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Das Land der Griechen mit der Seele suchen. Friedrich Wilhelm Murnau (rechts) und sein Freund Hans Jahnke, Brandenburg 1927.

© Murnau/Deutsche Kinemathek

Murnau-Fotografien: Legt doch schon mal ab

Friedrich Wilhelm Murnau hat düstere Filme gedreht. Seine Privatfotos dagegen sind heiter, wie das Schwule Museum in Berlin zeigt.

Blue Boy und Dornauszieher – das sind zwei Schlüsselmotive schwuler Kulturgeschichte: Beide kommen in dieser Ausstellung des Schwulen Museums über Friedrich Wilhelm Murnau in Varianten vor. Zumindest vier Werke dieses deutschen Stummfilm-Großmeisters, „Nosferatu“ (1922), „Der letzte Mann“ (1924), „Faust“ (1926) und der in den USA gedrehte „Sunrise“ (1927) gehören zu den kanonisierten Klassikern der Filmgeschichte, alles jedoch Filme, mit denen sich Murnau nicht gerade der Homosexualität verdächtig machte. „Der Knabe in Blau“ (1919) heißt der erste verschollene Film Murnaus; und das im Film verwendete, dem Gainsborough-Original aus dem 18. Jahrhundert nachempfundene Gemälde ist ebenso ausgestellt wie ein Blue-Boy- Kostüm, das Marlene Dietrich auf einem Maskenball trug. Die antike Plastik des Knaben, der sich einen Dorn aus dem Fuß zieht, ist wiederum auf einem der Fotos aus Murnaus Privatalbum aufs Possierlichste nachgestellt.

Die Ausstellung in den großzügig bemessenen, neuen Räumen des Schwulen Museums konzentriert sich zwar auf ein Konvolut von privaten Fotografien aus dem Nachlass Murnaus, die eine Vorliebe des Meisters für einen bestimmten Typus von jungen Männern mehr als deutlich demonstrieren, versucht aber auch, andere schwule Spuren in dessen Biografie und Werk zu entdecken. Das beginnt bei etwas mühsam konstruierten Zusammenhängen wie Murnaus Freundschaft zum Schauspieler Conrad Veidt, der 1919 zwar die Hauptrolle in „Anders als die anderen“, dem ersten Film über Homosexualität überhaupt, spielte, aber ansonsten ein bürgerliches Familienleben führte und um 1920 mehrfach mit Murnau drehte. Porträtpostkarten Veidts an Murnau sind zwar hübsche Exponate, deuten aber allenfalls auf ein gewisses Maß an Eitelkeit des Schauspielers hin.

Andere von Murnau gepflegte Männerfreundschaften waren Liebesbeziehungen – durften aber selbst im Berlin der wilden Zwanziger nicht öffentlich gelebt werden. Murnaus Sicht auf herkömmliche Ehen war äußerst unfreundlich: Frauen führen Männer aus Habgier an der Nase herum oder opfern sich auf, Männer geben sich gar dem religiösen Wahn statt ihren Frauen hin. Lustiger geht es in „Die Finanzen des Großherzogs“ (1924) zu, einer Komödie über den verarmten Adel in mediterranem Ambiente, deren Held großen Gefallen an den einheimischen Fischerjungen findet. Bei den Dreharbeiten an der kroatischen und montenegrinischen Adria war der Maler Walter Spies mit von der Partie, Murnaus enger Freund seit 1920. Die beiden wohnten sogar zusammen im Haus der Eltern von Murnaus erster Liebe, Hans Ehrenbaum-Degele, der bereits 1915 in Krieg gefallen war. Die großbürgerlichen, liberalen Ehrenbaums akzeptierten offenbar nicht nur die Homosexualität ihres Sohnes, sondern ließen dessen Geliebten Murnau weiterhin in ihrer Grunewald-Villa wohnen, sogar mit einem neuen Mann. Kurz nach Beendigung der Dreharbeiten brach Spies in die Südsee auf, Murnau folgte einige Jahre später, um dort „Tabu“ (1931) zu drehen, der weniger ein unberührtes Paradies als die europäische Sehnsucht danach dokumentiert – die Lendentücher der Eingeborenen befinden sich im Fundus der Deutschen Kinemathek.

Kurator Wolfgang Theis hat Fotos, Briefe und Dokumente aus dem Murnau- Nachlass ausgestellt, um die Hauptexponate zu flankieren: Das sind 64 großformatige Abzüge von Glasnegativen, die zwischen 1924 und 1929 mit einer stereoskopischen Kamera aufgenommen wurden. Eigentlich waren diese Fotografien dazu gedacht, mit einem Betrachtungsgerät angeschaut zu werden: Zwei fast gleiche, in natürlichem Augenabstand versetzt aufgenommene Bilder vermittelten, zusammen betrachtet, einen Eindruck von Raum, wie ein Blick durch das ausgestellte Gerät zeigt.

Der Raumeindruck fällt weg bei den Abzügen an der Wand, aber es wird trotzdem deutlich, worum es dem Fotografen Murnau ging: hübsche, nackte Körper knapp erwachsener Männer im Sonnenschein, am Wasser, in lasziven Posen, an Seen, Pools, auf Bootsdecks in Berlin und Hollywood; einer stellt eben den Dornauszieher nach, ein anderer rekelt sich auf einer Liege, ein dritter schaut verheißungsvoll direkt ins Objektiv. Ob der damals knapp vierzigjährige Künstler sie lediglich zur Befriedigung seiner voyeuristischen oder gar seiner fleischliche Begierden einlud, ist ungewiss.

In Murnaus Hollywood-Villa wiederum sind dann die stämmigeren Schauspieler Johnny Weissmuller, der spätere erste Tarzan-Darsteller, und George O’Brien, Murnaus Hauptdarsteller aus „Sunrise“ zu Gast. In den USA galt Murnaus Interesse allerdings auch der Umgebung: Er nahm Großstadt-, Straßen- und Landschaftsszenen auf, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind und denen die Neugier des Fotografen auf die neue Welt anzumerken ist.

Das Erstaunliche und Entdeckenswerte an diesen Fotografien ist, dass sie durchweg eine heitere, gelöste Stimmung präsentieren. Nichts von der Düsterkeit der Murnau’schen Filme, nichts von der Angespanntheit, die Murnau selbst auf Porträtfotos zur Schau trägt, ist auf ihnen festgehalten, keine Spur von Scham übers Nacktsein, keine Anstrengung. Murnau muss es als Gastgeber und als Fotograf verstanden haben, gute Laune zu verbreiten.

Am 28. Dezember wäre Friedrich Wilhelm Murnau, 1888 in Bielefeld geboren, mit nur 43 Jahren bei einem Autounfall in Santa Monica gestorben, 125 Jahre alt geworden.

Schwules Museum, Lützowstraße 73, Die Ausstellung läuft bis zum 10. März 2014. Öffnungszeiten: So, Mo, Mi–Fr 14–18 Uhr, Sa 14–19 Uhr, Di geschlossen.

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