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Kultur: Lili und die Lebensgeister

Burlesk und bitter: „Sommer in Orange“ – Marcus H. Rosenmüllers Abgesang auf Bhagwan

Sieben Kinofilme hat der 1973 geborene Bayer Marcus H. Rosenmüller in nur fünf Jahren gedreht, und in allen geht es ziemlich deftig um seine katholische Heimat Bayern – und das allermeist aus Kinderperspektive. Unvergessen vor allem sein mit Abstand größter Hit, der Erstling „Wer früher stirbt, ist länger tot“: Darin sucht der kleine Sebastian seinem verwitweten Papa eine neue Frau und muss sich, umtost von einem höllisch turbulenten Geschehen, immer wieder mit allerlei burleskem Fegefeuer-Hokuspokus herumschlagen.

Hätte da also sonst irgendwer Ursula Grubers Drehbuch verfilmen dürfen – die Erinnerung an ihre Kindheit in einer bayerischen Bhagwan-Kommune der frühen achtziger Jahre? Wohl kaum. Und hätte bei dem Regisseur nicht zwingend erneut eine Transzendental-Klamotte herausspringen müssen, mit sexy Grenzüberschreitungen sektenbenebelter BhagwanJünger, die sich oberkomisch an den Regeln der oberspießigen Dorfgesellschaft reiben? Eigentlich schon. Doch es kommt durchaus anders in „Sommer in Orange“, angenehm anders.

Nicht, dass die krachledernen Elemente fehlen würden. Es gibt den CSUDorfbürgermeister reinsten Voralpenwassers, und es gibt den nervtötenden „Energie“-Sprech der aus Berlin zugezogenen Wallekleider-Kommune. Es gibt den aus Poona herbeigeschafften „Stein der Erleuchtung“ im Garten des „Therapiezentrums“, und es gibt die hermetische Freizeitvereinswelt der heimattreuen Hinterwäldler. Und diese Widersprüche werden bald, so handfest wie brauchtumsgerecht, beim örtlichen Schützenfest ausgetragen – in einer Schlägerei zwischen Sennbauernbuben und Sannyasins.

Aber das ist bloß Rambazamba, jenes Remmidemmi, das auch der postmodernste bayerische Heimatfilm seinen Kontrasten abverlangt. Hinter dem durchaus amüsanten Kulissenzauber aber verbirgt sich eine ernsthafte Coming-ofAge-Geschichte. Denn Rosenmüller betrachtet das tolle Treiben konsequent aus der Perspektive eines zwölfjährigen Mädchens, das im Culture Crash zwischen den lärmend libertären Sannyasins und den versteinerten ländlichen Repressionsstrukturen seelisch verloren zu gehen droht. Denn die einander feindlich gesonnenen Herzensheimatangebote, die sich ihr fortwährend aufdrängen, sind gleichermaßen untauglich. Da bleibt nichts, als den Weg raus ins Eigene zu finden.

Lili (Amber Bongard) und ihr drei Jahre jüngerer Bruder Fabian (Bela Baumann) sind mit ihrer Mutter Amrita (Petra Schmidt-Schaller) erstmal raus aus Kreuzberg und rein nach Talbichl in eine geräumige Tenne geraten. Der Vater ist weg, zu Greenpeace nach Hamburg; dafür kümmert sich Amrita jetzt mit Siddharta (Georg Friedrich) hingebungsvoll um ihre esoterische Persönlichkeitsveredelung. Die Mitbewohner auf dem Bauernhof hören auf die klingenden Sannyasin-Namen Gopal (Oliver Korittke), Leela (Brigitte Hobmeier) oder Chandra (Wieke Puls). Nur Brigitte (Daniela Holtz) heißt noch Brigitte – aber auch sie fiebert ihrer Bhagwan-Taufe mit obligatorischer „Mala“-Halskette entgegen.

Wenn da nicht die, nun ja, freie Liebe und „dynamische Meditation“ wären, die rötlich schimmernden Gewänder, die „Om“-Chöre und das mitunter bedrohlich gehirnweißwaschende „Arbeiten“ aneinander, wäre die Gruppe von einer normalen WG kaum zu unterscheiden. Von Leuten, die sich in ihrem Sozialverhalten zumindest ein bisschen verbessern wollen und doch stets mit ihren Spießerprägungen zu kämpfen haben – böse alte Geschlechterrollen inklusive. So ist auch der zum Tennen-Tempelfest anreisende Ober-Guru Prem Bramana (Thomas Loibl) nur ein Macho im Schmusepelz – und als er dem eher drögen Siddharta die knusprige Amrita zum höheren Wohle der Gemeinschaft ausspannt, muss Siddharta ganz, ganz tapfer sein.

Natürlich ist das komisch. Und lächerlich. Und doch, weil es bis in die präzise Diktion an die Wahrheit des kollektiven Selbstbetrugs jener Jahre heranreicht, durchaus schmerzhaft. Für die Kinder aber – und Rosenmüller hält hier fein die dramaturgische Balance – wird es plötzlich lebensentwicklungsgefährlich: Als ihre Mutter mit Prem Bramana in Oregon die „Stadt der neuen Menschen“ mitgründen will, sollen sie, fernab bäurisch-bajuwarischer Einflüsse, in eine Kommune nach England abgeschoben werden. Dass es dazu dann doch nicht kommt, ist Kino. Und vor allem jener „Versöhnung mit dem Heranwachsen im Chaos“ geschuldet, als die Ursula Gruber ihre Drehbucharbeit verstanden wissen will.

Heute, 20 Jahre nach dem Tod Bhagwans, der sich in späten Jahren Osho nannte, gibt es überall auf der Welt Meditationszentren, die sich auf seine Lehre berufen. Zugleich ist die Bewegung längst nur mehr eine von zahllosen Schmelzkäsesorten in der globalen Selbstverwirklichungs-Supermarkttheke. Dafür spricht auch ein hübsches Zufallsdetail, das Daniela Holtz in ihrem Drehtagebuch festgehalten hat. Die Arbeit ist getan, die Ausstatter haben die Tenne leergeräumt, in der bald wieder Heu gelagert werden wird, nur das große Bhagwan-Bild hängt noch an der Wand. „Das haben sie vergessen“, notiert sie – und tatsächlich, wie aus einer fernen Vergangenheit hat auch Marcus H. Rosenmüller diesen Popanz hervorgeholt, augenzwinkernd und ein klein bisschen weise.

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Moviemento, Neues Off

Jan Schulz–Ojala

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