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"Philomena"-Darstellerin Judi Dench (Mitte) mit ihren Filmpartnern Steve Coogan und Anna Maxwell

© dpa

"Philomena": Kinokönigin Judi Dench

Judi Dench ist die Königin des englischen Theaters – kein Shakespeare, den sie nicht gespielt. Und sie war James Bonds Chefin - kaum ein Kinogänger, der sie nicht kennt. Nun ist sie für ihre Rolle in "Philomena" für den Oscar nominiert. Eine Begegnung.

Silbriger Blick, kleine Pupillen, die Kamera ist oft nah am Gesicht. Schaut ihr zu, wie sie in die Vergangenheit blickt, die sie so lange verbannt hat. Wie sie sich vorstellt, was aus ihrem Sohn geworden sein mag. 50 Jahre hat Philomena Lee geschwiegen, 50 Jahre seit Anthonys Geburt, damals im Kloster Roscrea bei den katholischen Nonnen in Irland. Es war eine Steißgeburt, aber die Nonnen gaben ihr nichts gegen die Schmerzen. Das sei ihre Strafe, sagten die Magdalenen- Schwestern zu dem von Schuldgefühlen geplagten Mädchen und verkauften Anthony an ein reiches Ehepaar aus Amerika, als er drei Jahre alt war.

Eine wahre Geschichte, eine von vielen Zwangsadoptionen. Der britische Journalist Martin Sixsmith hat ein Buch darüber geschrieben, wie er mit Philomena erst zum Kloster und dann nach Washington reiste. Nach 50 Jahren überwog der Schmerz das schlechte Gewissen der frommen Frau, nach 50 Jahren wollte sie herausfinden, wie es Anthony geht. Und ob er manchmal an seine verschollene Mutter denkt.

Silbriger Blick, kleine Pupillen. Judi Dench ist Philomena, im Herbst ist sie zur Weltpremiere nach Venedig gereist, sitzt auf einer Terrasse und schaut über die Lagune. Ja, San Marco und den Campanile im Nachmittagsdunst kann sie gut erkennen. Nur ihr Gegenüber, da muss sie passen, die Konturen verschwimmen. Die Augen lassen sie langsam im Stich, Makuladegeneration, aber sie wird vorerst nicht blind. „Keine Sorge, wenn ich meinen Text lerne, muss die Schrift bloß sehr groß sein.“ Auch das Lachen von Judi Dench hat eine silbrige Farbe, sie lacht überhaupt gerne, kichert und gluckst, setzt schlagfertig Pointen, lächelt verschmitzt. Wäre da nicht diese leichte Rauheit in ihrer Stimme, käme man nie auf die Idee, dass sie auf die 80 zugeht.

Sie sieht nicht mehr gut. Das Drehbuch hat sie sich vorlesen lassen

Dame Judi Dench, die Königin unter Englands Schauspielerinnen – und sie sieht nicht mehr gut? Ach was, wischt sie freundlich die Nachfrage vom Tisch, Drehbücher ließ sie sich schon immer gerne vorlesen, von ihrem Agenten, von Freunden oder ihrer Tochter Finty, die selbst Schauspielerin ist. „Das ist es doch, was das Kino ausmacht: dass wir uns Geschichten erzählen lassen.“ Das Drehbuch zu „Philomena“ las Steve Coogan ihr vor. Der britische Komiker hat den Film produziert und das Script mitverfasst, nach Sixsmith’ Buch. Coogan spielt ihn auch, diesen arroganten ehemaligen BBC-Starreporter, der als Pressesprecher von Tony Blair wegen eines falschen Satzes über Nacht seinen Job verliert und sich für eine „Human Interest“-Story eigentlich viel zu schade ist.

Judi Dench als Philomena
Judi Dench als Philomena

© Universum/Square One

Was dem Kinozuschauer die köstlichsten Dialoge beschert. Martin war in Oxford, Philomena liest Herzschmerzromane, die sie ihm haarklein nacherzählt. Philomena plaudert und plappert, Martin ist die Distinktion in Person. Sie schwatzt mit dem mexikanischen Pfannkuchenbäcker am Hotel-Frühstücksbuffet, Martin schämt sich dafür. Sie glaubt an Gott, Martin verurteilt die Kirche. Er ist gescheit, sie gütig – und verblüfft ihn mit ihrer Herzensklugheit.

Die Provinzlady und der weltgewandte Journalist: Es ist das reine Vergnügen, Dench und Coogan beim Schlagabtausch zuzusehen. Zumal Stephen Frears als Regisseur das Gleichgewicht zwischen Drama und Komödie haarfein austariert, wenn Philomenas Hoffnungen in den USA zunächst herb enttäuscht werden und sich hinter dem Skandal der verkauften Kinder ein weiterer auftut.

Mit der echten Philomena hat sie den Witz und die Menschenkenntnis gemeinsam

Und wie hält es Judi Dench mit der Religion? Sie stammt aus einer Familie irischer Methodisten, aber besonders fromm waren die Eltern nicht. „Sonntags spielten wir Karten und gingen ins Kino. Aber dann kam ich in dieses Quäker-Internat, die Strenge dort hat meine Seele zur Ruhe gebracht. Wissen Sie, ich bin ein sehr unruhiger Geist!“

Die echte Philomena Lee bewundert sie. Beide haben den Witz und die Menschenkenntnis gemeinsam – und die Gebrechen des Alters: Philomena hat eine Hüfte aus Titan, Judi Dench neuerdings ein künstliches Kniegelenk. Reale Personen hat Judi Dench oft gespielt, in „Iris“ die alzheimerkranke Autorin Iris Murdoch, Queen Victoria in „Mrs. Brown“ und Elizabeth I. in „Shakespeare in Love“, die ihr einen Oscar eintrug. Neu für sie war, dass sie mit Perücke am Set eben die Frau traf, als die sie sich verkleidet hatte. Was dazu führte, dass sie Philhomenas Geschichte so gerecht wie möglich werden wollte.

Frears’ Regiestil kam dem entgegen. Es ist ihre vierte Zusammenarbeit, Dench liebt seinen Minimalismus. „Manchmal sagt er: Möchtest du das nochmal machen? Dann weiß man: Er ist nicht zufrieden. Wobei sich seine Einsilbigkeit mit einem unglaublich präzisen Blick paart.“ Dass er einen klaren Standpunkt bezieht, ohne je anzuklagen, schätzt sie sehr.

Judi Denchs Hitliste: sechs Oscar-Nominierungen, zehn Baftas, zwei Globes

Apropos Politik: „Philomena“ ist für sie weniger ein Film über die Verbrechen der katholischen Kirche, die bis heute sämtliche Adoptionsdokumente unter Verschluss hält, als das Porträt einer Frau: „Es geht um ihren inneren Kampf, ihre Fähigkeit und ihre Kraft zu vergeben.“

Sie selber verzeiht nur schwer, gibt die Schauspielerin freimütig zu. Womit wir bei James Bond wären. Judi Dench, Theatertier, seit sie 1957 am Old Vic als Ophelia in „Hamlet“ debütierte, die praktisch jede Frauenfigur von Shakespeare gespielt hat, allein 30 Jahre bei der Royal Shakespeare Company, die als 25-Jährige ihre Eltern derart beeindruckte, dass diese auf ihre Frage als Shakespeares Julia „Where are my mother and father?“ prompt aus dem Parkett zurückriefen, „Liebling, wir sind hier!“, Judi Dench, die von der Zeitschrift „Stage“ zur besten Bühnenschauspielerin aller Zeiten gekürt wurde, die in TV-Serien und über 40 Kinofilmen zu sehen war, die unter anderem sechs Oscar-Nominierungen, zehn Baftas und zwei Globes erhielt – Judi Dench verdankt ihren Weltruhm vor allem ihrer Rolle als Boss von Bond. Als Chefin von 007, den sie bei ihrem Debüt als M in „Golden Eye“ 1995 einen „sexistischen, frauenfeindlichen Dinosaurier“ nannte und fortan auf seine Missionen schickte. Aber dann, in „Skyfall“, musste sie sterben.

In England ist sie längst beliebter als die Queen

Als sie das erfuhr, war sie außer sich. „So ein blutiges Ende! Siebzehn Jahre beim MI 6, da hätte ich einen Porsche verdient! Aber gut, es ist nicht das Schlechteste, in den Armen von Daniel Craig zu sterben.“ Das M nicht am Schreibtisch abdankt, sondern in einer Actionszene stirbt, versöhnt Judi Dench dann doch. Sogar schießen durfte sie. Die Patronenhülsen ließ sie sich vergolden und mit Rubinen veredeln: britischer Humor vom Feinsten. Und Ralph Fiennes als neuer Bond-Chef, ist das schlecht für die Sache der Frauen? „Mal sehen, wie er sich macht. Vielleicht ist Bond ja eigentlich schwul und die beiden geben ein schönes Paar ab.“

Ebenso legendär wie Judi Denchs Schlagfertigkeit ist ihr Mantra, sobald man sie nach ihrem Ruhm fragt. Mit ihrem feinen Gesicht, ihrer Geistesgegenwart und Unerschrockenheit ist sie in England längst beliebter als die Queen. Nein, schimpft sie dann, ich bin kein Nationalheiligtum. Erstens gibt es auch noch Helen Mirren, Vanessa Redgrave und ihre Freundin Maggie Smith, zweitens arbeitet sie nun mal schrecklich gern und denkt nicht daran aufzuhören. „Weil ich zur Minderheit derer gehöre, die von dem leben können, was sie lieben. Es ist ein ungeheures Glück, ich kann es kaum fassen.“

I love it. Wenn Philomena im Film einen ihrer Groschenromane zum Besten gibt, ist sie vom gleichen Enthusiasmus beseelt. Judi Dench blinzelt in die Sonne, sie sagt es gleich mehrfach, I love it, mit Oktavsprung auf der zweiten Silbe und ihrem kurzen, angerauten Lachen. Sie liebt es, sich mit Kollegen gut zu verstehen und jeden Tag etwas Neues zu lernen. „Vergiss, wer du bist. Überrasche dich selbst. Und: Weniger ist mehr.“ Judi Dench seufzt: „Wenn ich bloß wüsste, was dieses Weniger jeweils ist!“ Ihre eigenen Filme hat sie sich schon vor ihrer Augenkrankheit nur ungern angeschaut. Weil ihr immer sofort einfiel, wie sie es hätte besser machen können.

Koketterie eines Stars? Dass sie nie zufrieden ist, kommt sie manchmal teuer zu stehen. Zum Beispiel bei der Wette vom Vorabend. Sie wettet ständig, um alles und jedes. Auch darüber, dass sie bei der „Philomena“-Premiere am Lido keine standing ovations bekommt. Der Einsatz: eine Reise nach Venedig zu zweit. Sie hat haushoch verloren.

Ab Donnerstag in 15 Berliner Kinos; OV: Cinestar SonyCenter; OmU: Delphi, Babylon Kreuzberg, FaF, Hackesche Höfe

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