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Kultur: Poesie des Plastikeimers

Im Georg-Kolbe-Museum erklärt Thomas Brinkmann Nutzloses zum Kunstwerk

Thomas Brinkmann, geboren 1971, hat eine Fuhre Müll ins Georg-Kolbe-Museum mitgebracht – und 400 Jahre Kunstgeschichte. Seine „Venus del Whitespitz“ etwa. Die Figur auf dieser Fotografie liegt hingegossen wie Tizians Aktfigur Venus von Urbino. Mit kleinen Änderungen allerdings. Sie ist angezogen, und auf dem Kopf trägt sie einen geflochtenen, weißen Hocker. Die drei Beine ragen wie Hörner vom Kopf ab. Darunter verbirgt sich Brinkmann selbst.

Immer wieder verkleidet sich der Künstler, stülpt sich Kübel, Taschen, Kissenbezüge über, schlüpft in Brokatjacken und Polyesterwesten, wirft sich Decken um. Inszeniert sich wie auf einem altmeisterlichen Herrscherporträt und gibt sich doch nie zu erkennen. Sogar die Hände und Füße stecken in Handschuhen und Milchkannen. Als heroischer Ritter sitzt er auf einer schweren Kommode, seinem Pferd, die Lanze ist ein roter Kleiderständer. In seinen „Portraits of a Serialsammler" bedient er sich der Kunstgeschichte als Motiv- und Gestenkatalog.

„Donna Delle“ trägt ein lilafarbenes Spitzenblüschen und einen verbeulten Eimer auf dem Kopf. Das ist lustig, so lustig, wie Kunst selten sein will. Aber eben nicht nur. Brinkmann benutzt seinen Körper im eigentlichen Sinne: als Gerüst. Seine bildhauerischen Werke sind frei von individuellem Ausdruck, seltsam geschlechtslos. Dadurch schaffen sie einen Bogen von der Renaissance bis zu den Surrealisten. An René Magritte etwa mag man denken, an sein Gemälde vom Mann mit dem Bowlerhut, dessen Gesicht ein grüner Apfel verdeckt.

Das gilt auch für ein anderes Werk: Da hat der Hamburger Künstler einen vergammelten Plastikeimer in breiten Streifen eingeschnitten und unregelmäßig aufgebogen. Die Skulptur steht auf einer Blechtonne: „Eine Blume ist eine Blume ist eine Blume“ (2006). Schon Magritte hatte eine Pfeife gemalt und darunter geschrieben: „Dies ist keine Pfeife“. Die Darstellung sei nicht mit dem Gegenstand zu verwechseln und löse nur die Vorstellung eines Objektes beim Betrachter aus, so die Idee des Surrealisten, der in der Ausstellung mit einem weiteren Zitat auftaucht: Für das Stillleben „Wannitdat“ (2009), eine Verballhornung des „Vanitas“-Begriffs, hat Brinkmann eine kleine Pfeife, wie sie in Stutenkerlen steckt, mit einer erloschenen Kerze arrangiert.

„Studiomove“ heißt die Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum. Brinkmann hat sein Atelier aus Hamburg mitgebracht. Zwei deckenhohe, vollgestopfte Regale stehen nun im ehemaligen Atelier des 1947 verstorbenen Georg Kolbe. Brinkmann ist leidenschaftlicher Sammler. Sperrmüll, Second-Hand-Läden und Flohmärkte sind sein Revier. Ein Wegwerfartikel hat für den Künstler eine wunderbare Eigenschaft: Er hat keinen Nutzen mehr, so dass ihm der Künstler eine neue Aufgabe verleihen kann.

Dabei beweist der junge Künstler ein feines Gespür für Materialien und Ästhetik. Seine Stillleben mit Tassen, Dosen und Kühlelementen gehorchen immer noch den guten alten Kompositionsregeln. Die Skulpturen, Ready-mades, thematisieren stets die besondere Bedeutung des Sockels für ein erhabenes Kunstwerk. Mit welch spielerischer Lust er an die Arbeit geht, zeigt sich in seinen Videos. Auch hier stülpt sich der Künstler schnell einen Motorradhelm über, bevor man zu viel von seinem Gesicht erhaschen kann. Dann klettert er in einen Schrank und lässt sich mit ihm fallen. Was für ein dackeliger Typ, was für ein aussichtsloser Kampf mit der Welt. Brinkmanns Kunst ist auch eine Untersuchung darüber, wie Witz entsteht.

Für seine erste institutionelle Ausstellung in Deutschland hat der Künstler nun seinen ersten Raum gestaltet. Dafür wurden flauschige Orientteppiche ausgelegt, Bretter und Schrankwandfronten vom Typ „Eiche rustikal“ an die Wand genagelt. In der Mitte steht eine Velour-Couchgarnitur mit Wischiwaschi-Muster, an Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten. Von der Decke hängen kopfüber verstaubte Stehlampen. „Kommt da noch mehr so Gerümpel?“, fragt eine irritierte Besucherin und linst in den nächsten Raum. Oh ja. Noch viel mehr. Anna Pataczek

Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 21. November, Di-So 10-18 Uhr.

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