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Der Münchner Krimi-Autor Friedrich Ani

© dpa

Neuer Kriminalroman von Friedrich Ani: Ein grauer Mann in einer grellen Welt

Der Münchner Krimiautor Friedrich Ani erfindet in "Der namenlose Tag" einen neuen Ermittler. Kommissar a. D. Jakob Franck muss sich gleich zu Beginn einem Fall der Vergangenheit widmen.

Der erste Satz ist immer der gleiche: „Ich habe eine schlimme Nachricht für Sie, darf ich reinkommen?" Als Jakob Franck noch Mordermittler im Dezernat 11 der Kriminalpolizei München war, musste er die Angehörigen von Todesopfern benachrichtigen. Jetzt, im Ruhestand, lebt er allein in einer kleinen Wohnung in München, über dem Sofa ein „Gemälde mit Waldmotiv“. Manchmal spielt er als „Hannes7“ ein paar Runden Online-Poker, ansonsten wartet der Kriminalkommissar a. D. darauf, dass ihn die Gespenster der Vergangenheit besuchen: „Den Toten war sein Status egal. Er hatte sich damals, beim Eintritt in den Gehobenen Dienst für ihre Welt entschieden, und aus dieser Welt kehrt niemand unversehrt und traumlos zurück.“

Es ist eine beunruhigend handlungsarme Welt, die Friedrich Ani auf den ersten 20, 30 Seiten seines Kriminalromans „Der namenlose Tag“ zeichnet, und es ist fast eine Erleichterung, als in Francks „Weltall der Verlorenheit“ schließlich das Telefon klingelt. Ein gewisser Ludwig Winther ruft an, dessen Tochter Esther 21 Jahre zuvor im Park an der Bad Dürkheimer Straße tot aufgefunden wurde.

Alles deutete damals auf Selbstmord hin, doch Ludwig Winther ist immer noch sicher, dass seine Tochter umgebracht wurde: „Und den Mörder müssen Sie endlich finden Herr Franck, darum bitt ich Sie auf Knien.“ Er präsentiert sogar einen neuen Verdächtigen: einen Zahnarzt aus der Nachbarschaft, der im Ruf stand, „Affären mit Schülerinnen“ zu haben. Jakob Franck ahnt, dass er keine neuen Beweise für ein Gewaltverbrechen finden wird, aber er sagt trotzdem Hilfe zu. Denn nicht nur Esther, sondern auch ihre Mutter gehören zu den Gespenstern, die ihm Besuche abstatten.

Der namenlose Tag. Ein Fall für Jakob Franck.
Der namenlose Tag. Ein Fall für Jakob Franck.

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Doris Winther, der Jakob Franck damals die Nachricht vom Tod ihrer Tochter überbracht hatte, um sie anschließend über Stunden hinweg im Arm zu halten, hatte sich schließlich selbst das Leben genommen. Franck hat eine Schuld abzutragen. Und er will wissen, warum er als Polizist geradezu zwanghaft die Nähe zum Tod suchte und „eine Aufgabe übernommen hatte, vor der alle Kollegen, Männer wie Frauen, trotz ihrer Erfahrung, Bildung und psychologischen Kursen zurückschreckten“.

Es liegt nahe, Anis Kriminalromane in erster Linie über seine Hauptfiguren zu lesen. Immer sind es Ermittler in eigener Sache, Menschen, deren Leben um eine existenzielle Leerstelle kreist. Tabor Süden zum Beispiel, Anis bekanntester Protagonist: Als Kind wird er von seinem Vater verlassen und kümmert sich dann bei der Kripo München ausschließlich um Vermisstenfälle. Polonius Fischer: ein Mönch, der seinen Glauben verliert, aus dem Kloster ausscheidet und zur Kriminalpolizei geht, um einer anderen Art von Wahrheit auf die Spur zu kommen. Oder Jonas Vogel, genannt „Der Seher“: ein Polizist, der auch ohne sein Augenlicht tief in die Seele anderer Menschen schaut. Und jetzt Jakob Franck, „ein alter grauer Mann in einer zu großen grellen Welt, der sich den Tod ausgesucht hatte, um Menschen nahezukommen und sie gelegentlich sogar zu umarmen“.

Das ist angewandte Psychologie: Friedrich Ani hat Franck mit einer neurotischen Energie ausgestattet, der man sich nur schwer entziehen kann, und man kann sich leicht vorstellen, dass dies der Auftakt einer neuen, erfolgreichen Reihe wird. Trotzdem darf man nicht übersehen, dass die eigentliche Leistung dieses Schriftstellers, der seit Mitte der 90er Jahre von München-Giesing aus die Messlatte für die deutschsprachige Kriminalliteratur Stück für Stück höher legt, auf sprachlichem Gebiet liegt. Style matters: Das gilt für „Der namenlose Tag“ vielleicht noch mehr als für andere seiner Krimis. Man muss dafür allerdings auch einen Blick auf die Nebenfiguren werfen.

Ludwig Winthers erster Auftritt zum Beispiel ist ein fünf Seiten langer Monolog: „Wäre ich doch da gewesen und in der Näh’, so wie jetzt bei Ihnen. Dass man die Hand ausstrecken kann und jemand festhalten. Die Esther. Hat kein Mensch festgehalten, das kleine Mädchen. Klein ist auch falsch, sie war schon siebzehn; ich geh manchmal in meiner Wohnung rum und krieg die Zahl siebzehn nicht aus dem Schädel; siebzehn, siebzehn, dröhnt’s da oben, und ich stell mich ans Fenster und hoffe, dass im Garten was passiert, damit mein Kopf Ruhe gibt.“

Das ist der leicht übersteuerte Sound der Verzweiflung, der Jakob Franck immer wieder entgegenschlägt, während er in München (und für ein paar Tage auch in Berlin) noch einmal im Todesfall Esther Winther ermittelt. Alle reden sich um Kopf und Kragen: ein ehemaliger Mitschüler, eine Schulfreundin, der in die Jahre gekommene Zahnarzt aus der Nachbarschaft, eine Verwandte, und immer wieder Ludwig Winther: „Uns hat’s an nichts gefehlt; ich hab verdient, und die Bank hat uns korrekt behandelt, das Grundstück war ein Schnäppchen gewesen, und ich hab sehr gute Zinsen verhandelt, und alles hat gestimmt.“

Gar nichts hat gestimmt. Was genau allerdings in dieser Mittelschichtsfamilie nicht funktioniert hat, ist unter dem Grauschleier der Alltagssprache zunächst nur zu erahnen. Um das herauszufinden braucht’s keinen Ermittler, sondern einen, der zuhört. Und einen, der’s aufschreibt. Jakob Franck und Friedrich Ani. Passt.

Friedrich Ani: Der namenlose Tag. Ein Fall für Jakob Franck. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 298 Seiten, 19,95 €.

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