zum Hauptinhalt
Der Berliner Jurist und Kunstexperte Peter Raue sieht nach wie vor Verbesserungsbedarf beim nunmehr dritten Entwurf eines neuen Kulturgutschutzgesetzes.

© Doris Spiekermann-Klaas

Peter Raue zum Kulturgutschutz: Ein Gesetz aus einer anderen Zeit

Die deutschen Kunstschätze sollen geschützt werden - doch das neue Kulturgutschutzgesetz ist ungeeignet. Ein kritischer Blick auf den neuen Entwurf.

Als im Sommer dieses Jahres der Referentenentwurf des geplanten Kulturgutschutzgesetzes „durchgestochen“ wurde, brach ein Tsunami der Empörung und Verunsicherung auf die um unser kulturelles Leben so verdiente Monika Grütters ein. Sammler, Kunsthändler, Auktionatoren meldeten sich zu Wort. Die Empörungswelle ist zu etwas ruhigerer See geworden, nachdem zahlreiche Gespräche geführt, Änderungsvorschläge unterbreitet, Ängste formuliert, Bitten geäußert wurden. Hierauf hat das Ministerium im September einen dritten Referentenentwurf vorgelegt.

Dieser Entwurf stellt eine deutliche Verbesserung dar. Zahlreiche Verordnungsermächtigungen – also die Delegierung zur Ausführung des Gesetzes – sind gestrichen. Ein Kulturgut soll nur dann in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts eingetragen („indiziert“) werden, wenn es „identitätsstiftend für die Kultur Deutschlands“ ist und die Eintragung ein Sachverständigenausschuss empfohlen hat. Die für die Ausfuhrkontrolle im Binnenmarkt maßgeblichen Schwellenwerte sind angehoben: Bilder etwa müssen, um einer Ausfuhrgenehmigung zu unterliegen, mindestens 70 Jahre alt und 300 000 Euro wert sein. Die dem Diskretionsgebot des Kunsthandels widersprechende Verpflichtung des Kunsthändlers, jedem Interessenten den Einlieferer zu nennen, ist gestrichen.

Bei allem Respekt vor den Änderungen habe ich nach wie vor grundsätzliche Bedenken gegen das geplante Gesetz – soweit es den Kunsthandel außerhalb von Raubkunst betrifft. Wenn aber die Einschränkung des Kunsthandels und des freien Warenverkehrs nicht mehr zu vermeiden ist, müsste der Entwurf jedenfalls weiter deutlich nachgebessert werden, um schweren Schaden von Kunsthandel, Sammlern, Museen abzuwenden.

Freier Warenverkehr ist Alltag

Man muss dem Gesetzentwurf vorhalten, dass er nicht zur Kenntnis nimmt, wie sich seit Erlass des Vorgängers aus dem Jahre 1955 – also vor 60 Jahren – die Welt verändert hat. Es gibt ein vereintes Europa, der freie Warenverkehr in Europa ist schöner Alltag und ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten (TTIP) steht ins Haus. Vor diesen liberalen weltoffenen Regelungen ist ein Kulturgutschutzgesetz, das glaubt, bestimmten Werken die Bleibepflicht in Deutschland verordnen zu müssen, ein Anachronismus. Es ist grotesk, dass ich mit Hab und Gut nach Prag oder Lissabon ohne Zollformalitäten ziehen, nicht aber mit einem Bild von München nach Salzburg fahren darf, das älter als 70 Jahre und wertvoller als 300 000 Euro ist.

Privatbesitz, öffentlich zu sehen. Die von Hans Holbein gemalte Schutzmantelmadonna (1526 bis 1528) gehört dem Kunstsammler Würth. Sie wird bis 10. Januar in der Ausstellung „Von Hockney zu Holbein“ im Martin-Gropius-Bau gezeigt.
Privatbesitz, öffentlich zu sehen. Die von Hans Holbein gemalte Schutzmantelmadonna (1526 bis 1528) gehört dem Kunstsammler Würth. Sie wird bis 10. Januar in der Ausstellung „Von Hockney zu Holbein“ im Martin-Gropius-Bau gezeigt.

© Sammlung Würth/P. Schönborn

Auch dies: Wenn die Nibelungen-Handschrift C, die Tagebücher Alexander von Humboldts, die Schutzmantelmadonna Holbeins in Deutschland bleiben und in den öffentlichen Besitz kommen sollen, sollte das rechtens nur in der Weise geschehen, dass der Staat sich entscheidet, derartige Werke – bevor sie ins Ausland verbracht werden – selbst zu erwerben. Denn auch dies belegt die Sinnlosigkeit des geplanten Gesetzes: Wird ein Werk als „national wertvolles Kulturgut“ in die zu erstellende Liste eingetragen, so bedeutet das nur: Es darf nicht ins Ausland verkauft werden. Innerhalb Deutschlands kann es von privater Hand zu privater Hand gehen, sodass das eigentliche Ziel, das der Gesetzgeber formuliert – der Öffentlichkeit national wertvolles Kulturgut zu erhalten –, mit dem Gesetz gar nicht erreicht wird! Dieses grundsätzliche Bedenken könnte nur durch ein im Gesetz verankertes Vorkaufsrecht der öffentlichen Hände entkräftet werden.

Die schärfsten Restriktionen Europas

Die Kulturstaatsministerin wird nicht müde zu behaupten, mit dem Ausfuhrverbot (mit Erlaubnisvorbehalt) erfülle sie eine europäische Richtlinie, die diesen Schritt „alternativlos“ mache. Die Behauptung steht mit der Rechtslage nicht im Einklang. Es gibt in Wahrheit keine Richtlinie, die das geplante Gesetz gebietet. Im Gegenteil: Deutschland wird mit dem geplanten Gesetz die schärfsten Restriktionen des Kunsthandels in Europa schaffen. Frankreich, England, die Beneluxstaaten haben ein wesentlich liberaleres Verfahren als das, was auf uns zurollt!

Wenn das Gesetz – wie es scheint– dennoch nicht zu verhindern ist, dann bleibt die Hoffnung, dass das offene Ohr der Kulturstaatsministerin empfänglich ist für weitere Verbesserungen. Der Bitte der Betroffenen, durch Fristenregelungen dafür Sorge zu tragen, dass über einen Ausfuhrantrag schnell entschieden wird, kommt der Entwurf insofern nach, als „über den Antrag zur Erteilung der Genehmigung … die oberste Landesbehörde spätestens binnen 10 Arbeitstagen zu entscheiden hat“. Der Entwurf unterlässt es aber, die Folge zu regeln, wenn diese Frist nicht eingehalten wird. Hier muss ergänzt werden: „Liegt innerhalb von 10 Tagen eine Entscheidung nicht vor, so gilt die Genehmigung als erteilt.“ Eine Regelung von Fristen, innerhalb derer das Verfahren zur Indizierung abgeschlossen sein soll, fehlt gänzlich.

Unerträglich lange Verfahren

Wie notwendig hier eine einschlägige Regelung ist, mag ein Berliner Beispiel belegen: Am 23. Februar 2015 leitet die Kulturverwaltung das sogenannte Indizierungsverfahren hinsichtlich zehn Papierarbeiten von Käthe Kollwitz ein (obwohl schon über 1000 Arbeiten dieser Künstlerin im öffentlichen Museumsbesitz sind!) und bittet bereits bei der Einleitung (!) um Verständnis, „dass eine Entscheidung über die Eintragung voraussichtlich erst in der zweiten Jahreshälfte getroffen werden kann“. Auf Rückfrage teilt die Senatsverwaltung am 17. September 2015 mit, sie gehe „weiterhin davon aus, dass eine Entscheidung über die Eintragung noch vor Jahresende 2015 erfolgen kann“.

Dieses „Tempo“ ist unerträglich und wird die Verfahren bei der Fülle der zu erwartenden Anträge ins Absurde verlängern, solange der Gesetzgeber auf die Einführung und Sanktionierung von Fristen verzichtet!

Das Gesetz überlässt es den obersten Landesbehörden (also den Kultusministerien der 16 Länder) zu entscheiden, ob das sogenannte Indizierungsverfahren eingeleitet wird, und in den Händen der 16 Kultusministerien liegt auch das Kosten verursachende Gutachterverfahren. Kein Wort verliert das Gesetz dazu, mit welcher Kompetenz die Beamten ausgestattet sein müssen, um verantwortlich prüfen zu können, ob jedenfalls der Anfangsverdacht besteht, ein zur Ausfuhr bestimmtes Werk auf den Kulturgutschutzcharakter zu überprüfen und damit zunächst dem Handel zu entziehen. Die Juristen der Landesministerien bzw. der Senate (in Berlin, Hamburg und Bremen) müssen mit dieser Frage inhaltlich und zeitlich überfordert sein. Wer soll die auf die Länder zukommenden Mehrkosten für Gutachter tragen? Das Gesetz regelt, wann einem nationalen Kulturgut die Ausfuhr erteilt werden muss, wann sie verweigert werden darf. Das ändert aber nichts daran, dass jede Landesbehörde und die Behörde von Kulturstaatsministerin Grütters jederzeit jedes Werk, von dessen Existenz im Privatbesitz sie erfahren, auf die Liste des Kulturgutschutzgesetzes setzen darf. Unabhängig davon, wie alt das Werk ist, gleichgültig wie wertvoll es ist. Da ist das Anheben der Schwellenwerte wirkungslos.

Gefahren für Auktionshäuser

Darüber hinaus scheint mir zumindest eine Ergänzung notwendig: Das Gesetz sollte eine Regelung aufnehmen, wonach jeder Eigentümer, jede Stiftung, jeder Privatmann das Recht erhalten soll, bei dem zuständigen Landes(kultus)ministerium eine Anfrage zu stellen, ob das (oder die) in seinem Besitz befindliche(n) Werk(e) als national wertvolles Kulturgut angesehen wird. Dies würde den Eigentümern von Kunstwerken Sicherheit und dem Handel Risikofreiheit bringen. Die zahllosen, angesichts des drohenden Gesetzes schon jetzt ins Ausland verfrachteten Werke, könnten mit einem solchen „laissez passer“ beruhigt nach Deutschland zurückkehren, und derjenige, der die Absicht hat, eine Arbeit in eine Auktion zu geben, kann vorab klären, ob das Werk als „national wertvoll“ angesehen und deshalb mit einem Ausfuhrverbot belegt wird. Mit einer solchen Regelung würde auch schwerer Schaden vom Auktionshandel in Deutschland abgewendet. Nach dem jetzigen Entwurf kann der Auktionator – bei Überschreiten der Schwellenwerte – einem ausländischen Bieter ein Werk nur unter dem Vorbehalt zuschlagen, dass dieses eine Ausfuhrgenehmigung bekommt. Hat der Eigentümer die Gelegenheit, vor der Auktion eine Art „Negativattest“ einzuholen, bleibt allen Beteiligten eine unerträgliche Ungewissheit erspart.

Die Zeit, auf ein solches Kulturgutschutzgesetz zu verzichten, ist wohl leider noch nicht reif. Dann aber sollte das Gesetz Regelungen finden, welche die Sorgen der Betroffenen mildert oder sie gar – ein Ziel, das aufs Innigste zu wünschen ist – beseitigt.

Peter Raue lebt als Rechtsanwalt und Kunstexperte in Berlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false