat die IGA mit Blick auf den Berliner Winter offenbar nicht gewagt.

Jenseits davon sind die künstlerischen Interventionen ein Gewinn. Die Kuratorin Katja Aßmann, die auch das nahe Zentrum für Kunst und öffentlichen Raum Schloss Biesdorf leitet, hat vorweg eine Auswahl getroffen und die Künstler konkret gebeten, sich Gedanken zum Thema „Sichten einer Landschaft“ zu machen. Ihre Wahl ist auf in Berlin lebende Protagonisten gefallen, bei denen klar war, dass sie nicht zur kleinteiligen Introspektion neigen, sondern nach draußen gehen, Feldforschung leisten und das Umfeld einbeziehen. Wie Serafina Lenz mit ihren Performances „Anspiel“, die während der kommenden Wochen an verschiedenen Orten des Parks stattfinden und Bewohner von Marzahn-Hellersdorf einbeziehen. Schließlich findet im Umfeld der IGA ein Projekt statt, das auch den Bezirk aufwertet und Bauland wertvoller macht. In die Vergangenheit blickt der Künstler und Architekt Erik Göngrich mit „Subbotnik“-Spaziergängen. So hießen in der DDR die samstäglichen Initiativen, mit denen der nahe Kienberg begrünt wurde: ein Hügel aus Trümmerschutt, den die Gartenausstellung wieder zugänglich und zu einem Teil des Parks gemacht hat.

Sailstorfer spielt mit dem Zufall

Drei Tage lang wird im Juli Jeanne van Heeswuk in ihrem „Unkrautlabor“ über den Unsinn eines Begriffs dozieren, der Pflanzen zu unerwünschten Mitbewohnern heimischer Gärten erklärt. Das Klangkunstprojekt „Grün hören“ von Georg Klein widmet sich den akustischen Phänomenen der Landschaft. Janet Laurence demonstriert in ihrem Labor „Inside the Flowers“ die Kräfte von Heilpflanzen, während Michael Sailstorfer in „Factories“ am Fuß des Kienbergs Bienen dazu anhält, seine Skulpturen in den Stöcken in Wabentechnik fortzubauen. Was sie daraus machen, wird am Ende der IGA präsentiert und anschließend in Bronze gegossen. Sailstorfer spielt mit dem Zufall, seine Kreativen sind Fremdarbeiter.

Auch die Märchengestalten von Anna Rispoli und ihrer Arbeit „Nicht alle Geschichten sind erzählt“ stammen nicht von der Künstlerin. Es sind Originale des Bildhauers Gorch Wenske, geschaffen zur Eröffnung des Parks bei der Berliner Gartenschau im Jahr 1987 – der kleine Muck in buntem Fieberglas, ein beinahe nackter Kaiser oder ein schlafendes Dornröschen. Die Künstlerin ist mit ihnen in die Stadt gegangen, hat Winterquartiere in privaten Wohnungen und öffentlichen Einrichtungen gesucht und sich während der kalten Wochen Geschichten aus dem Bezirk erzählen lassen. Dem Mix aus vertonten Erzählungen, Tönen vom Park und aufgezeichneten Geräuschen aus den umliegenden Siedlungen soll man nun unter Bäumen lauschen. Und die Gefahr, dass sie von einem Riesenrasenmäher übertönt werden, ist mit Eröffnung der IGA ungleich kleiner als noch vor ein paar Tagen.

Internationale Gartenausstellung Berlin, Blumberger Damm 44, bis 15.10., tgl. von 9 Uhr bis Einbruch der Dunkelheit, am Eröffnungstag ab 13 Uhr

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