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Elmer Bäck als Eisenstein.

© Berlinale

Peter Greenaway auf der Berlinale: Rote Fahne im Hintern

Peter Greenaway kehrt mit „Eisenstein in Guanajuato“ voll schwüler Erotik ins Kunst-Kino zurück. Der 72-jährige Brite will den Berlinale-Wettbewerb im Sturm erobern.

Am Anfang glaubt man hier noch an ganz großes Kino. Und denkt: Peter Greenaway ist nun doppelt zurück – im strahlenden Licht der Filmgeschichte. Denn mit der Ouvertüre seines „Eisenstein in Guanajuato“ scheint der demnächst 72-jährige Brite den Berlinale- Wettbewerb wie im Sturm erobern zu wollen. Mit aller Macht der Bilder.

Drei Oldtimer sausen erst in historischem Schwarzweiß durch die staubigen Weiten Mexikos, und ein offenbar enthusiasmierter junger Mann im weißem Leinenanzug springt auf in seinem offenen Cabriolet, lässt sich den Fahrtwind durch die weit abstehende struppige Schwarzhaarmähne wehen. Das ist der mit gerade 33 Jahren schon weltberühmte russische Revolutionsfilmregisseur Sergej Eisenstein, und er nimmt die hitzeflimmernde Landschaft, die wilden Berge, die Stechpalmen und Agaven am Wegrand ab wie eine Parade zu seinen Ehren. Auch die Einfahrt ins alte Zentrum des Städtchens Guanajuato gerät als Triumphzug – zum Empfang des großen Russen steht an einer mächtigen neobarocken Treppe gleich Mexikos illustrestes Künstlerpaar bereit: der Revolutionsmaler Diego Rivera und seine junge Frau Frida Kahlo.

Peter Greenaway mit betörender Farbe

Da hat Greenaways Film schon in betörende Farbe gewechselt. Die wunderbar bunten, hispano-barocken Häuser, Kirchen, Paläste leuchten super pittoresk und die mondänen, vollkommen theaterhaften Belle-Epoque-Interieurs in Eisensteins Hotel strahlen ebenso surreal wie auch die düsteren Kanäle, Brückenunterführungen oder Friedhofskatakomben, in die es die Titelfigur alsbald mit jagenden Schritten verschlägt. Dazu rast und rauscht die Musik, Greenaway macht die Leinwand zur Splitscreen: vieles dreifach, die gegengeschnittenen Szenen aus Eisensteins realen (schwarzweißen) Meisterwerken „Oktober“ oder „Panzerkreuzer Potemkin“, die Gesichter der Szenen in Guanajuato.

Jeweils ein Trio bilden auch Randfiguren: Eisensteins von der Regierung gestellte Bodyguards, die mit prallen Patronengürteln und anschlagbereiten Gewehren bestückten Banditen, Mafiosi, Revoluzzer („Viva Zapata!“) – oder die sinistren Agenten Stalins, die ein Jahrzehnt später den Mexikoflüchtling Leo Trotzki mit einem Eispickel erledigen werden.

Tatsächlich war Eisenstein im Anschluss an einem missglückten Ausflug nach Hollywood 1931 für knapp ein Jahr nach Mexiko gekommen, dem damaligen Dorado linker Künstler und Intellektueller. Er drehte dort „Qué viva México“, ein episches Projekt, das die Geschichte des Landes von den Mayas und Azteken bis zur Revolution im 20. Jahrhundert spiegeln sollte. Das blieb Fragment, weil Eisenstein das Geld ausging, nachdem er Material für 50 Stunden Filmlänge gedreht hatte. Offenbar kämpfte der Regisseur dabei nicht nur mit seiner Kunst, sondern war als uneingestandener (und in der UdSSR politisch gefährdeter) Homosexueller auch in die Affäre mit einem russischen Mitarbeiter verstrickt. Das kam schon vor in Renny Bartletts Filmdrama „Eisenstein“ aus dem Jahr 2002 (mit Simon McBurney in der Titelrolle).

Eisenstein knüpft an virtuoses Erzählen an

Peter Greenaway hat mit dem „Kontrakt des Zeichners“ oder „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ vor gut zwei Jahrzehnten zu den virtuosesten Kinoerzählern gehört. Daran scheint er in seiner „Eisenstein“-Fiktion anzuknüpfen, so lange er das Tempo, die Expression und die rasante Montagetechnik seines realen Vorbilds sich souverän ironisch anverwandelt. Auch tanzt Elmer Bäck als Eisenstein zunächst als spitzzüngiger Causeur und verstrubbelter Clown (so bezeichnet er sich selbst) durch Greenaways Mexiko – wie ein furioses großes Kind. Nur fehlt: der Künstler. Das Motiv des Filmens. Auch Frida Kahlo und Diego Rivera (dessen Geburtsort Guanajuato ist!) treten nach dem Beginn nicht mehr auf.

Die Geschichte, die eben noch maliziös mit dem Erotischen als Kunstzitat spielt, etwa mit Eisensteins Postkarten von Caravaggios nacktem, lasziven Amor aus der Berliner Gemäldegalerie, stürzt so plötzlich ab ins private Melodram. In einer schier endlos kitschigen, als Softporno gefilmten Fickszene wird Eisenstein hier von seinem mexikanischen Guide (Luis Alberti) angeblich „entjungfert“, am Ende hat er zudem ein rotes Fähnchen im Hintern. Worauf der Meister, zurück nach Europa, als Rotznase und Heulsuse abreist. Ein verkrümelter Eisenstein.

12.2., 13 Uhr (Zoo Palast), 15 u. 18 Uhr (Friedrichstadtpalast), 15.2., 21.15 Uhr (Friedrichstadtpalast)

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