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Musikkritik zum Eurovision Song Contest: Auch Trash will gekonnt sein!

Es gibt Pop - und es gibt Pop. Den für die Charts, den für die Ewigkeit – und das ESC-Bummbumm, das leider nicht einmal mehr als guter Trash durchgeht. Eine Musikkritik.

Mit dem Pop und erst recht mit der Popmusik wird alles immer komplizierter. Lange Zeit gehörte die Flüchtigkeit zu einem Hauptwesenszug von Pop. Um Schnelllebigkeit ging es, um große, sehr kurze Momente des Glücks, all das am besten in Stücken, die nicht länger als drei Minuten dauern durften (45-Vinyl-Single!). Inzwischen jedoch gibt es einen Kanon von den Beach Boys über Bob Dylan bis zu The Fall, veröffentlichen die Großen ihre Werkausgaben, spricht man von Klassikern des Pops.

Andererseits aber gibt es enorm populäre Veranstaltungen wie den Eurovision Song Contest, der am vergangenen Samstag in Baku über die Bühne ging – und bei dem man sich zwei, drei Tage später fragt: War da was? Wer hat da noch mal gewonnen? Das Spektakel im Vorfeld war riesig, und das Flüchtige dieses Wettbewerbs mag seinen Reiz haben, mag Pop der ganz alten Schule sein. Und Wettbewerbe gehen sowieso immer. Aber wer sich nur einen der Vorentscheide und dann den eigentlichen Wettbewerb angeschaut hat, dürfte entsetzt gewesen sein. So viel unfassbare schlechte Musik, die da über drei Stunden zu hören war! So viel Aufwand für nichts! So viel schlechter Pop, der dann leider nicht einmal mehr als guter Trash durchgeht!

Denn auch Trash will gekonnt sein. Aber selbst dafür reicht das immer gleiche Vier-Viertel-Bummbumm aus der Rhythmusmaschine nicht, die immer gleichen Tanzchoreografien, die immer gleichen Retortenstücke, die man nun weiß Gott und weiß auch DJ Ötzi nicht als „Songs“ bezeichnen kann – und auch nicht die vielen schönen Menschen, die hier um die Musikkrone Europas singen.

Ganz baff war man da, als der „taz“- und NDR-ESC-Experte Jan Feddersen im Vorfeld zur politischen Situation in Aserbaidschan in einem Interview sagte: „Für die Polit-Sperenzchen haben die meisten Künstler gerade keinen Sinn. Beim Contest entscheidet sich schließlich, ob sie ihren Zenit vor oder schon hinter sich haben.“ Mal abgesehen davon, dass die „Polit-Sperenzchen“ das Bemerkenswerte an diesem Wettbewerb waren, die Debatte um Menschenrechte und Pressefreiheit den ESC in Baku in sein primäres Recht setzte: Zenit? Künstler? Künstlerkarrieren?

Spontan lässt sich sagen: Fast alle haben ihn hinter sich, den Zenit. Aber das sind Kategorien, um die es beim ESC gar nicht geht. Sondern um das Spektakel des Augenblicks, nicht um „Künstler“, die hier ihre Karriere starten, sie runden oder hinter sich haben. Nein, das Traurige ist, dass es bei vielen nicht einmal für den „Mainstream“ reicht, wie man früher gesagt hat. Was bei dem großen Publikum eigentlich das Mindeste wäre.

Es gibt inzwischen solchen und solchen Pop: den für die Charts, den für die Stadien, den für den gelungenen Augenblick, den für die Ewigkeit – und den ESC-Pop für einen langen, seltsamen Samstagabend, an dem man sich nur die Haare raufen kann. Da versteht es sich, dass man nächstes Jahr in Stockholm wieder mit dabei ist – und sei es, um mal wieder ex negativo festzustellen, wie viel gute Popmusik in den Charts steht.

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