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Martin-Gropius-Bau: Frida Kahlo: Aller Heilige

Ewige Märtyrerin und Ikone: Der Martin-Gropius-Bau will das Geheimnis Frida Kahlo lüften

Frida Schmerzenskönigin. Als Schmuck trägt sie stachlige Zweige, die sich blutig ins Fleisch bohren. Drei Mal sind sie um den Hals gewunden, symbolisch für ihr dreifaches Leid: die von Krankheit gezeichnete Kindheit, der dramatische Autounfall mit einem Bus, bei dem sich eine Haltestange in ihr Becken bohrte, und die ständigen Seitensprünge ihres Mannes Diego Rivera, dem zu Lebzeiten weitaus bekannteren Maler. Heilige Frida, bitte für uns! Am Dornenschmuck hängt aufgeknüpft ein Vöglein mit ausgebreiteten Flügeln, als wär’s ein Kruzifix.

Stoisch hat die Künstlerin ihr Schicksal ertragen. 1940, als sie das Bild malte, lebte sie gerade von Rivera getrennt, nur um ihn ein Jahr nach der Scheidung erneut zu heiraten. Unverwandt schaut die herbe Schönheit den Betrachter an. Ihre Augen suchen den Kontakt, der Blick zieht an und zeigt doch die Verkapselung im Schmerz. „Damit Du mich nicht vergisst...“ heißt es häufig in den Widmungstexten der Selbstporträts, die sie Freunden schenkt. Sie alle umgibt eine Aura der Einsamkeit. Im „Selbstbildnis mit Dornenhalsband“ hockt auf der linken Schulter eine Katze, auf der rechten ein Affe als Schutz gegen weitere Angriffe des Lebens. Genützt haben sie ihr nichts.

Kaum ein anderer Künstler der Moderne hat sich so häufig gemalt wie Frida Kahlo (1907 bis 1954), ähnlich ikonisch sind nur noch die Selbstporträts van Goghs. Mit jedem Bildnis inszeniert sich die Künstlerin in einer anderen Pose, mal als Liebende im Doppelporträt mit Rivera, mal als Kämpferin für die mexikanische Kultur in traditioneller Landeskleidung, mal als Göttin, mal als Kind, meist jedoch als Märtyrerin. Davon ist bis heute ihr Bild geprägt. Leben und Werk legen sich bei ihr deckungsgleich übereinander, die Künstlerin ist von der Leidenden nicht mehr zu trennen. Die Images dieser Selbstdarstellerin dominieren die gesamte Rezeption. Seit die Bilder nach dem frühen Tod der Künstlerin den Siegeszug durch die Museen der Welt angetreten haben, bildet ihre Kunst die ideale Projektionsfläche für jegliche Interessen: nationale, feministische, kommerzielle. Heilige Frida, bitte für uns!

Dieser Hypothek ist sich jeder Ausstellungsmacher bewusst und hat deshalb stets das nächste Stereotyp im Gepäck: die Befreiung von all diesen Überfrachtungen, den reinen Blick aufs Werk. Wenn der Berliner Martin-Gropius-Bau nun eine Frida-Kahlo-Retrospektive zeigt, will er nicht nur feiern – den 200. Jahrestag der Gründung Mexikos und den 100. Jahrestag der Revolution –, sondern auch aufklären über die Qualitäten der Malerin. Die Einordnung in die Kunstgeschichte wird anvisiert. Doch wenn die Vergleiche mit anderen Künstlern fehlen, fällt dies bei einer Einzelgängerin wie Kahlo schwer. Erneut wird Frida Superstar bedient. Vermutlich ist der Widerspruch nicht aufzulösen. Die Retrospektive stellt sich janusköpfig dar wie die Bilder selbst.

Dank der Kuratorin Helga Prignitz- Poda, einer hervorragenden Kennerin und Verfasserin des Werkverzeichnisses, konnten so viele Bilder wie nie zuvor für eine Ausstellung zusammengeholt werden. 160 Gemälde zählt das schmale Werk der Künstlerin, das sich über die ganze Welt in zahlreiche Privatsammlungen verteilt. Sechzig Gemälde und achtzig Zeichnungen wurden nun nach Berlin expediert, darunter die komplette Gelman-Kollektion aus Mexiko, die in den letzten sechs Jahren wegen Rechtsstreitigkeiten der Öffentlichkeit entzogen war. Die Unbilden des Flugverkehrs, bedingt durch die Lavawolke, steigerten die Spannung nochmals, denn viele Werke kamen erst kurz vor der Eröffnung an. Allein die von Frida Kahlos Großnichte Cristina eingerichtete Fotoschau in den beiden ersten Sälen als Einstieg in den Rundgang hing am gestrigen Donnerstag noch nicht.

Auswahl und Anzahl der Leihgaben sind eine Sensation. Hinzu kommen Ausschnitte aus ihrem Tagebuch aus dem letzten Lebensjahrzehnt und bislang unbekannte Zeichnungen, die 1949 in Zusammenarbeit mit der jungen Psychologin Olga Campos entstanden, für die Kahlo in einer Phase größter Verzweiflung, als sich Rivera erneut scheiden lassen wollte, ihre Gefühle abstrakt in Pastellfarben umsetzte. Liebe, Wut, Schmerz sind darin kaum voneinander zu unterscheiden; überall blitzt und zuckt es grell. Ganz am Rande hängt eine karikaturhafte Zeichnung, die den vergötterten Rivera glubschäugig zeigt. Nur dieses eine Mal schlägt sie mit den Waffen der Kunst direkt zurück und versucht nicht die Gefühle der Zurückweisung durch eine Symbolsprache zu verklausulieren.

Das Manische ihrer Beziehung lässt sich an dem Doppelbildnis zum 15. Jahrestag des Paares ablesen. In einen Muschelrahmen fügte sie ihre eigene und Riveras Gesichtshälfte zu einem Ganzen zusammen, ergänzt durch Sonne und Mond, Neptun und Venus in Gestalt von zwei Muscheln. Wo beide Gestirne und beide Götter nicht zueinander kommen können, wirkt auch das Doppelgesicht eher vom Wahn als vom Glück gezeichnet. Und doch sollte man sich auf diese naive Lesart nicht verlassen. Frida Kahlo ähnelt darin Henri Rousseau, dem Zöllner, den die Pariser Surrealisten verehrten. Ähnlich wie der Franzose hat auch sie das Malen autodidaktisch erlernt. Als junges Mädchen fand sie während der monatelangen Aufenthalte im Hospital zur Kunst. Aus dieser Zeit rührt die intensive Auseinandersetzung mit dem Selbst als naheliegendstem Motiv. Die Selbstinszenierungen, das gekonnte Posieren dürfte durch den Vater, der als Fotograf arbeitete, angeregt sein.

Wie Rousseau weiß Kahlo um die künstlerischen Strömungen ihrer Zeit. So nimmt sie André Bretons Einladung zu einer Ausstellung in Paris zwar an, fühlt sich den Surrealisten jedoch keineswegs nahe. Wo diese sich durch das Unbewusste zu ihren Motiven führen lassen, greift sie Objekte ihrer unmittelbaren Umgebung auf. Nirgends sonst wird das deutlicher als in dem kleinformatigen Gemälde „Henry Ford Hospital“, das sie vor der Silhouette von Detroit nackt auf einem Krankenbett zeigt mit sechs schwebenden Objekten, die sie an roten Schnüren hält: neben medizinischem Gerät, einer Orchidee, einer Schnecke und der Darstellung der Beckenknochen befindet sich im Zentrum ein männlicher Fötus. Als Rivera 1932 für die Ford Motor Company ein Wandbild malte, erlitt sie eine Fehlgeburt. „Die Kunst der Frida Kahlo ist eine Schleife um eine Bombe“, lobte Breton sie dafür.

Leider wird an dieser Verpackung in der Berliner Retrospektive allzu heftig gezerrt. Riesige Texttafeln unter den jeweiligen Bildern versuchen über die mutmaßliche Bedeutung der einzelnen Elemente allzu plakativ aufzuklären. Mal verbirgt sich in einem Stillleben, das ein Selbstporträt sein soll, hinter der grellen Farbigkeit einer Melonenspalte ein „Hilfeschrei“, in einem anderen Früchtebild wiederum, das sie ihrem Zahnarzt widmete, symbolisieren die schwarzen Kerne das kariöse Gebiss der Künstlerin. Das Selbstporträt, auf dem sie sich mit Zigarette zeigt, macht sie gar zur „Heiligen der Raucher“. Während die Ausstellung versucht, das Werk Frida Kahlos jenseits ihres dramatischen Lebens darzustellen und die Chronologie deshalb ignoriert, bekommt es auf diese Weise neue Klischees aufgehalst. Hinter all den Fridas bleibt immer noch die eine Kahlo zu entdecken.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 9. 8.; tägl. 10 – 20 Uhr. Katalog (Prestel Verlag) 25 €.

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