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Konzernprodukte. Büchertisch des Münchner Piper Verlags in Leipzig.

© dpa

Leipziger Buchmesse: Freiheit ist die größte Lust

Mit der Übernahme von Blumenbar durch den Aufbau Verlag verschwindet ein innovativer Außenseiter. Doch auch in Zeiten Marktkonzentration versuchen Verlage unabhängig zu bleiben.

Von Gregor Dotzauer

Der Triumph der Hoffnung über die Erfahrung empfiehlt sich in vielen Lebenslagen. Was Samuel Johnson einmal über die Motivation zweiter Ehen gesagt haben soll, lässt sich vielleicht auch auf die Aussichten unabhängiger Verlage in konzernbeherrschten Zeiten anwenden. Als Eingeständnis vernunftwidrigen Handelns, das Felicitas von Lovenberg den Teilnehmern einer Diskussion zum Thema auf der Leipziger Buchmesse abverlangen wollte, taugt das Bonmot allenfalls zur koketten Provokation.

Manche, wie die langjährige Chefin des Berlin Verlags und neue Prinzipalin von Hanser Berlin, Elisabeth Ruge, könnten für sich eher in Anspruch nehmen, sie seien aus Schaden endlich klug geworden. Andere, wie Dennis Loy Johnson, der Verleger der Brooklyner Melville Books (mhpbooks.com), würden ihre Zustimmung mit dem Hinweis verknüpfen, dass aus der Lust am Widerstand ein ungeheurer Stolz entstehen könne – und sogar ökonomischer Erfolg.

Und wieder andere wie Wendelin Hess, Mitbegründer des kleinen Basler Echtzeit Verlags, dürften behaupten, die Vorteile unabhängigen Programmmachens mit den vermeintlich schlimmsten Nachteilen eines schutzlosen Wettbewerbs zu kombinieren: Erst vor einer Woche sprachen sich die Schweizer in einer Volksabstimmung mehrheitlich für die Abschaffung der Buchpreisbindung aus. Hess jubelt: Ex Libris, der größte Online-Versender der deutschen Schweiz, habe ihm schon immer hohe Verkaufszahlen beschert, neue Rabatte schreckten ihn nicht. Und: Endlich könne er den treuen Kunden seiner Buchhandlung oder der Echtzeit-iPad-App auch etwas schenken.

Gibt es auf diesem Gebiet etwa keine Regeln? Das Problem ist, dass schon hierzulande die Definition von Abhängigkeit und Unabhängigkeit unter vielen Aspekten betrachtet werden muss. Der Berlin Verlag, 1994 als unabhängiger Verlag von Ruge mitgegründet, begab sich fünf Jahre lang unter die erdrückenden Fittiche der Bertelsmänner und -frauen von Random House, wechselte dann zu Bloomsbury, einem unabhängigen, aber börsennotierten, das heißt, gegenüber seinen Anteilseignern zu Profit verpflichtetem Unternehmen. Demnächst kommt er, wenn das Kartellamt zustimmt, zum Piper Verlag, der zusammen mit den Ullstein Buchverlagen und Carlsen wiederum Teil des schwedischen Bonnier-Imperiums ist. Ruge behauptet mit Recht, dass literarische Verlage an der Börse nichts verloren haben. Höchstens Wissenschaftsverlage, die realistische Fünfjahrespläne aufstellen könnten, seien dazu in der Lage. Eichborn, unlängst an Bastei-Lübbe verkauft, kann ein Lied davon singen.

Wenn der Berliner Blumenbar Verlag nun, wie während der Messe bekannt gegeben wurde, als Imprint von Aufbau zu überleben versucht, so gliedert er sich zwar Matthias Kochs Familienbetrieb ein. Aber nicht nur, dass Blumenbar-Altverleger Wolfgang Farkas jede Programmverantwortung an Aufbau-Geschäftsführer René Strien abtreten musste – die Leitmarke will wirtschaftlich und programmatisch selbst nicht auf die Beine kommen. Und dass privatere Strukturen mitunter auch privatere Umgangsformen nach sich ziehen, zeigt die jüngste Auflage des Suhrkamp-Dramas, in dem Minderheitsgesellschafter Hans Barlach am 9. Mai vor Gericht Ulla Unseld-Berkéwicz aus der Geschäftsführung kanten will.

Jeder Fall verlangt hier nach seiner eigenen Betrachtung. Doch man kann Dennis Loy Johnson schlecht widersprechen, in Deutschland und seiner (durch harte Rabattverhandlungen de facto bereits stark geschleiften) Buchpreisbindung das „beste literarische Ökosystem“ der Welt zu sehen, gefolgt von Frankreich, auf das mit der geplanten Übernahme der zum Verkauf stehenden Verlagsgruppe Flammarion durch Gallimard auch schwere Konzentrationsprozesse warten.

Das Elend in den USA habe, so Johnson, in den sechziger Jahren begonnen, als die Traditionshäuser aus privater Hand an Konzerne gingen und ihr Geist irgendwann auf der Strecke blieb. Johnson kann sich rühmen, Hans Fallada, der bei Simon & Schuster war, wieder populär gemacht zu haben. Von Penguin hat er Böll übernommen, von Knopf Imre Kertész, und mit „Debt“, der im Mai bei Klett-Cotta auf Deutsch erscheinenden Studie des Ethnologen, Anarchisten und „Occupy“-Mitbegründers David Graeber, über das Prinzip des Schuldenmachens einen Bestseller verlegt. Leider erscheint Grabers nächstes Buch bei Random House.

Johnsons Feind Nummer eins aber sind die monopolistischen Bestrebungen von Amazon. In ihnen sieht er eine Politik der verbrannten Erde, die alle herkömmlichen Strukturen von Produktion und Distribution mit kopflosen Investitionen zerstört – ohne bisher, wie er vermutet, dem Online-Riesen selbst Gewinne zu bringen. Zu Amazons Feldzug gehört, in mehreren Bundesstaaten die Umsatzsteuer zu umgehen, weil ja keine physischen Filialen existieren. Kleinverlage wie Echtzeit tauchen unter dieser Bedrohung noch erfolgreich hindurch: Als Hersteller und Vertreiber von markanten – und überschaubaren – Inhalten liegt im All-in-one-Angebot ihre Chance. Nur das iPad müssen sich ihre Kunden von Apple kaufen.

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