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Kunst & Markt: Bewegliche Phantome

Kunsthandel Werner & Villa Grisebach: Zwei Ausstellungen beleuchten Willi Baumeisters Frühwerk.

Eine Figur schreitet durch felsiges Gebiet. Ein wenig täppisch und zugleich von großer Würde, gefolgt von einer kleineren im Hintergrund. Die Köpfe nur angedeutet, sitzt dennoch eine schalkhafte Leichtigkeit darin, fast comicartig und umweht von kräftigen Windstößen.

Ebenso gut könnte es sich bei dem Motiv, das aktuell im Kunsthandel Wolfgang Werner zu sehen ist, um Steinformationen handeln. Die karstige Oberfläche, das helle Umbra und Farbflecke aus Ocker und rötlichem Braun deuten darauf hin, lassen im Vordergrund eine Art Findling erkennen. Schwarz umschattet, ein Fels in stürmischen Zeiten. Wie auch sein Schöpfer. Willi Baumeisters „Studie in Erdfarben“ (270 000 Euro) ist ein raffiniertes Amalgam amorpher und organischer Strukturen, in dem sich das Formenrepertoire der Eidos-Bilder – der Platon’schen Idee – ankündigt.

Die faszinierende Leinwand entstand zwischen 1936 und 1938. Da hatten die Nationalsozialisten Baumeister bereits aus der Professorenstelle an der Frankfurter Städelschule verjagt. Das offizielle Berufsverbot erfolgte 1941, seine Bilder wurden in Deutschland bis 1945 nur noch einmal gezeigt – in der Schandausstellung „Entartete Kunst“. Gemalt hat der 1889 geborene Künstler trotzdem. Im Verborgenen und vollkommen unbeirrt von jedweder Nazi-Doktrin entwickelte Baumeister die abstrakte Malerei weiter. Zu deren renommierten Vertretern gehörte der Stuttgarter, der ebenda gemeinsam mit Oskar Schlemmer bei Adolf Hölzel studiert hatte, bereits seit Beginn der 20er Jahre, als seine Mauerbilder national und international für Furore sorgten. Allem voran in Frankreich, wo Le Corbusier schrieb: „Beweglichkeit, das ist seine Charakteristik.“

Mit den Mauerbildern suchte Baumeister, der zeitgleich als Bühnenbilder Neuland betrat, eine „neue Architektur“. Kontrastierte geometrische Grundformen und Flächigkeit mit eingepassten Mauerteilen aus Pappmaché. Wie das Bein und die Schulterpartie der linken von „Zwei Figuren mit Rosa und Blau (Mauerbild)“ von 1920. Die strenge, aber dennoch heitere Reduktion ist hier wie auch in der Gouache „Mensch und Maschine“ oder der Bleistift- und Kohlezeichnung „Schachspieler“ noch von konstruktivistischen Elementen bestimmt, die Verwandtschaft zu Freunden wie Schlemmer oder Fernand Léger unverkennbar. Doch mit seinen Materialexperimenten – den reliefartig erhöhten Mauerpartien oder dem Volumen verstärkenden Sand – ging Baumeister eigene Wege. Das beweist die Leinwand „Skizze zu Figurenbild (Der Maler)“ von 1923 sehr spannungsvoll.

Die Ausstellung im Kunsthandel Wolfgang Werner schlägt einen Bogen, in dem sich beispielhaft Baumeisters Entwicklung ablesen lässt. Von den auf dem Kunstmarkt seltenen und nach wie vor unterschätzten Frühwerken bis zu einem um 1950 entstandenen „Dialog in Weiß“ (210 000 Euro). Die Zeichnung „Ballspieler (Figur malerisch)“ markiert 1936 den Wandel vom Purismus zur Zeichenhaftigkeit der späteren, kalligrafisch inspirierten Ideogramme. Zu den Highlights der 40er Jahre gehören die „Afrikanischen Geister“ (290 000 Euro), die 1955 auf der ersten Documenta in Kassel ausgestellt waren. Das Archaische, die Mythen und Urbilder lagern sich in der rauen Haptik der mit Kunstharz und Spachtelkitt gemischten Ölfarbe ab wie tiefe Erinnerungsschichten. Symbole und Zeichen, die der Künstler während der inneren Emigration studiert und zu eigenen Metaphern transformiert hat. Angeregt durch geistige Reisen in prähistorische und ferne Kulturen. Im Spätwerk kulminieren sie in den immer abstrakter werdenden Phantombildern, den Montarus oder Arus, mit denen Baumeister seine Bildsprache noch einmal neu erfinden konnte, bevor er 1955 mit dem Pinsel in der Hand in seinem Atelier verstarb.

Es mag an der vibrierenden Frische dieser letzten Phase liegen, dass Willi Baumeister in der öffentlichen Wahrnehmung bis heute als Protagonist der Nachkriegsabstraktion gilt. Was sich auch auf dem Kunstmarkt spiegelt, wo vor allem Werke ab 1952 Preise bis in den oberen sechsstelligen Bereich erzielen. Nicht zuletzt ist es aber auch in seiner herausragenden Stellung als Integrationsfigur im Deutschland der Nachkriegsjahre begründet, in denen er wie kein Zweiter an seine Kontakte in europäische Nachbarländer nahtlos anknüpfen konnte.

Erinnert sei jedoch ebenso an sein wortmächtiges Eintreten für die geistige Freiheit und die Abstraktion wie an die theoretische Schrift „Das Unbekannte in der Kunst“. Geschrieben 1943–45 im Angesicht der Katastrophe, hat Baumeister mit der 1947 veröffentlichten Publikation Maßstäbe für das künstlerische Denken gesetzt. Ebenso wie mit seinem Wirken als Professor an der Kunstakademie Stuttgart, wo derart unterschiedliche Künstler wie Peter Brüning oder Charlotte Posenenske, deren Werk seit einigen Jahren wiederentdeckt wird, zu seinen Studenten gehörten.

Zu den Stars am Markt, die zu Höhenflügen und Millionenpreisen anstacheln, gehört Baumeister nicht. Vielmehr ist er zu einer konstanten Größe avanciert, die geradezu monolithisch präsent scheint. Die eher ruhige, aber eben beständige Popularität sieht Wolfgang Werner darin begründet, dass die Familie um Tochter Felicitas Baumeister den Nachlass sorgsam hütet, wichtige Werke als Dauerleihgaben oder Schenkung in Museen gibt.

In diesem Zeichen steht auch die Ausstellung in der benachbarten Villa Grisebach, deren 29 Papierarbeiten (Preise: 8800–68 000 Euro) aus dem Baumeister-Nachlass kommen. Das eine oder andere, so „Hochsprung und Läufer“, bleibt dabei recht skizzenhaft. Dafür geben zwei Blätter aus dem wunderbaren Gilgamesch-Zyklus, die Perforationen oder Ritzfiguren, Positiv- und Negativformen in der zweidimensionalen Fläche ausreizen, einen ergänzenden Blick auf den Reichtum seiner schier überbordenden Schöpferkraft. Zudem wird mit der hinreißenden kleinen Collage „Montaru mit Gondel VIII“ von 1954 das zeitliche Spektrum abgerundet. Sie ist allerdings – wie auch alle Werke ohne Preisangabe bei Werner – bereits verkauft.

Kunsthandel Wolfgang Werner, Fasanenstr. 72; bis 9. 11., Di–Fr 10–18 Uhr, Sa 11–15 Uhr / Villa Grisebach, Fasanenstr. 25; bis 19.10., Mo–Fr 10–18.30 Uhr, Sa 11–16 Uhr

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