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Schubert, ins Heute geholt. Szene aus „Silent songs into the wild“.

© Dirk Bleicker

Nico and the Navigators im Konzerthaus: Heimatsucher

Das Ensemble Nico and the Navigators verbindet in „Silent songs into the wild“ im Konzerthaus Schuberts Lieder mit einer vielschichtigen Performance über Flucht und Vertreibung.

Das Thema „Flucht und Vertreibung“ ist für die Kunst kein leichtes Feld: Schnell können Annäherungen übereifrig, wohlfeil oder anklagend wirken. Umso erstaunlicher ist es da, wie es dem Ensemble Nico and the Navigators unter der Leitung von Nicola Hümpel im Konzerthaus gelingt, die Erfahrung von Fremdheit und Heimatsuche mit einer vielschichtigen Performance von Schuberts Liedern so eindrucksvoll zu inszenieren, dass kein Pathos entsteht.

„Silent songs into the wild“ beginnt behutsam: Das Apollon Musagète Quartett spielt Schuberts „Fremdling“, verfremdet die klassische Partitur aber mit Gitarren- und Kontrabass-Sounds und dringt so bis an die Wurzeln des melancholischen Stücks, schafft einen Klangkosmos, der modern wirkt, eigensinnig und doch sensibel. Die Zeilen aus dem „Wegweiser“ könnten als Motto über dem ganzen Abend stehen: „Weiser stehen auf den Straßen / Weisen auf die Städte zu / Und ich wandre sonder Maßen / Ohne Ruh, und suche Ruh.“

Das technologische Liebeschaos der Moderne

Musiker, Sänger und Tänzer aus sieben Nationen lassen sich leiten von der Schwere der Musik und der Zerrissenheit der Texte. Jedes Lied steht unter einem zeitgenössischen Motto: „Tote und Lebende“, „Lampedusa“ oder „Ferne“. Nicht nur die Tänzerinnen Yui Kawaguchi, Anna-Luise Recke und Michael Shapira erforschen in wuchtigen Choreografien ihre Körper. Auch die Sänger müssen sich auf der Bühne physisch beweisen, werden umgarnt und umzingelt, umtanzt und umkämpft. Wie etwa der Tenor Ted Schmitz, der in breitem Amerikanisch Schuberts Lieder zu brechen und in neue Richtungen zu lenken versteht. Es sind persönliche Annäherungen, die keine Pietätsgrenzen kennen.

Die erste Hälfe mag etwas schwermütig ausfallen, im zweiten Teil wissen die Künstler ihre Themen auch ironisch zu spiegeln. Etwa bei „Tindertribe“, wenn das technologische Liebeschaos der westlichen Moderne mit Schuberts „Gute Nacht“ gekoppelt wird und dadurch transhistorische Gültigkeit erfährt: „Die Liebe liebt das Wandern, / Gott hat sie so gemacht, / Von einem zu dem Andern, / Fein Liebchen, gute Nacht!“ Am Ende erklingt das Finale aus Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ – so glasklar, energetisch und überzeugend, dass das Publikum lange nicht nach Hause gehen will.

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