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Das 1879 eröffnete Kunstmuseum in Bern

© dpa

Neues im Fall Cornelius Gurlitt: Testament mit Tücken

Am Montag sollte auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben werden, ob das Kunstmuseum Bern das Gurlitt-Erbe antreten will. Jetzt sickerte durch: Ja, das Museum will. Doch die Familie interveniert.

Die gute Nachricht kam schon einmal, Anfang Oktober: Das Kunstmuseum Bern tritt das Erbe von Cornelius Gurlitt an. Die Sammlung samt allen weiteren Besitztümern werde in die Schweiz wandern. Für den „Schwabinger Kunstfund“ wäre es der Befreiungsschlag gewesen nach Monaten des Wartens und der Ungewissheit, ob die Bilder nicht doch an die Familie gehen und als Raubkunst identifizierte Werke bei ihnen womöglich verschwänden. Der Fall Gurlitt, der Deutschland im November 2013 unerwartet mit der Nazi-Vergangenheit und dem verbrecherischen Umgang mit Kunst und jüdischen Sammlern konfrontierte, hätte zwar nicht seinen Abschluss gefunden, aber einen Ort zur weiteren Auseinandersetzung: auf neutralem Schweizer Boden.

Doch das Dementi folgte sogleich. Der Stiftungsrat des Museums blieb dabei: Er wollte die volle Bedenkzeit ausschöpfen, sechs Monate seit dem Tod des 81-jährigen Gurlitt am 6. Mai, um zu klären, ob er dessen Testament annimmt und sich damit zugleich eine schwere Bürde auflädt. Der 26. November, an dem das höchste Museumsgremium das nächste Mal zusammenkommt, war als Stichtag genannt; Anfang Dezember sollte die offizielle Erklärung folgen. Nun hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters zusammen mit dem bayerischen Justizminister Winfried Bausback und dem Präsidenten des Stiftungsrates des Kunstmuseums, Christoph Schäublin, für Montag zu einer Pressekonferenz nach Berlin eingeladen, um sich „zum weiteren Umgang mit dem Nachlass Cornelius Gurlitt (zu) äußern“. Obendrein sickerte am gestrigen Freitag durch, dass Bern das Erbe tatsächlich annehmen will.

Alles, was im Vorfeld ausgehandelt wurde, steht wieder in Frage

Ein Dementi gab es diesmal nicht. Aber die Tatsache, dass Schäublin eigens nach Berlin anreist, deutet auf eine Zusage hin. Die wird nun aber nochmals auf die Probe gestellt: Die Anberaumung der Pressekonferenz hat nicht nur zur Beschleunigung des Verfahrens bei den Schweizer Erben geführt, sondern auch zum beschleunigten Widerspruch seitens einiger Familienmitglieder. Am gestrigen Freitag gab ein Sprecher von Uta Werner bekannt, der Cousine von Cornelius Gurlitt, sie werde Anspruch auf das Erbe erheben. Beim zuständigen Münchner Nachlassgericht hat sie einen Erbschein beantragt. In den vergangenen Tagen hatten sich Verwandte mehrfach an die Öffentlichkeit gewandt. Die einen erklärten sich bereit, die Werke im Falle einer Übernahme ebenfalls in ein Museum zu geben und sich an die von Gurlitt mit der Bundesregierung vereinbarte Restitutionsregelung zu halten. Andere hatten ein psychologisches Gutachten in Auftrag gegeben, das Gurlitt in seinen letzten Lebensjahren „Wahnvorstellungen“ attestierte – womit sein Testament sich anfechten ließe. Auf dieser Grundlage dürfte Uta Werner jetzt argumentieren.

Damit gerät das Verfahren ins Stocken. Was im Vorfeld mühsam ausgehandelt wurde, ist jetzt wieder in Frage gestellt. In den vergangenen Wochen hatte sich Ingeborg Berggreen-Merkel, Chefin der Taskforce zur Erforschung der Raubkunst bei Gurlitt, mehrfach dafür ausgesprochen, dass allein die unstrittigen Werke ans Berner Kunstmuseum gehen sollten. Der Grund: Die Bundesrepublik will bei ihrer Verantwortung gegenüber den Erben beraubter Sammler bleiben und etwas von dem begangenen Unrecht wiedergutmachen. Auch die Abwicklung der Restitution solle auf deutscher Seite verbleiben.

Das allerdings kann Jahre dauern. Die von den Politikern bei Einsetzung der Taskforce Ende 2013 vollmundig benannte Frist von einem Jahr, innerhalb derer die Provenienzfragen geklärt sein sollen, ist kaum einzuhalten. Von den rund 400 online publizierten Bildern sind bislang nur zwei eindeutig zugeordnet: Henri Matisse’ „Sitzende Frau“ und Max Liebermanns „Zwei Reiter am Strand“. Deren Nachfahren hatten sich ohnehin von sich aus gemeldet; eine Übergabe war bereits vor Gurlitts Tod vereinbart worden. Der Tod des Kunsthändlersohnes aber stoppte das Verfahren, da ja die Erbfolge geklärt werden muss. Sowohl Matisse als auch Liebermann werden weiterhin von der bayerischen Staatsanwaltschaft verwahrt. Mit ihrer Beschlagnahmung der Sammlung in Schwabing hatte die Affäre 2012 ihren Anfang genommen, als vorsorglicher Akt im Zuge eines Steuerverfahrens. Dann wurde eine Staatsaffäre daraus.

Warum Cornelius Gurlitt ausgerechnet Bern bedacht hat, ist weiterhin unbekannt.

Deutschland sah sich in der Welt mit dem Vorwurf konfrontiert, sich nicht genügend um Restitution gekümmert zu haben. Plötzlich befanden sich auch die Museen im Rampenlicht, samt ihrem vielerorts nachlässigen Umgang mit Werken, die eigentlich den Nachfahren beraubter Sammler gehören. Mag sein, dass die Angst vor erneuten Schlagzeilen die Nachricht über den künftigen Verbleib des Gurlitt-Erbes beschleunigt hat, auch die Sorge vor einer Intervention der Familie – die jetzt allerdings eingetreten ist. Auch eine überraschende Äußerung von Jutta Limbach dürfte zum Tempo beigetragen haben. Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und heutige Vorsitzende der nach ihr benannten Kommission zur Schlichtung strittiger Raubkunstfälle hatte diese Woche vorgeschlagen, dass die 1937 von den Nazis als „entartet“ beschlagnahmten Werke von den jetzigen Besitzern wieder an die ursprünglichen Museen zurückgegeben werden sollten.

Mit ihrer Initiative zum Ringtausch unter öffentlichen und auch privaten Sammlungen löste sie Befremden aus. Die nach dem Zweiten Weltkrieg hingenommene Selbstberaubung der Museen war Grundlage ihrer künftigen Sammlungspolitik und aller weiteren Ankäufe. Für das Kunstmuseum Bern würde dieser gewagte Vorschlag bedeuten, dass ihm von der Sammlung Gurlitt nach Abzug von Raubkunst und als „entartet“ konfiszierter Werke nur noch eindeutiger Familienbesitz bliebe – die Bilder von Louis und Cornelia Gurlitt. Der Urgroßvater war ein bekannter Landschaftsmaler, die Schwester malte bis zu ihrem Freitod in den Dreißigern expressionistisch. Für die Schweizer wäre das Erben damit kaum noch interessant.

Warum Gurlitt ausgerechnet dieses Museum bedachte, ist weiterhin unbekannt. Seinen Anfang nahm der Fall Ende 2011 mit einer Leibesvisitation des älteren Herrn auf dem Weg von der Schweiz zurück nach München, bei der 9000 Euro auftauchten. Sie stammten von einem Bildverkauf bei der Berner Galerie Kornfeld. Kornfeld gehört zu den besonderen Förderern des Museums seiner Heimatstadt. Ob das Haus das Erbe überhaupt antreten kann, wird nun jedoch gerichtlich geklärt werden müssen.

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