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Raumexperiment. Euan Williams, Christina Werner, Sophia Pompéry (von links) vor der Neuen Nationalgalerie.

© Sven Darmer/Davids

Neue Nationalgalerie: Festival of Future Nows: Zum Merkur und wieder zurück

Fünf Jahre lang haben Studenten der UdK bei Olafur Eliasson gelernt, dass Kunst und Welt eins sind. Jetzt zeigen sie ihre Arbeiten.

In die Tat hätte sie die kühne Idee wohl nicht umsetzen können. Aber was zählte, war auch eher der Gedanke. Sophia Pompéry wollte das Dach der Neuen Nationalgalerie anheben und Eisblöcke unterschieben, die dann schmelzen, bis das Gebäude wieder in seinem Urzustand ist. Eine schöne Idee, die vieles miteinander verbindet. Eine Anspielung auf die großartige Architektur von Mies van der Rohe, der eine stützenfreie Halle erschaffen hat, deren Dach auf nur acht tragenden Punkten schwebt. Ein Kunstwerk, das sich Naturgesetzen unterwirft, wie so oft bei der Berliner Künstlerin. Und nicht nur bei ihr. Sie ist eine Absolventin des „Instituts für Raumexperimente“, einem Künstlerprogramm der UdK, geleitet von dem dänischen Künstler Olafur Eliasson, von einem also, der Wissenschaft in Kunst und in Schönheit verwandelt.

Sophia Pompéry hätte die Eisblöcke so dick geschnitten, dass sie innerhalb von drei Tagen auftauen, denn so lange dauert auch das „Festival of Future Nows“, vom kommenden Donnerstag bis zum Samstag. Außer ihr sind daran 100 ehemalige Studenten des Raumexperimente-Instituts, sowie Stipendiaten und Gäste beteiligt. Rund um die Neue Nationalgalerie und im Innenraum, wo zur Zeit die 144 Baumstämme der Installation „Sticks and Stones“ von David Chipperfield zu sehen sind, gibt es Performances, Skulpturen, Workshops, ja sogar Yoga- und Atemübungen. Auf dem Dach werden Fahnen von Sophia Pompéry wehen. Das ist die zweite Arbeit, die sie sich überlegt hat. Bedruckt sind die Stoffe mit einer Wetterkarte Europas, die Farbe reagiert nur auf UV-Strahlung. Bei Sonnenschein werden die Motive sichtbar, ist es bedeckt, eher nicht.

Eigentlich hätte der Berliner Himmel allen Grund, sich zu verdunkeln, denn das Festival ist ein Schlusspunkt. Fünf Jahre lang hat der in Berlin lebende Eliasson als UdK-Professor das „Institut für Raumexperimente“ geleitet. Nun endet das Programm. Eliasson wollte das so. Auch die Lehre sollte ein Experiment bleiben, das sich nicht totläuft.

Ein Kunststudium wie dieses gibt es sonst nirgends

Angeboten wurde ein Studium, wie es sonst kein zweites an deutschen Kunsthochschulen gibt, so allumfassend haben sich die 70 Studenten mit der Wissenschaft beschäftigt. Wer sich nur über Farbwirkungen und Kompositionsmerkmale auseinandersetzen wollte, war hier falsch. 400 Gäste kamen ans Institut, hielten Vorträge, veranstalteten Workshops und Experimente, darunter Neurowissenschaftler, Medizinhistoriker, Mikrobiologen, Geografen, Soziologen, Philosophen, Komponisten, Juristen, Wissenschaftstheoretiker. „Es ging darum, aus den Methoden der anderen zu lernen“, sagt Christina Werner, die das Institut mitgegründet hat. Deshalb hatten sie und ihr Team auch Studenten aufgenommen, die eigentlich Mediziner, Philosophen und Chemiker waren.

Es gab gemeinsame Reisen, zum Wandern nach Island zum Beispiel. Ohne über Kunst zu reden. Nach Äthiopien, wo die Berliner mit der School of Fine Arts and Design in Addis Abeba kooperierten. Und manchmal begleiteten Studenten auch den Professor mit zu einer seiner Ausstellungseröffnungen auf der ganzen Welt. Sahen zu, wie der Starkünstler Eliasson der internationalen Presse Interviews im 15-Minuten-Takt gab. Dieser fächerübergreifende Informationsstrom sei schon auch überfordernd gewesen, sagt Sophia Pompéry. „Aber diese Grenzenlosigkeit war richtig für mich.“ Im klassischen Akademiestudium hatte sie das Gefühl, dass der Nachwuchs und die Lehrer nur aus der Kunst selbst heraus schöpfen, anstatt das Leben, die Welt ins Denken mit hineinzunehmen. Unter den Bewerbern, die genommen wurden, waren Mediziner, Philosophen, Biochemiker. Wenn es eine Art Stallgeruch bei den Absolventen des Eliasson’schen Instituts gibt, dann den, dass sie alle unglaublich neugierig sind und in der Synergie von Kunst und Wissenschaft eine leise Poesie entdecken.

Ein Häuserblock in der Köthener Straße soll in allen Farben leuchten

Euan Williams zum Beispiel hat an diesem Nachmittag kurz vor der Eröffnung der Nationalgalerie-Ausstellung noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten, damit sein Plan aufgeht. Der Engländer will einen ganzen Häuserblock in der Köthener-/Ecke Bernburger Straße überzeugen, am 1. November um exakt 19.30 Uhr eine von ihm gestellte DVD in den Rekorder zu schieben. Es ist ein von ihm produzierter Film, in dem das ganze Farbspektrum Ton für Ton in alternierender Abfolge über den Bildschirm flimmert. Von außen wird man dann ein simultanes Flackern aus jedem Wohnzimmerfenster sehen, ein kollektives Farb- und Lichtspiel ins Berliner Dunkel. Und es ist ein Spiel mit der Gemeinschaft – der Hausbewohner und der Menschen, die von außen Zeuge dieser Aktion werden. In einer anderen Arbeit hält Euan Williams eine Lecture Performance inmitten der Chipperfield-Baumstämme. Sein gesprochenes Wort wird in ein Radiosignal umgewandelt und in Lichtgeschwindigkeit in den Weltraum geschickt. Nach nur wenigen Minuten trifft es den Merkur oder die Sonne – und auch das wird wiederum hörbar sein. Williams spielt mit Zeit und Zeitverzögerung, er dehnt den Moment aus und macht gleichzeitig das All über uns erfahrbar.

Vielversprechend und faszinierend klingt das alles. Und etliche Ehemalige der ersten Jahrgänge machen schon von sich reden, sind in Galerien vertreten und an großen Museumsausstellungen beteiligt. Christina Werner, die Ko-Direktorin, bedauert schon etwas, dass das Projekt nun ausläuft. Aber sie weiß auch, dass viele ehemalige Stipendiaten bereits die Ideen und Herangehensweisen an Jüngere weitergeben. Auch Euan Williams ist sich sicher: „Der Geist des Ganzen bleibt“. Einige Eliasson-Zöglinge haben sich als Kollektiv zusammengetan wie etwa „Das Numen“ von Andreas Greiner, Felix Kiessling, Julian Charrière und Markus Hoffmann. Die UdK möchte daher auch nicht von einer Zäsur sprechen. Etliche Erkenntnisse aus den fünf Jahren seien bereits in die anderen Fakultäten der Universität eingeflossen. Zum Festival soll außerdem ein Bildband erscheinen, der die fünf Jahre Raumexperimente dokumentiert. Damit auch andere Akademien davon lernen können.

„Festival of Future Nows“, Neue Nationalgalerie, 30.10., 20–22 Uhr (Eröffnung), 31.10./1.11, 10–22 Uhr, www.futurenows.net

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