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Zitterndes Herz. Laila Salome Fischer, 25, singt heute im Kammermusiksaal.

© Thomas Jäger

Laila Salome Fischer: Alles hängt an einem Ton

Im Scheinwerferlicht zählt alles, drumherum nichts: Wie die Sopranistin Laila Salome Fischer die letzten Momente vor dem Auftritt erlebt. Ein Garderobenbesuch.

Laila schreckt hoch. Aus dem Kabinenlautsprecher erklingen die letzten Takte von Mozarts erster Sinfonie. Noch wenige Minuten bis zu ihrem Auftritt. Ein paar Schnelldurchgänge am Klavier. Laila schlägt eine Taste an und summt eine Tonleiter, mit geschlossenem Mund, dann mit halb offenem, so laut wie möglich. Noch hört niemand zu. Ihre Stimme verliert sich im Teppich der Solistenkabine. Vor dem Spiegel: Lippenstift auftragen. Laila legt ihre Haare nach vorne und streicht sie glatt, immer wieder, es wirkt wie ein Ritual. Das Seidenjäckchen zum grauen Abendkleid oder nicht. Sie entscheidet sich dafür. Ein Gong ertönt.

Laila Salome Fischer, geboren 1987 in Berlin, begann im Alter von acht Jahren mit dem Gesangsunterricht. Während der Schulzeit war sie Stipendiatin des Julius-Stern-Instituts an der Universität der Künste. Dort studierte die Sopranistin ab 2006 Gesang bei Julie Kaufmann. Bis zum Sommer vergangenen Jahres, seitdem ist sie freie Opernsängerin. An diesem Abend wird Laila beide Arien der Königin der Nacht im Kammermusiksaal singen, zum ersten Mal öffentlich. Jeder, sagt Laila, kenne die Arien aus Mozarts Zauberflöte, jeder habe eine Meinung. Wenn das hohe F zum Schluss der Partie „O zittre nicht“ wegbreche, breche alles weg: Die Zustimmung des Saals und die Zuversicht des Solisten. Alles hänge an einem Ton.

Zwei Stunden vorher: Generalprobe im Kammermusiksaal. Stimmengewirr hallt durch die leeren Sitzreihen. Dirigent Ulrich Riehl begrüßt Laila per Handschlag. Riehl, eigentlich Trompeter, tritt seit fünf Jahren mit seinem Orchester Berlin Classic Players regelmäßig im Kammermusiksaal der Philharmonie auf. Den Einsatz des Orchesters gibt ein knappes „Bitte sehr“. Laila steht am Bühnenrand, den Kopf zur Seite gelegt und die Augen geschlossen. Später erklärt sie, die Aufregung vor dem Konzert hänge ganz von der Anspielprobe ab, je besser die Probe, desto geringer die Aufregung. Mitten in der ersten Arie wird plötzlich die Tür aufgerissen. Ein junger Mann geht mit donnernden Schritten über die Bühne. Laila singt weiter. Der Mann nimmt einen Schlüsselbund vom Dirigentenpult, schlendert zurück und verschwindet hinter der krachenden Tür.

Nach der Probe schließt sich Laila in die Solistenkabine ein, im Schneidersitz auf dem Klavierhocker, ihr iPhone in der Hand. Sie skypt mit einer Freundin. Zwischendurch lauscht sie einer Gesangsaufnahme der Generalprobe. Einen Moment lang wirkt sie zehn Jahre älter. Dann wieder parodiert sie eine Passage der Rache-Arie mit einem Krächzen, sie sagt „ist auch geil eigentlich, dass es da so hoch geht“ und scheint um zehn Jahre verjüngt.

Der Kabinenlautsprecher überträgt Gesprächsfetzen und Gelächter aus dem Saal. Noch eine Viertelstunde bis zum Konzert. Während die Menschen im Saal auf einen Abend hoffen, bei dem sich der Alltag zwischen den Tönen verflüchtigt, übt Laila. Wohl zum hundertsten Mal singt sie die Zeile „Tod und Verzweiflung“, damit es für eine entscheidende Sekunde wirklich nach Tod und Verzweiflung klingt. Ihr Notenheft ist voller Markierungen: umkreiste Silben, zur Erinnerung, sie nicht zu verschlucken, Striche über den Noten, eingezeichnete Akkorde. Einmal übte sie die Rache-Arie in einer Berliner Kneipe und begleitete sich selbst auf einer Ukulele. Jemand drehte ein Video, stellte es bei Youtube ein, nach wenigen Tagen erhielt Laila einen Anruf von einem österreichischen Produzenten. Ob Sie Lust habe, eine Single zu produzieren, sie, die Arie und die Ukulele. Mitte dieses Jahres soll sie erscheinen.

Die Stimmfetzen aus dem Kabinenlautsprecher verstummen. Erster Applaus, Ulrich Riehl eröffnet das Konzert. Laila streicht sich über die Haare. Sie beginnt, Fragen zu stellen. Warum sie sich den Stress antue, vor jedem Auftritt. Warum sie sich immer wieder von Neuem ausliefere, an einen einzigen Augenblick. Wie sie sich für einen Beruf entscheiden konnte, bei dem im Scheinwerferlicht alles zähle, drumherum nichts. Und ob es schlimm sei, dass sie so kurz vor ihrem Auftritt nicht das Bild einer Künstlerin liefern könne, die sich ins WC erbreche.

Dann der Gong. Der Weg durch den Korridor, der mit jedem Schritt länger zu werden scheint. Vorbei an der Bar und den neugierigen Blicken der Mitarbeiter. In der Ferne leuchtet ein Schild: „Bühneneingang“. Der Pförtner summt die letzten Töne des Konzerts, Laila die ersten der Arie. An der Wand drei Erste-Hilfe-Kästen und ein Defibrillator. Ein Monitor zeigt die Bühne, die Bewegungen des Dirigierstocks. Applaus. Dirigent und Solistin verbeugen sich. Sie kommen zur Tür und treten aus dem Bildschirm. Ulrich Riehl tupft sich den Schweiß von der Stirn. Er nimmt einen Schluck Multivitaminsaft, sagt „Ah, da ist ja schon die Laila“ und tritt mit ihr hinaus, ins Scheinwerferlicht und das Blickfeld von mehr als tausend Augenpaaren. Nach wenigen Takten ist Lailas klare Stimme zu hören: „O zittre nicht, mein lieber Sohn“.

Der Aufritt scheint nur wenige Momente zu dauern. Ulrich Riehl und Laila treten aus dem Bühneneingang, mit erhitzten Gesichtern. Von den Zuschauerrängen frenetischer Applaus. Dirigent und Solistin treten zurück ins Scheinwerferlicht, um sich zu verbeugen. Zwei Mitglieder des Orchesters wollen ein Foto mit Laila machen. „Übrigens“, fragt Riehl seine Solistin, „wie oft haben sie die Königin der Nacht-Arien eigentlich schon gesungen?“ Das solle man ja eigentlich nicht sagen, antwortet Laila, aber: zum ersten Mal. Riehl lächelt: „Hätte ich das gewusst.“

Kammermusiksaal, 10.5., 20 Uhr

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