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Das Emek-Kino im Istanbuler Beyoglu-Viertel stammt aus den Zwanzigerjahren.

© www.emeksinemasiniyasatalim.org

Polizeieinsatz gegen Kino-Unterstützer: Rettet das Emek-Kino!

In Istanbul werden die Proteste gegen den Ausverkauf der historischen Innenstadt immer lauter. Nun soll das traditionsreiche Emek-Kino in einer Shoppingmall verschwinden. Die Demonstranten in Beyoglu, darunter Costa-Gavras und Berichten zufolge auch "Oh Boy"-Regisseur Jan Ole Gerster, wurden am Sonntag von der Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern attackiert.

Die Lolas der Türkei heißen Yesilçam-Preise. Die höchsten nationalen Auszeichnungen für türkische Filme sind nach jener Straße im Istanbuler Beyoglu-Viertel benannt, in der die großen Filmstudios der 50er- bis 70er-Jahre angesiedelt waren und sich bis heute auch die Traditionskinos von Istanbul befinden. Das bekannteste, das Emek-Kino, ist fast so alt wie die türkische Republik und Teil eines historischen Kulturstätten-Komplexes "Cercle d'Orient". Der heruntergekommene Komplex soll nun entkernt werden, das Kino soll in eine höhere Etage versetzt und in eine Shoppingmall integriert werden. Die Kulturbehörden verteidigen dies als Rettungsmaßnahme für die alten Gebäude, die Kulturszene fürchtet hingegen das Verschwinden des historischen Lichtspieltheaters. Seit 2010 wird dagegen protestiert, mit Demos, Twitter- und Blogger-Aktionen sowie Unterschriftenlisten. Das Emek-Kino und die Idee, ein Filmzentrum darin zu etablieren, hat viele prominente Unterstützer in der türkischen und internationalen Filmszene. (Mehr Infos siehe www.emeksinemasiniyasatalim.org/english.htm).

Auf die heftige, auch internationale Kritik während des derzeit laufenden Istanbuler Filmfestivals hat die Staatsgewalt nun besonders drastisch reagiert. Am Sonntag ging die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Demonstranten vor, unter denen sich der für sein Lebenswerk ausgezeichnete Regisseur Costa-Gavras und seine Kollegen Mike Newell aus Großbritannien, Marcho Bechis aus Chile befanden, Berichten zufolge auch der deutsche „Oh Boy“-Regisseur Jan Ole Gerster. Der türkische Filmemacher Erden Kiral, der 1983 auf der Berlinale einen Silbernen Bären gewann, soll bei dem Einsatz verletzt worden sein, der Filmkritiker Berke Göl - Mitglied der Festival-Jury - wurde mit drei weiteren Demonstranten verhaftet. Amnesty International bezweifelt die Verhältnismäßigkeit des staatlichen Vorgehens und fordert eine Untersuchung der Vorfälle, die internationale Kritikervereinigung Fipresci verlangte in einem Protestschreiben Göls sofortige Freilassung und die Bestrafung der Verantwortlichen (siehe www.fipresci.org). Auch die Istanbuler Stiftung für Kultur und Kunst, die das Filmfestival organisiert, kritisierte das Vorgehen der Polizei. Göl ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß.

Wutbürger nun auch in der Türkei? Ähnlich wie die Kritiker von Stuttgart 21 und die erfolgreichen Bürgeraktionen gegen den Abriss von Nachkriegsbauten wie dem Kölner Schauspielhaus oder der Bonner Beethovenhalle engagieren sich auch Istanbuler Bürger mehr und mehr für ihre Bauten des 20. Jahrhunderts. In der Metropole werden derzeit mehrere große Modernisierungsprojekte als Bulldozer-Aktionen und Ausverkauf der Innenstadt verurteilt. Die Demonstranten in der Yesilcam-Straße riefen Slogans wie "Emek und das Kapital machen keinen Deal" und "Emek gehört uns. Istanbul gehört uns".

Das Kino stammt aus den Zwanzigerjahren und ist fast so alt wie die türkische Republik. 1993 wurde es zum letzten Mal renoviert, viele originale Interieurs des Saals mit einer Decke im Rokoko-Stil und großzügigen Balkonen sind bis heute erhalten. Der proletarische Name - "Arbeiter-Kino" - bezeichnet einen Ort mit glamouröser Geschichte: Hier nahmen John Malkovich und Harvey Keitel während des Istanbuler Filmfestivals Preise entgegen, hier feierten Werke von Francois Ozon, Alexander Sokurov und Michael Moore Premiere. "Sie behaupten, sie beschützen das Emek-Kino. Aber Herr Kulturminister Ömer Çelik, haben Sie die Renovierungspläne gesehen?", fragte die Schauspielerin Serra Yılmaz in der "Hurriyet Daily News". Das Kino werde nur erhalten, wenn seine Türen sich auch künftig zur Straße hin öffneten.

(mit dpa)

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