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Heiße Spur. In solchen Pools nisten die Moskitos in „California City“.

©  realfictionfilme

Öko-Essayfilm "California City": Apokalypse war gestern

Vor über 50 Jahren entstand in der kalifornischen Wüste eine Stadt vom Reißbrett. Nur wollte da niemand wohnen. Nun hat Bastian Günther dort einen wunderbar absonderlichen Dokufiction-Traumfilm gedreht: „California City".

Immobilienblasen sind nichts Neues, wie eine gigantische Fehlspekulation in den späten fünfziger Jahren im südlichen Kalifornien zeigt. Dort wollte ein Unternehmer eine Megacity aus dem Wüstenboden stampfen, samt künstlichem See, Universitäten und Industrie. Viele folgten der aggressiven Vermarktungskampagne und kauften. Doch nur wenige bauten, so dass der erhoffte Wertanstieg ausblieb. Irgendwann gaben viele wegen der bröckelnden Infrastruktur ihre Häuser auf. So ist California City flächenmäßig eine der größten Städte der USA, hat aber nur 10 000 Einwohner.

Vor allem das Straßennetz ist gewaltig, wie eine riesige eingestaubte Leiterplatte. In der Mojave-Wüste steht immer noch eine verblichene Werbetafel mit einer in weiblichen Rundungen schwellenden Traumlandschaft: „Welcome to California City – Land of the Sun“. Dahinter Ödnis und aufplatzender Asphalt, verlassene und vermüllte Bungalows, Villen und Militäranlagen.

In dieser absonderlichen Welt besprüht ein Mann mit Schutzbrille und im Ganzkörper-Overall aus einem Kanister Wasserreste in den verödeten Pools oder Pfützen mysteriöser Herkunft – der von dem Schauspieler Jay Lewis gegebene Held des neuen Films von Bastian Günther. Der professionelle Moskitovernichter streift in einem weißen Van durch die Geisterstadt – in der filmischen Fiktion wurde sie gerade erst verlassen, nach einem ökonomischen Systemkollaps von offensichtlich apokalyptischen Dimensionen. Jetzt sollen Seuchen verhindert werden. Dazu werden die gefährlichen Feuchtstellen per Flugzeug aufgespürt und dann per GPS und Handy an den Mücken-Terminator gesandt.

Neben dem Einzelkämpfer in diesem verzerrten amerikanischen Traum finden sich ein paar andere Gestalten zwischen den Ruinen: ein scheinbar pflichtbewusster Hausverwalter, dazu Verschwörungstheoretiker und Spinner. Einer dreht auf einem Flugzeugfriedhof an einem Filmchen, mit dem er sich für einen Flug zum Mars bewerben will. Abends im Motel telefoniert der Profi-Reisende mit esoterisch angehauchten Psychoberatern, die er nach zukünftigem Liebesglück befragt. Wobei er Vergangenheit in traumhaft flackernden Super-8-Erinnerungsbildern an eine ehemalige Geliebte evoziert.

Die surreale Kulisse dürfte Günther als Drehort sofort gepackt haben. Der in Berlin und Texas lebende Regisseur hatte schon in „Houston“ (2013) einen vereinsamten Mann (Ulrich Tukur) mit dem Auto durch verlassene US-Landschaften geschickt. Seine neue Geschichte ist strukturell ähnlich, hebt sich aber durch die spektakuläre dokumentarische Basis deutlich ab. Und durch einen Ich-Erzähler, dessen lakonischer Ton zwischen tagebuchartigen Statements, zivilisationskritischen Allgemeinplätzen und schwarzem Humor oszilliert. Die vorzügliche Kamera (Michael Kotschi) und die rauen Gitarrenklänge von Howe Gelb geben dem Film einen melancholischen Jarmusch-Touch.

Dabei bleibt zwischen realem Setting und fiktivem Hauptdarsteller manches reizvoll unklar. Ist der religiöse Apokalyptiker im Jacuzzi dem Team über den Weg gelaufen oder hat ihn sich der Drehbuchschreiber ausgedacht? Die minimalistische Geschichte funktioniert im Wesentlichen – mit zunehmenden Kommunikationsstörungen auf allen Kanälen – als Folie für Überlegungen zur Hybris der spätkapitalistischen Konsumkultur. Und irgendwann entschwindet der Held in der Prärie, ganz wie im guten, alten Western.

In den Berliner Kinos Brotfabrik, Central, FK 66 (alle OmU)

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