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Szene aus Sieniawka.

© mengamukfilms

Marcin Malaszczaks Debüt „Sieniawka“: Stille!

Erklärt wird nichts, gesprochen wenig: In seinem Debütfilm "Sieniawka" nimmt DFFB-Absolvent Marcin Malaszczak den Zuschauer mit in einen rätselhaften, polnischen Krankenhaus-Kosmos und setzt auf die Macht der Irritation.

Der erste Eindruck trügt: „Sieniewka“ ist kein Krimi, keine schwarze Komödie. Weder die beiden Männer, die sich mit einem Bollerwagen einem Hauseingang nähern, noch die in eine Decke eingewickelte Leiche, die sie dort ablegen, spielen später eine Rolle. Stattdessen tritt ein Mann mit weißem Anzug und Helm auf, vielleicht ein Kosmonaut, vielleicht ein Außerirdischer, der durch eine vom Bergbau „zerprägte“ Landschaft stapft. Also ein Endzeit-, ein Science-Fiction-Film? Doch dann: Ein alter Mann in Zwangsjacke erwacht neben einem Abflussrohr und versucht vergeblich, aus dem Rinnsal zu trinken. Ein Landstreicher nimmt sich seiner an, löst aber seine Fesseln nicht, weil er Angst hat, von ihm ausgeraubt zu werden. Eine existenzialistische Parabel?

Erst nach einer halben Stunde dringt der Film in sein Zentrum vor, ein Krankenhaus für Alkoholiker und psychisch Kranke in Sieniawka, zu Deutsch Kleinschönau, einem polnischen Grenzort nahe Zittau. In oft minutenlangen Einstellungen ruht der Blick auf den zerfurchten Gesichtern der Männer oder durchmisst in langsamen Kameraschwenks Speisesaal, Aufenthaltsraum, Raucherzimmer und Innenhof der Anstalt. Man sitzt herum, geht im Gang auf und ab, klimpert auf einem Klavier, hört Radio, tanzt, isst, raucht. Erklärt wird nichts, gesprochen wenig. Ein Mann, dessen Rolle zwischen Therapeut und Patient zu wechseln scheint, erzählt von Kommunismus, LPGs und der Wende: „Die Demokratie kam, und alles wurde kaputt gemacht.“ Dann sagt er ein zotiges Gedicht auf.

Durch die mehrfache Rahmung des Geschehens wirken die Szenen nicht sozialrealistisch. Marcin Malaszczak, der an der DFFB studierte, setzt in seinem Debütfilm auf die Macht der Irritation, er scheut sich nicht, Einstellungen rückwärts oder mehrmals hintereinander ablaufen zu lassen. Zwischen seiner eigenen, ungemein präzisen Kameraführung und dem semidokumentarischen Setting entsteht eine enorme Spannung – etwa wenn die Laiendarsteller immer wieder die vierte Wand durchbrechen und den Blick des Zuschauers erwidern. Wirklichkeit und Fiktion, Vergangenheit und Zukunft, Flüchtigkeit und Stillstand werden hier eins. „Sieniawka“ zeigt keinen Ausschnitt aus einer bisweilen rätselhaften Realität, sondern eine andere Welt, die unserer nur gelegentlich frappierend ähnelt.
OmU im fsk und Krokodil

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