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Literaturkolumne: Die Sonne hinter der Düne

Wolfgang Herrndorf ist im Moment der erfolgreichste deutschsprachige Schriftsteller. Sein Roman "Sand" steht auf Platz fünf der "Spiegel"-Bestsellerliste. Und der wunderbar menschenfreundliche Vorgänger "Tschick" führt die Taschenbuchliste seit drei Wochen an. Eine Erfolgsanalyse.

Als Wolfgang Herrndorf vor zweieinhalb Wochen für seinen Spionage- und Wüstenroman „Sand“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, waren damit alle schwer einverstanden: die Literaturkritiker, die „Sand“ fast unisono gelobt hatten. Die Konkurrenten wie zum Beispiel Thomas von Steinaecker, der sagte, mit dieser Entscheidung „am besten“ leben zu können. Der an einem bösartigen Hirntumor leidende Autor selbst, der sich ausdrücklich über das Preisgeld freute und seinen Stellvertreter bei der Verleihung ein nordafrikanisches Sprichwort verlesen ließ: „Die Sonne geht immer hinter der Düne unter, die dir gerade am nächsten ist.“

Letztendlich zeigte sich aber auch das große Lesepublikum aufgeschlossen. Es hat aus „Sand“ einen mehr als veritablen Bestseller gemacht, was bei den Belletristik-Preisträgern der Leipziger Buchmesse der letzten Jahre eher nicht der Fall war. „Sand“ steht diese Woche auf Platz fünf der „Spiegel“–Bestsellerliste, Tendenz steigend. Der Verlag hatte dann auch gleich nach der Preisverleihung angekündigt, der Startauflage von 40 000 Exemplaren weitere 40 000 folgen zu lassen und auszuliefern, die seit zwei Wochen munter abverkauft werden.

Nun mag dieser Belletristik-Preis das eine sein, die Güte des Romans das andere. Gleichfalls kommt hinzu, dass Herrndorf durch „Tschick“, seinem heiter-melancholischen Roadroman über zwei jugendliche Ausreißer, einem sehr großen Publikum ein Begriff ist. „Tschick“ ist ein Longseller, ein Buch, das es als Hardcover gleichfalls in die Top 20 der Bestsellerliste geschafft hatte und dann lange auf den Rängen zwischen vierzig und fünfzig platziert war – ein Indiz dafür, dass hier viele Leser andere mit ihrer Begeisterung ansteckten und das Buch empfahlen. Fast 200 000 Exemplare hat der Verlag nach eigenen Angaben von „Tschick“ ausgeliefert. Nun sind wieder genauso viele von der Taschenbuchausgabe abgesetzt worden. Seit drei Wochen steht „Tschick“ auf Platz eins der Taschenbuchbestsellerliste.

Wolfgang Herrndorf ist im Moment also der erfolgreichste deutschsprachige Schriftsteller. Das Traurige daran ist, dass dieser Erfolg für ihn selbst etwas sehr Relatives hat. So notierte er in seinem Blog, den er seit der Tumor-Diagnosestellung führt, am Tag der Preisverleihung in Leipzig: „Den wie auf immer englisch, wie immer mit einem Rhythmus oder einer Melodie unterlegt scheinenden Text während des Status epilepticus erstmals zu fassen gekriegt, zuerst ein Wort, dann die ganze Zeile: I see a red door and I want it painted black. Nicht ganz so aufschlussreich, wie ich gedacht hatte.“ Sachlich, distanziert und klug reflektierend berichtet Herrndorf in dem Blog von seinem Leben mit und Leiden an dem Tumor, aber auch von seinen Lektüren, Kinoerlebnissen und Kindheitserinnerungen, oder wie es im Plötzensee beim Baden war.

Wegen dieses Schicksals und nicht zuletzt des öffentlichen Umgangs damit gibt es immer mal wieder Menschen, die behaupten, erst seine Krankheit habe Herrndorf den Weg zum Erfolg gebahnt. Vielleicht hätte es bei der Kritik nicht so viel Aufmerksamkeit und etwas mehr Gemäkel gegeben. (Selbst das aber ist gar nicht gesagt). Aber sollte deshalb zum Beispiel ein Literaturdetektiv- und wissenschaftler wie Michael Maar von Herrndorfs „Imaginationskraft“ und seiner „sprühenden Intelligenz“ schwärmen? Und wird ein Buch mehr verkauft, weil dessen Autor schwer erkrankt ist? Auf dem Sachbuchmarkt mag das so sein, da spielen auch Voyeurismus, Anteilnahme und Mitleid eine Rolle (von Schlingensief bis Assauer) – aber bei Romanen wie dem vertrackt-unterhaltsamen „Sand“, dem wunderbaren, menschenfreundlichen „Tschick“? (Nicht zu vergessen Herrndorfs Erzählsammlung „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“ und sein Debüt „In Plüschgewittern“).

Nein, die literarische Qualität dieser Bücher ist über viele Zweifel erhaben. Herrndorf ist der Prototyp eines Autors, der vom Rand des Betriebs kommt, ein „begeisterter Danebensteher“, wie ihn ein Kritiker mal nannte. Gut möglich, selbst wenn Herrndorf nie der Sinn danach gestanden haben mag, dass seine Romane die Zeit, in der sie entstanden und gefeiert worden sind, lange überdauern.

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