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Meister der Gedankenfluchten. Der Schriftsteller Max Goldt, 54.

© Billy&Hells, Rowohlt

Max Goldt: Verteidigung der Cordbettwäsche

Der Ober-Ironiker Max Goldt ziseliert seine Prosa bis ins letzte Detail. In einem Kunstdruck hat er die richtige Typografie dafür gefunden - im Handsatzdruck.

Wer sich mit Max Goldt trifft, dem großen Essayisten, Sprachforscher und Schriftsteller, darf nicht auf lustige Aperçus hoffen, wie sie in seinen beiden Neuerscheinungen stehen. Zum Beispiel „Frühstücken sollst du wie ein Ferkel, Mittag essen wie eine Brieftaube und zu Abend essen wie eine Moorleiche.“ Oder: „Ich musste einst lebende Ratten in Kopfkissenbezüge einnähen. Heute lebe ich unter falschem Namen in einem fremden Land.“ Das nicht. Aber wir sitzen ja auch nicht im Fernsehen auf irgendeiner Couch, sondern an einem Tisch, wie es sich um die Mittagszeit gehört, und dieses „wie es sich gehört“ ist natürlich von Anfang an viel wichtiger als alle Lustigkeit. Max Goldt also lacht nicht und trägt ein großkariertes Jackett, worin er auf eine charmante Weise sehr gestrig und sehr gepflegt aussieht, und außerdem sagt er gleich anfangs, dass Journalisten in ihren Porträts oft mit der Kleidung anfangen. Gern, so wollen wir es tun, Herr Goldt.

Man könnte auch mit den Lebensdaten beginnen. Goldt wurde 1958 in Göttingen geboren und lebt seit 1977 in Berlin. Er war Sänger und Textdichter des Duos „Foyer des Arts“ und wurde Ende der 1980er Jahre Autor der „Titanic“. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher, Kleist-Preisträger auf Vorschlag von Daniel Kehlmann, Teil des Comic-Duos „Katz und Goldt“ und natürlich Lesungsreisender.

Strenge und Meisterschaft

Oder heißt es „Lesereisender“? Schwierige Frage, wahrscheinlich ein Fall für Goldt selbst. Denn nicht nur als vollendeter Rezitator seiner eigenen Werke ist er bekannt geworden. Goldt schreibt „nicht gern Sachen, die sich nicht gut sprechen lassen“. Mehr noch hat ihn eine heitere Strenge berühmt gemacht, die sich zunächst in sprachlicher Meisterschaft vermittelt. Kaum hat man es etwa gewagt, „Inspiration“ mit „Idee“ gleichzusetzen, da erhebt sich bereits der freundlich hinweisende Zeigefinger, und eben haben Obama und Clinton in Goldts neuem Buch „Die Chefin verzichtet“ die Telefonhörer aufgelegt, da notiert der Autor, dass Obamas Sprecher gesagt habe, das Gespräch sei geradezu „fantastisch“ verlaufen, während Clinton „von einem großartigen Gespräch“ gesprochen habe. Goldt selbst spricht übrigens mit einem wunderbar sonoren Bass.

Handgesetzt. Goldts jüngster, mit Miniaturen bestückter Band entstand in der Berliner Druckerwerkstatt von Martin Z. Schröder.
Handgesetzt. Goldts jüngster, mit Miniaturen bestückter Band entstand in der Berliner Druckerwerkstatt von Martin Z. Schröder.

© druckerery.de

Doch zurück, Meister der „trügerischen Gedankenfluchten“ (Kehlmann), zurück zum Thema! Auch in der Gestaltung längerer Formate ist Goldt nämlich unnachgiebig, ein Überarbeiter ohnegleichen. In jeder einzelnen Fertigungsstufe verändert er seine Texte – den Entwurf nach handschriftlicher Notiz, den Magazintext, das gebundene Buch, das Taschenbuch, die Version zum Vorlesen. Rowohlt-Verlagschef Alexander Fest selbst ist es, der ihm als Lektor zur Seite steht. Manchmal entstehen auf diese Weise große Aufsatzlebewesen wie die feine, ambivalente Loriot-Hommage „Touristische Perspektiven für Münster“ oder der überaus gepflegte Text „Ich hatte – verzeihen Sie! – nie darum gebeten, im Schatten einer Stinkmorchel Mandoline spielen zu dürfen“. Andere Beiträge sind kürzer, so das Impromptu über „Die Elfjährige, die in der Achterbahn ein Kind ohne Knochen gebar“, wieder andere bestehen in aufgereihten Notizen, und an deren „Ende steht ein schwacher Haufen Poesie. / Ein Haufen? Echt? / Ein Haufen!“ Verspürt Max Goldt beim Schreiben einen Zwang zur Formung, schlägt er seine Bögen bewusst? „Nur, wenn es sich natürlich ergibt.“

Notizen in limitierter Auflage

„Mögliches Lebensmotto: ‚Na, dann eben nicht!’“

Doch auch wenn die Besucher seiner Lesungen oft unter ihren Stühlen liegen vor Lachen: Die größte, tollste Strenge in seinen Texten kommt natürlich von der Moral dahinter. „Es ist keine Unterhaltungsliteratur“, sagt er zu diesem Thema. Goldt will irgendwie erziehen, nur in welche Richtung, das wird glücklicherweise nicht so richtig klar. „Mögliches Lebensmotto: ‚Na, dann eben nicht!’“, schreibt er, oder „Zweisprachig erzogene Bisexuelle mit Fahrrädern auf dem Autodach: Leute, die sich alle Optionen offenhalten wollen – irgendwie leicht widerlich.“

Darf man in ihm einen Heimatdichter sehen? „Überhaupt nicht. Ich bediene mich der deutschen Sprache, ich habe deutsche Themen. Wenn ich ins Ausland fahre, habe ich auch ausländische Themen. Aber ‚Dichter’ stimmt.“ Es nimmt nicht wunder, dass Goldt sich weniger den Schriftstellern als den Malern und Bildhauern verwandt fühlt, die ihr Material in mühevoller Arbeit walken und formen. Und noch weniger kann es überraschen, dass die andere Neuerscheinung, die Miniaturensammlung „Sind wir denn nur in Cordbettwäsche etwas wert?“, aus der Werkstatt des Berliner Handsatzdruckers Martin Z. Schröder kommt.

Notizen in limitierter Auflage

Für gewöhnlich fertigt Schröder Briefpapier, Einladungen und Visitenkarten. Mitunter aber lässt er sich auch auf Literarisches ein, druckt Gerhard Henschel, Wiglaf Droste oder eben Max Goldt. Zum ersten Mal arbeiteten die beiden 1996 bei einem Postkartenprojekt zusammen. Am Ende saßen sie in Schröders winziger Wohnung in Prenzlauer Berg; Goldt signierte die fertigen 333 Kartenbündel, Schröder machte sich unterdessen im eigenen Haushalt nützlich, zerriss alte Laken zu Putzlumpen und gab die Fusseln ins Altpapier, woraufhin Goldt, in ständiger Bereitschaft, den Alltag zu poetisieren, vermutete, Schröder wünsche die Qualität des Berliner Altpapiers durch persönliche Baumwollzufügung zu heben.

In einer von Goldts rund 20 Buchpublikationen wird die Geschichte längst ihre Verdichtung erfahren haben. Jedenfalls hat die Zusammenarbeit auch jetzt zu höchster Kunst geführt, einer blitzenden Verbindung von Schrift und Idee, Schönheit und Witz. Als Handwerker ist Schröder womöglich noch strenger als Goldt. Seine Kunst aber ist ebenso heiter: lila Radieschenblätter zwischen grünen Radieschen-Wörtern für das Gedicht „Die 24-Stunden-Diät“. Volkstümlich aufgepumpte Zahlen in der Litanei „Warum ein Mann 80 werden sollte“. Der Trampelschritt einer „Ganz Grobe Gotisch“-Type am Ende einer Miniatur, in der es heißt, „sie hat geguckt wie eine, die nicht weiß, ob sie gucken soll wie die Witwe Bolte beim Sauerkohlverzehr oder wie Godzilla beim Zertrampeln von New York.“ Kurz, wer viel und kostbar Vergorenes von Max Goldt lesen möchte, nimmt die „Chefin“ zur Hand, wem mehr an Sinnlichkeit gelegen ist, an feinen, bibliophil gesetzten Notizen in limitierter Auflage, der liest die „Cordbettwäsche“.

Max Goldt: Die Chefin verzichtet. Rowohlt Berlin Verlag 2012. 160 S., 17,95 €. Sind wir denn nur in Cordbettwäsche etwas wert? Typografisch arrangiert von Martin Z. Schröder. Einmalige nummerierte Auflage von 2150 Exemplaren, Berlin 2012 (letterpressberlin.com). 32 Seiten, 28 €.

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