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Gib Gummi. Die aktuelle Tripelausgabe der "Randnummer".

© Randnummer/Facebook

Literaturzeitschriften: Wer sich wo was traut

Zwischen Etüde und Attitüde: Neue Ausgaben der Literaturzeitschriften "Randnummer" und "Metamorphosen"

Von Gregor Dotzauer

Vier Jahre lang war kein Mucks zu hören. Die von Simone Kornappel, Philipp Günzel und Peter Dietze herausgegebene Literaturzeitschrift „Randnummer“ machte ihrem Namen alle Ehre. Nun aber holt sie die verlorene Kontinuität mit einem Schlag auf. Doch was ist das für ein Ding, das einem auf 176 quadratischen Seiten entgegenflattert? Eine bibliophile Mutation? Ein poetischer Meteor? Eine Enzyklopädie der zwischen Berlin, Hamburg, Leipzig und Hildesheim versprengten Stimmen? Die erste Verwirrung beginnt schon damit, dass die drei separat geklammerten Ausgaben der von Anne Vogt gestalteten Tripelnummer sechs, sieben und acht (für 15 € zzgl. Versandkosten zu bestellen unter randnummer.org) nicht einmal den Namen der Publikation verraten.

Dafür muss man schon auf den Kartonrücken schauen, der die drei Hefte mit schwarzen, jeweils durch die Mitte gespannten Gummis mit buchbinderischem Augenzwinkern vereint. Auch wer in der „Randnummer“ schreibt, erschließt sich nicht sofort. Kein redaktionelles Wort leitet die alphabetische Aufteilung der Beiträger in die Abteilungen „am – ga“, „he – mo“ und „mi – wi“ ein. Wobei die Identität der Autoren keine große Rolle zu spielen scheint. Ihre Nachnamen finden sich, leicht zu überlesen, in Kleinbuchstaben vertikal am Rand. Es wirkt, als käme es auf den Einzelnen nicht an, weil hier ohnehin alle mit einer Stimme sprechen. Erst die letzte Seite jeder Ausgabe liefert, um die Vornamen ergänzt, dürre biobibliografische Angaben.

Soziotop oder Generationskohorte?

Von einer Stimme – oder auch nur einem gemeinsamen Programm – kann indes nicht die Rede sein. Es handelt sich höchstens um ein gut vernetztes Soziotop an der Grenze zur Generationskohorte. Das Ensemble der 35 Autoren ist überwiegend zwischen Ende der 70er und Mitte der 90er Jahre geboren. Was die, mit wenigen Ausnahmen, lyrische Sache sein könnte, die sich aus der Textmasse ergibt, lässt sich kaum sagen – außer dass es einen Hang zum Ungegenständlichen, Erratischen, Unsinnlichen, noch den bescheidensten Zusammenhang bis zum verlorenen Einzelbuchstaben aufsprengenden Gestus gibt.

Bei Wortfarbenkünstlern wie Hendrik Jackson entsteht immerhin eine schillernde Dichte, bei André Rudolph oder Nobert Lange droht die völlige Verrätselung. Bei noch anderen wie Titus Meyer landet man irgendwo zwischen Etüde und Attitüde: dem beliebig Gefügten, das sich in der nicht einmal lautlich reizvollen Sinnverkantung gefällt. Man könnte einige Sprachspieler nennen, wenn ihnen der Ernst nicht aus jeder Silbe tropfen würde. Manche, wie Andrea Mittag, nähern sich der Lyrikprätention.

Ihr Vierzeiler „körperliches mit dr. m.“ beginnt tatsächlich mit einem Doppelpunkt: „ : sie verzweifeln mich mit ihrer hüfte, wissen sie das? / was ist das gegenteil von herzschmerz 4 / sie sagen glücksgehirn 9.0 – und dann lieben wir uns / wie zeit und enttäuschung (händel-oper)“. Das kriegen Computerprogramme besser hin. Es ist geradezu erholsam, dann bei Rick Reuther gleich über ein paar Strophen hinweg eine Art Sound und Flow zu bekommen oder die Klebekunst von Sirka Elspaß zu bestaunen. Unter dem Motto „Ich bin nicht Herta“ nimmt sie liebevoll die Collagengedichte von Herta Müller auf die Schippe – ebenso wie Dagmara Kraus, die sie in eine verquere Sprache aus Pseudobretonisch und Pseudomittelhochdeutsch oder so etwas Ähnlichem überführt.

Blau ist der Aufbruch. Die aktuelle Ausgabe der "Metamorphosen" unter dem Motto "LOSLEGEN!"
Blau ist der Aufbruch. Die aktuelle Ausgabe der "Metamorphosen" unter dem Motto "LOSLEGEN!"

© Metamorphosen/Facebook

Die von Moritz Müller-Schwefe und Michael Watzka im Verbrecher Verlag herausgegebenen „Metamorphosen“ (magazin-metamorphosen.de, Einzelheft 4 €) leben von ungefähr der gleichen Generation wie die „Randnummer“. Der Anspruch steht allerdings im Editorial der aktuellen Ausgabe Nr. 12: „Texte, die etwas wollen. LOSLEGEN nämlich. Den Aufbruch, die Wende, den Vorstoß. Texte, die fragen, wer sich wo noch was traut heute beim Schreiben. Die den Bogen überspannen, etwas wagen.“ Man kann hier Rick Reuther wiederbegegnen, wird mit der Brachiallyrik des 1990 verstorbenenen DDR-Punks Matthias BAADER Holst (baaderholstarchiv.de) bekannt gemacht, liest ein Gespräch mit dem derzeit in New York lebenden Daniel Kehlmann oder lernt die 30-jährige Berliner Dichterin Anna Hetzer kennen. Für eine Revolution reicht das nicht, für eine anregende Lektüre im edlen Layout von Lena Hegger und Luisa Preiß aber allemal.

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