zum Hauptinhalt

Kunst mit Cate Blanchett: Voll auf die Zwölf

Cate Blanchett ist der Star in Julian Rosefeldts Installation „Manifesto“ im Hamburger Bahnhof.

Mit einem struppigen Hund an der Leine und seinen Habseligkeiten auf kleinen Rädern stolpert der Mann durch eine Industrielandschaft, die ähnlich abgerissen wie er aussieht: Ihre Hallen sind halb abgeräumt, die Schlote eingestürzt. Betonschutt türmt sich zu Bergen, auf einem sitzt ein Pavian. Wer hier stutzt, weil Julian Rosefeldt seine filmische Installation „Manifesto“ in und um Berlin gedreht hat, einer Landschaft ohne große Affenpopulation, der sollte sich auch den Obdachlosen näher ansehen. Hinter dem verfilzten Bart verbirgt sich nämlich Cate Blanchett.

Genau wie unter dem Turban einer exzentrischen Choreografin, die das Ensemble im Friedrichstadt-Palast auf Trab hält und ihrem Adlatus auf die Notizen ascht. Die australische Schauspielerin steckt im Blaumann einer Kranfahrerin, die Müll umschichtet, im Kostüm einer Grabrednerin und spielt auch die betrunkene Punkerin, die etwas von Kreationismus lallt. 12 Figuren hat sich der in Berlin lebende Künstler für Blanchett ausgedacht und filmisch inszeniert. Im Hamburger Bahnhof füllt die parallele Projektion aller knapp zehnminütigen Szenen eine große Halle. Und jeder Figur gehen in dieser grandiosen Ausstellung Gedanken durch den Kopf, die nur bedingt zur Rolle passen.

Der Obdachlose imaginiert ewige gesellschaftliche Umbruchzeiten ohne Hierarchie und Lohnarbeit, gepaart mit der Forderung, dass das Versprechen der Moderne sich endlich erfüllen und die Kunst im Alltag nisten soll. Die Choreografin schwärmt von Fluxus, während die Tänzer nach striktem Schema üben müssen, um auf der Bühne nicht übereinander zu fallen. Am Grab beschwört Blanchett mit Dada das Auto als Gefühl und ein Leben ohne Pantoffeln – was durchaus bedenkenswert, aber vielleicht nicht das passende Nachwort für einen Toten ist. Tatsächlich zitiert die zweifache Oscar-Gewinnerin historische Manifeste unter anderem von Guy Debord, Tristan Tzara, Bruno Taut, Kasimir Malewitsch, Sol LeWitt und Filippo Tommaso Marinetti.

Die Begegnung mit Cate Blanchett war Zufall, erzählt Rosefeldt. Eine Vernissage, ein gemeinsamer Bekannter – bald habe man zusammengestanden und über das Medium Film gesprochen. Am Ende des Abends war die Idee einer gemeinsamen Arbeit geboren, die den Künstler nicht losließ. Rosefeldt ist kein Mann der Kurzschlüsse. Aufwendige Werke wie „Lonely Planet“ (2006), „American Night“ (2009) oder jüngst „Deep Gold“, ein dunkles, obsessives Filmprojekt über Berlin in den dreißiger Jahren, dokumentieren seinen Hang zur ästhetischen Perfektion plus Analyse.

Auch in die Manifeste von Futurismus, Suprematismus und Expressionismus hat sich der Künstler tief eingelesen, Blanchetts Monologe, die teils als voice over aus dem Off kommen, teils von ihr selbst gesprochen werden, sind kluge Montagen einer Textgattung, die alles will – poetisch sein, aufklärerisch, demagogisch, revolutionierend. Als die Schauspielerin für die Dreharbeiten von „Monuments Men“ vor zwei Jahren in Berlin war, haben sie die Drehs für „Manifesto“ in einem „wunderbar rauschhaften Zustand“ (Rosefeldt) schnell und intensiv realisiert.

Aufgewacht ist der Künstler offenbar erst wieder kurz vor der Premiere seiner Arbeit im australischen Melbourne: Als er feststellen musste, dass sich die ganze Aufmerksamkeit auf seine Hauptdarstellerin richtete. Blanchett agiert in „Manifesto“ so souverän, dass die Installation weitgehend zu ihrer Performance geworden ist. Dem Künstler Christian Jankowsky erging es vor einigen Wochen ähnlich mit Nina Hoss als Kuratorin seiner Ausstellung in einer Berliner Galerie.

Er hat es flugs zum Prinzip gemacht, Hoss ganz in den Mittelpunkt gerückt und damit auch ironische Medienkritik geübt. Rosefeldt sind solche Mechanismen fremd: Er reagierte mit Rückzug und gab keine Interviews mehr. Auch vor der Eröffnung von „Manifesto“ im Hamburger Bahnhof will er die Journalisten lieber im Ausstellungsraum sehen, als befragt zu werden. Dass er die Schriften meist „zorniger junger Männer“ einer Frau übergeben hat, um sie ein Stück weit zu verfremden, ist ihm dennoch zu entlocken. Und dass Rosefeldt die großen Worte, Anklagen und Forderungen noch einmal testen will: Ob sie taugen für eine Gegenwart, in der „so viel ohne relevanten Inhalt geredet und gebrüllt“ wird.

Auf dieser Ebene ist „Manifesto“ ein mächtiges Werk, in dem Bild und Text auseinanderstreben und dennoch zusammen auf den Betrachter wirken. Vergessen darf man allerdings nicht, dass die rhetorisch virtuosen Manifeste meist im Künstlerischen siedelten. Wenn sie den Kosmos verließen, barg ihr radikales, anarchisches Potenzial auch Gefahr. Wie im Fall des italienischen Futuristen Marinetti, der seine Visionen nach 1918 im Faschismus bestens aufgehoben sah.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50/51, bis 10. Juli, Mo/Di/Fr 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr

Zur Startseite