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Max Osborn: Im Atelier des alten Meisters

Max Osborn war bis 1933 eine Koryphäe der Kunstkritik. Jetzt erscheint sein Buch „Der bunte Spiegel“ neu. Ein Vorabdruck.

Jahrzehnte hindurch zeigten die Berliner dem Fremden, und zeigten sich auch untereinander, den kleinen Aufbau auf dem flachen Dache eines der vornehmen alten Häuser, die den Pariser Platz umzogen, und sagten: „Da oben arbeitet Max Liebermann.“ Es ist das nördliche Nachbarhaus des Brandenburger Tores – „berlinischer“ konnte man nicht wohnen; ungemein bezeichnend für diese mit der preußischen Hauptstadt so eng verwachsene Familie, dass schon die Eltern des Künstlers das Haus gekauft hatten, dass er selbst später seine Zelte hier aufschlug. Es gab zwei Fensterfronten, die eine nach den Linden, die andere nach dem Tiergarten zu, alles rings war erfüllt von Berliner Wesen, Berliner Geschichte, Berliner Erinnerungen, interessanten und charakteristischen Ausblicken. Bereits der Großvater Max Liebermanns, ein Kaufmann und Industrieller mit bedeutenden Erfolgen, konnte, wie der Enkel gern lächelnd erzählte, zu Friedrich Wilhelm III. stolz sagen: „Ew. Majestät, ich bin derjenige, der die Engländer vom Kontinent vertrieben hat – nämlich in der Kattunbranche …“.

Es war ein altmodisches Haus, in den vierziger Jahren entstanden, ohne Fahrstuhl und ähnliche „amerikanische Einrichtungen“, auch der 87-jährige Max Liebermann klomm noch, bei allerdings seltenen Ausgängen, zu Fuß die in hübscher Linie gezogene Wendeltreppe zu seiner Wohnung im zweiten Stock hinauf. Droben fand der Besucher vor der Entreetür schon einen Vorgeschmack der Innenschätze: an den Wänden des Treppenhauses hingen einige der herrlichsten Menzel’schen Zeichnungen. Was so begann, setzte sich in den Zimmern fort: eine Sammlung erlesener Gemälde und Handzeichnungen breitete sich aus, delikate Franzosen und immer wieder Menzel, auch Gottfried Schadow, denn diese beiden Urberliner betrachtete der Hausherr als seine unmittelbaren künstlerischen Ahnherren. Nur ganz wenig von ihm selbst war dabei zu sehen, bis auf das frühe Bild der Gattin im Gartenstuhl – man kennt die Anekdote, wie er einem Gast, der erstaunt rief: „Hier sind ja gar keine Liebermanns!“ listig zuflüsterte: „Det wär‘ mir zu teuer!“

Man hat über diese berlinische Sprechweise Max Liebermanns viel geredet. Manche wollten darin ein effektsuchendes Kokettieren sehen. Aber das war gewiss nicht der Fall. Er hatte sich den Dialekt vielleicht in der Jugend angewöhnt, um sich auf echt Berliner Manier vor jedem Pathos, jeder Sentimentalität zu schützen, denn dieser scharfe norddeutsche Stadtjargon verleiht jedem Satz einen etwas spöttisch-trockenen, selbstironisierenden Klang, man kann mit ihm nicht feierlich werden. Dann war das Liebermann früh zur Natur geworden, er konnte sich im Alltagsgespräch, auch in der gesellschaftlichen Unterhaltung gar nicht mehr anders ausdrücken, und es lag ein besonderer Reiz in seiner Art, die klügsten Dinge, die geistvollsten Bemer- kungen, die scharfsinnigsten Gedanken in diese volkstümliche Sprachform zu kleiden. Es war, als wollte er dauernd dem Zuhörer und sich selbst zurufen: nur ja hübsch natürlich, auf der Erde, in der Wirklichkeit des Tages bleiben! Sich nur ja nicht in eine verschwommene, verblasene, substanzlose „Idealität“ versteigen!

Aufs Engste hing dies mit Liebermanns Kunstauffassung zusammen. Ob man hier am Pariser Platz die schmale Hühnerstiege emporstieg, um ihn in dem kleinen, der Privatwohnung aufgesetzten Atelier mit der gerundeten Glasdecke aufzusuchen, wo man bei einer (nicht sehr guten) Zigarre die köstlichsten Stunden verbrachte, oder ob man auf seinem Sommersitz in Wannsee in dem völlig schlichten Arbeitsraum saß, um den Sprühregen seiner witzigen Formulierungen, ätzenden Urteile und ungebändigten Zornesausbrüche über sich ergehen zu lassen – immer kam das Gespräch auf die letzten Gründe der Fragen, die ihn beschäftigten. Die Lebens- und Kunst-Maximen, denen Liebermann zuerst unbewusst folgte – wie er selbst so gern nach Goethes „Urworten orphisch“ zitierte: „Nach dem Gesetz, nach dem Du angetreten“ – und die er dann bewusst pflegte, um sich daraus den großartigen Bau seiner Existenz zu formen, waren mit eisernen Klammern dem Boden der Wirklichkeit verhaftet. Die lebendige Anschauung war der Ausgangspunkt seiner Gemälde wie seiner Äußerungen. Er blieb dem Tatsächlichen nahe, das zu ergründen seine Hand und die wache Spekulation seiner Gedanken nicht müde wurden. So viel er für die Gestaltung seines inneren Daseins dem andächtig verehrten Hausheiligen Goethe entnahm: in diesem Punkte blieb er unverführbar und scheute nicht davor zurück, auf Schadows Spuren zur freimütigen Auseinandersetzung mit dem Dichter in die Schranken zu treten, wenn Goethe den „trockenen berlinischen Sinn“ von seiner Olympierhöhe herab tadelte. Liebermann war zu sehr mit Haut und Haaren Berliner Rationalist, um je den Glauben an die absolute Gültigkeit der Realität zu verlieren. Darin beruhte die ungeheure, in ihrer Geschlossenheit bezwingende Stärke seines Lebenswerkes – wie auch die Begrenzung, der sie wie alles Menschenwerk unterworfen war.

So kam die Herbheit, das Spröde in sein Wesen und in seine Malerei. Wie er in diesen Ateliergesprächen jede Geschraubtheit, Unaufrichtigkeit, Phrasenhaftigkeit bei den Zeitgenossen schonungslos enthüllte und einem Schatzgräber gleich immer wieder zu den echten Werten vorzudringen suchte, so sah er auch jedem malerischen Objekt, jedem Menschen, jedem Antlitz, jeder Landschaft, scharfäugig prüfend in ihre letzten Gründe, wie um sie zu enthüllen. So kam es, dass seiner Kunst oft der Glanz naiven Schaffens zu fehlen schien. Auch die Malerei wurde kritisch; die mitunter bis an die Grenze des Trüben gehende Farbe spricht dabei mit. Das war die Kehrseite der Medaille.

Liebermann wusste schöne Frauen sehr wohl zu schätzen. Aber wenn er sie porträtierte, wurden sie meistens nicht sehr anziehend. Darin war er Menzel ähnlich, obschon die Voraussetzungen ganz verschiedene waren. Vermutlich wurde bei Liebermann die Scheu, der Verführung zum Lieblichen, Gefälligen, zur Schönfärberei auch nur um die Breite eines kleinen Fingers entgegenzukommen, zu einem Hemmschuh, Schönheit auch da als Maler anzuerkennen, wo sie wirklich vorhanden war. Man muss es sich so vorstellen, dass bei ihm die sinnliche Freude an den beglückenden Gaben der Welt aufgesogen wurde von seiner Lust an der eigenen Gabe, die Umwelt optisch zu durchdringen und nach seiner persönlichen Wahrnehmung schöpferisch neu zu gestalten.

Aus den letzten Jahren seines Lebens wurde ein lustiger und ungemein bezeichnender Ausspruch bekannt, der helles Licht auf diese Zusammenhänge wirft. Eine reizvolle und elegante junge Frau, von der Liebermann derartig entzückt war, dass er sie nach Erledigung des Porträtauftrags immer noch einmal zu einer Sitzung bat, nahm sich ein Herz und sagte: „Herr Professor, Sie haben mich nun so oft gemalt, und das ist natürlich eine große Freude und Ehre für mich. Aber verzeihen Sie eine Frage. Die Leute haben mir oft gesagt, ich sei eine hübsche Frau – ich selbst weiß ja nicht, ob es wahr ist –, aber hübsch bin ich eigentlich auf Ihren Bildern nicht. Wie ist das nur zu erklären?“ Der Alte kratzte sich verlegen an der Stirn und brummelte: „Ach nee, finden Sie? Vielleicht haben Sie jar nich so Unrecht. Na ja, det kommt denn ebend so.“ Aber die schöne Frau ließ nicht locker, sie wurde immer mutiger und machte einen Vorstoß, der den Kardinalpunkt noch viel näher berührte: „Darf ich noch etwas hinzusetzen, Herr Professor, was Sie mir hoffentlich nicht übel deuten? Sie sind ein so berühmter, großer Künstler, aber Sie sind immer ein so braver Bourgeois und Ehemann gewesen – nie hat man etwas von einem Flirt oder dergleichen gehört – da blieb in Ihrem Leben wie in Ihrer Kunst wenig Platz für die Frauen im Allgemeinen.“ Da fuhr Liebermann auf. Er fühlte sich an einer empfindlichen Stelle getroffen: „Jlauben Sie doch bloß das nich! Wat meinen Sie woll, wie oft ich jerade hier im Atelier, det jestehe ich janz offen, die heilige Lust verspürt habe, so eine hübsche Frau mal zu umarmen und abzuküssen – aber dann war immer jerade die Beleuchtung so schön, und da hab‘ ich se lieber jemalt.“ Eine köstliche Bemerkung; sie trifft ganz tief in das Wesen des Künstlerischen.

Bei den Männerbildnissen war es natürlich anders. Hier griff er mit Wonne in die Tiefen der charakterisierenden Möglichkeiten. Oft habe ich in den Ateliergesprächen von ihm die Theorie entwickeln hören, die er sich aufgestellt hatte, und an die er, ähnlich wie Lovis Corinth, fest glaubte: dass der Künstler nicht nur berechtigt und befugt, sondern verpflichtet sei, aus der tatsächlichen Erscheinung des Modells ihren Sinn hervorzulocken, so wie er, der Maler, ihn verstand wiederzugeben, wie er dem Schöpfer vorgeschwebt haben mochte, und wie dieser ihn nur darum nicht planmäßig gestaltet hatte, weil ihn die leidige Materie daran hinderte. Daher Liebermanns drollig klingende, aber sehr ernst gemeinte Antwort auf die Frage eines Porträtierten, ob er denn wirklich so aussehe: „So sollten Sie aussehen!“

Max Osborn, geboren 1870 in Köln, gestorben 1946 in New York, war Journalist und Schriftsteller. Er arbeitete in Berlin als Kunstkritiker für mehrere Zeitungen, von 1914 bis 1933 etwa bei der „Vossischen Zeitung“ und hat Künstlern wie Max Oppenheim oder Max Pechstein zum Durchbruch verholfen. Zudem war er Mitglied der Ankaufkommission der

Nationalgalerie
.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme musste der Präsident des Verbandes deutscher Kunstkritiker und Mitgründer des Jüdischen Kulturbundes emigrieren. In New York arbeitete er für die Exilzeitung „Aufbau“.

Sein ebenfalls in New York erschienenes Buch „Der bunte Spiegel.

Erinnerungen aus dem Kunst-, Kultur- und

Geistesleben der Jahre 1890 bis 1933
“ mit

Porträts von Adolph Menzel, Josef Kainz, Max Reinhardt, Wilhelm von Bode und eingeleitet von Osborns Freund Thomas Mann erscheint Ende der Woche erstmals im deutschen Sprachraum in dem Exil-Autoren gewidmeten Verlag Edition Memoria, Hürth, 276 S., 29,80 €. Vorab drucken wir einen Auszug aus dem Kapitel „Besuche bei Max Liebermann“.

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