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Das Luther-Denkmal, wie es bis vor kurzem vor der Marienkirche stand.

© Imago

Luther-Denkmal: Alter Held, neuer Ärger

Das Berliner Luther-Denkmal soll an seinen historischen Standort vor der Marienkirche in Mitte zurückkehren. Der Siegerentwurf für die Anlage ist in der Evangelischen Kirche umstritten – wie der Reformator selbst.

Martin Luther ist 3,50 Meter hoch und zeigt sich in Siegerpose: Eingehüllt in einen mächtigen Mantel schaut er selbstgewiss in die Ferne und weist mit der Hand auf eine große Bibel. Seit Jahren steht diese Bronze-Skulptur in einer dunklen Ecke zwischen Marienkirche und Karl- Liebknecht-Straße am Alexanderplatz. Über den Reformator hat sich Grünspan gelegt, die Tauben haben ihre Spuren hinterlassen. Vor zehn Tagen wurde er zum Restaurator gebracht.

Denn 2017 feiert die evangelische Kirche das 500. Jubiläum des Thesenanschlags mit vielen Großveranstaltungen, Ausstellungen und Kirchentagen. Auch die Bundesregierung und halb Europa machen mit. Da will die evangelische Landeskirche auch den Berliner Luther neu zur Geltung bringen. Mit Saubermachen und Restaurieren ist es aber aus ihrer Sicht nicht getan. Doch was sonst? Darüber haben vier Jahre lang Theologen, Künstler, Architekten und Städteplaner sehr kontrovers diskutiert – ohne Ergebnis. Anfang des Jahres haben Kirche und Senat einen Ideenwettbewerb für ein neues Luther-Denkmal ausgelobt. Doch das Ergebnis gefällt ausgerechnet der Kirche nicht. Die Situation ist komplex, ja äußerst vertrackt. Sie zeigt im Kleinen, was die Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum 2017 im Großen so schwierig macht: Wie kann man heute Martin Luther feiern – und sich zugleich von allem Heroischen distanzieren?

Die Nazis schmolzen Luthers Begleiter für die Waffenproduktion ein

Im preußischen Kaiserreich wurde Martin Luther für nationalistische Zwecke instrumentalisiert. Er galt als deutscher Nationalheiliger, der unbeirrbar mit der Bibel in der Hand Geschichte schrieb. Er wurde auf viele Sockel gehoben.1895 errichteten ihm Berliner Bürger am Neuen Markt ein monumentales Denkmal. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Marienkirche führten Treppen zu einer hundert Quadratmeter großen Anlage, in deren Mitte der 3,50 Meter hohe Luther aufragte. Zu seinen Füßen versammelten sich weitere überlebensgroße Reformatoren, bewacht von Ritterfiguren mit Schwertern. Es war damals die größte Denkmalanlage in der Stadt.

Blick auf das historische, viel größere Luther-Denkmal im Jahr 1904.
Blick auf das historische, viel größere Luther-Denkmal im Jahr 1904.

© Sitftung Stadtmuseum Berlin

Ein halbes Jahrhundert später schmolzen die Nazis Luthers Begleiter für die Waffenproduktion ein. Der Reformator selbst wurde verschont. Nach dem Krieg wusste keiner mehr so recht, was man mit ihm anfangen sollte, er landete im Depot und später im Schatten der Marienkirche. Seinem pompösen Mantel, dem siegessicheren Blick und dem heroischen Fingerzeig auf die Bibel haftet noch viel von der nationalistischen Überhöhung Ende des 19. Jahrhunderts an. Die Kirche will so einen Luther aus gutem Grund nicht mehr feiern. Die Siegerpose wirkt nach Naziherrschaft, Krieg und Zerstörung unangemessen. Theologen und Historiker haben in den vergangenen Jahrzehnten außerdem zu viel über Luthers Abgründe und reaktionäre Seiten zutage gefördert, etwa über seinen Judenhass und seine Verachtung für den aufständischen „Pöbel“, als dass man ihn noch ungebrochen als Held verehren könnte.

Deshalb soll das neue Luther-Denkmal am historischen Standort vor der Marienkirche den alten Luther zwar integrieren, aber ihn in seiner Widersprüchlichkeit darstellen und mit vielen anderen Aspekten in Beziehung bringen. Der Auslobungstext für den Ideenwettbewerb regt an, Luther in Bezug zur Stadtgeschichte zu setzen, zu Juden (sie wurden auf dem Kirchenvorplatz in einem historischen Prozess verurteilt und hingerichtet), zum jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn (er wohnte in der Nähe der Marienkirche), zu den Skulpturen von Marx und Engels auf der anderen Straßenseite, zum Stadtschloss, zur Rolle der Frauen im Protestantismus, und nicht zuletzt müsse das Denkmal „an einem Transitort für Millionen von Touristen aus aller Welt vergegenwärtigen, dass die Zentren des Protestantismus mehrheitlich heute in Afrika, Asien und Lateinamerika liegen“. Die vielfältigen Ansätze sollen „zur gedanklichen und auch noch zur emotionalen Auseinandersetzung mit der Reformation und dem Wirken Luthers“ anregen. Es klingt nach der Quadratur des Kreises.

Der Siegerentwurf will Luther verdoppeln.

Simulation des Siegerentwurfs: links die historische Statue, rechts ein verspiegeltes Duplikat.
Simulation des Siegerentwurfs: links die historische Statue, rechts ein verspiegeltes Duplikat.

© Weis, Zeller & Moye

Ende Juni wählte eine hochkarätig besetzte Jury den Beitrag des Berliner Künstlers Albert Weis als Siegerentwurf aus. Er hat sich mit dem deutsch-mexikanischen Architektenbüro Zeller & Moye zusammengetan und möchte den Umriss der alten Denkmalsanlage im Boden nachzeichnen. Der Betrachter würde nicht mehr wie früher einige Stufen hinauf gehen, sondern hinunter. Unten würde er Luther zweifach begegnen: der historischen Figur und einem Duplikat dieser Figur. Luther und Luther würden sich gegenüberstehen. Künstler und Architekten schwebt eine Spiegelung im mehrfachen Sinne vor, da das Duplikat mit glänzendem Chrom überzogen wäre. Nicht nur der alte Luther würde sich darin spiegeln, sondern auch die Umgebung.

„Luther tritt über die gespiegelte Skulptur in einen Dialog mit sich selbst“, schreiben Weis, Zeller und Moye in ihrer Erklärung. Das „Reflexive“ stehe einer „einseitigen Heroisierung“ gegenüber. Außerdem wollen sie Luther neue Begleiter zur Seite geben, aber nicht mehr Philipp Melanchthon oder Franz von Sickingen, sondern Dietrich Bonhoeffer und Martin Luther King. Sie sollen in Form von Zitaten als Leuchtschrift im Boden der Anlage anwesend sein.

"Der sich selbst bespiegelnde Mensch war für Luther der Abgrund schlechthin"

„Ein Luther, der mit sich selbst spricht? Menschen, die sich in ihm spiegeln? Das führt ins Leere“, sagt Pfarrerin Cordula Machoni von der Marienkirche. Luther habe dagegen gekämpft, dass sich Menschen in ihrer Eitelkeit bespiegeln. Er habe sie aufgefordert, sich infrage zu stellen, indem sie mit Gott in einen Dialog treten. Machoni befürchtet zudem, dass der Luther aus dem spiegelnden Material wie eine Lichtgestalt wirken könnte, wenn die Sonne auf ihn fällt, was erneut eine unangemessene Überhöhung wäre. Der Entwurf widerspreche dem Anliegen der Reformation und sei „nicht akzeptabel“.

„Der sich selbst bespiegelnde Mensch war für Luther der Abgrund schlechthin“, sagt auch Pfarrer Christhard-Georg Neubert, der Kunstbeauftragte der Landeskirche. Er war im Wettbewerb als Sachverständiger geladen und ist „sehr irritiert“, dass sich die Mehrheit der Preisrichter ausgerechnet für diesen Entwurf entschieden hat. Es war der einzige der vier Entwürfe in der engeren Auswahl, den die Theologen und Historiker einhellig ablehnten. In der 13-köpfigen Jury saßen neben Landesbischof Markus Dröge und Kulturstaatssekretär Tim Renner Theologen, Künstler und Architekten. Die Mehrheit fand den Entwurf „poetisch“ und „überzeugend“. Die Spiegelung mache neugierig, locke Passanten an, die sich noch nie mit Luther beschäftigt hätten, und lasse „Raum für Interpretationen“, heißt es in ihrer Stellungnahme.

Die Kirche möchte aus der vertrackten Situation herauskommen, ohne als Spielverderber dazustehen – und ohne den Siegerentwurf umsetzen zu müssen. Das ist nicht einfach. Ein Ideenwettbewerb ist zwar im Unterschied zu einem Realisierungswettbewerb nicht bindend. Doch er hat über 100 000 Euro gekostet, und man wollte der Öffentlichkeit durch den Wettbewerb ja gerade beweisen, wie offen und auf der Höhe der Zeit man ist.

Der Kölner Architekt und Juryvorsitzende Kaspar Kraemer ist überrascht, wie vehement die Kirche den Entwurf ablehnt. Er sagt, es wäre wohl besser gewesen, die Kirche hätte gezielt einen Künstler beauftragt, ein neues Denkmal in ihrem Sinne zu gestalten. Doch auch das wäre schwierig geworden. Der Platz vor der Kirche gehört dem Bezirk Mitte. Und der möchte ein Wörtchen mitreden – allerdings erst, wenn die Debatten um die Neugestaltung der Neuen Mitte insgesamt abgeschlossen sind.

100000 Euro für nichts und wieder nichts?

Und doch könnte es jetzt genau so kommen. Es wäre die ironische Pointe der Geschichte. Für 2017 brauche es eine „Interimslösung“, sagt Pfarrerin Machoni. Und weil die Zeit drängt – das Jubiläumsjahr wird am 31. Oktober 2016 eröffnet –, will man befreundete Künstler mit der Gestaltung beauftragen. Würde sich die Übergangslösung später verstetigen, käme das der Kirche gelegen.

Aus Sicht des Senats wäre das ganz und gar keine sinnvolle Idee. „Es kann nicht sein, dass wir Steuergelder ausgeben, um eine gute Lösung zu finden. Und die wird dann in die Tonne getreten und ein anderer Künstler beauftragt“, sagt Manfred Kühne, der den Wettbewerb für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung begleitet hat und auch in der Jury saß. Ein solches Denkmal an einem solchen Platz sei viel zu wichtig, um die Entscheidung darüber einer einzigen Kirchengemeinde zu überlassen. „Das wäre baukulturell und baupolitisch ein Rückschritt.“

Bei einem Symposium im September will die Landeskirche „nochmal alle mit allen ins Gespräch bringen“ und die Stadtgesellschaft an der Debatte beteiligen. Das wäre auch der Weg, den Senat und Bezirk empfehlen. Den alten Luther könnte man derweil in die Zitadelle nach Spandau bringen, schlägt Manfred Kühne vor. Dort versammelt die neue Dauerausstellung „Enthüllt – Berlin und seine Denkmäler“ weitere Figuren vergangener Heldenverehrung, bis hin zu Lenins Kopf, die man nicht mehr im Stadtbild haben will. 2017 könnte vor der Marienkirche ein Abguss stehen – versehen mit einer Tafel, die darüber informiert, wie schwierig es heute ist, Martin Luther zu feiern.

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