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Pauline Étienne spielt eine junge Frau, die gegen ihren Willen Nonne werden soll.

© Berlinale

"La Religieuse": Die Neinsagerin

Martyrium hinter Klostermauern: Pauline Etienne spielt in „La Religieuse“ eine Nonne, die "ich" sagt - und damit für die Kirchenoberen zum pathologischen Fall wird.

Jacques Rivettes „La Religieuse“ („Die Nonne“) wurde 1966 noch am Tag seiner Vorführung im Wettbewerb von Cannes verboten. Etwas Besseres konnte dem Nouvelle-Vague-Regisseur kaum passieren, das Verbot machte seinen Film zum interessantesten des Festivals, und Rivette verwandelte eine ganze Nation in Diderot-Leser. Die Kritiker jedoch waren enttäuscht. Sie hätten nicht geglaubt, dass die Nouvelle Vague so langweilig sein kann.

Nun hat sich Guillaume Nicloux („Le poulpe“, „Un affaire privée“) an die Neuverfilmung gewagt, und irgendwann, vielleicht in der 67. oder 69. Minute von 114 fragt man sich ganz vorsichtig wie einst die Kritiker in Cannes: Ist das nicht ein wenig langweilig? Die Antwort lautet nach der 114. Minute: Nein, eher nicht.

Denn es gibt verschiedene Arten der Langeweile; bei manchen wird man so erst durchlässig für das Werk, schwingt sich auf sein ureigenes Zeitmaß ein. Und das ist nicht zuletzt das Verdienst von Pauline Etienne als Nicht-Nonne, die Nicloux für seinen Film entdeckt hat. Beinahe ikonenhaft wirkt sie und ist zugleich, was Ikonen höchst selten sind: ein Kobold, im Trotz noch voller Anmut und in der Anmut nicht ohne Trotz.

Die Geschichte: Suzanne Simonin soll ins Kloster und sagt nein. Und muss trotzdem gehen. Und sagt, bei der alles besiegelnden Zeremonie, wieder nein. Es ist ungeheuerlich, dieses Nein.

Natürlich hat einen Aufklärer wie Diderot diese Regung des Eigenwillens interessiert. Warum kann eine nicht, was fast alle andere können, zumal ihr Geschlecht ein Abonnement auf Unterwerfung zu haben scheint?

Diderot feiert dieses Ich, das sich nicht austreten lässt, und Nicloux feiert mit. Das ist eine universelle Geschichte, noch immer, mit unverhofften christologischen Pointen: Wer nicht gegen sein Gewissen handeln kann, ist der nicht der wahre Mensch? Und diesem Mädchen stehen immerhin noch Berufungsinstanzen zu Gebote, die wir oft nicht mehr haben: nämlich den Herrn selbst. „Ich konnte nicht lügen, Gott hat es abgelehnt“, sagt sie. Man kann diesen gottfunkelnden Satz auch anders interpretieren, dann birgt er den Abgrund selbst. Seit es das Christentum gibt, ist klar, woher das Böse kommt: aus dem menschlichen Ich-Sagen, aus dem Eigenwillen. Für die neue Oberin (Louise Bourgoin) wird Suzanne zum pathologischen Fall. Krank, vom Teufel ist alles, was sie sagt.

Die Ich-sage-nein!-Nonne beginnt ihr Martyrium hinter den Klostermauern. Wie Pauline Etienne das spielt! Einmal ist sie nicht viel mehr als ein getretenes Stück Kreatur, schon untergegangen in der verratenen Schöpfung. Religion ist eine dämonische Welt. Aber im nächsten Augenblick – und fast nichts ändert sich an Szene und Beleuchtung – wird ihr Gesicht zu dem des Gekreuzigten selbst. Und keine der allzu Frommen, deren Glaube ein gutes Maß für ihre Grausamkeit ist, sieht das, schon gar nicht die Oberin.

Ja, die junge Pauline Etienne trägt diesen Film. Martina Gedeck als Mutter dieses Kindes mit dem unauslöschlichen Weltschrei macht noch ihre Nebenrolle zur kleinen Hauptrolle, ebenso wie Isabelle Huppert als Oberin des nächsten Stifts, in das die Widersetzliche verbannt wird. Oberin Huppert verfällt der Neuen sofort. Welch geschützter Raum für Frauen, die Frauen lieben, ist doch so ein Kloster! Welch Versuchungs-Raum.

Nicloux, geboren 1966, sah sich schon fast in ein Priesterseminar eintreten, als ihm „Musik und Sexualität“, „Punk und Anarchie“ dazwischenkamen. Der Punker las Diderot und hat ihn nie wieder vergessen. Er hatte mit einer Hommage an die schwarzen Thriller des Jean-Pierre Melville seinen Durchbruch geschafft. „La Religieuse“ ist sein erster Kostümfilm, wenn man unter dieser Albernheit von Begriff das zusammenfassen will, was von Menschen handelt, die ein wenig anders angezogen sind und ein wenig anders denken als wir. Anders? Was „La Religieuse“ stark macht, ist, dass er das Gegenteil beweist. Wir leben in Zeitschleifen.

Irgendwie war das späte 18. Jahrhundert Diderots aufgeklärter als unsere Ära der neureligiösen, geistig zunehmend unscharfen Befindlichkeiten.

11.2., 12 Uhr (Friedrichstadt-Palast) und 20 Uhr (HdBF), 17.2., 18.15 Uhr (Friedrichstadt-Palast)

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