zum Hauptinhalt
Untertitel: Eine Stimme aus den Untiefen der Seele

© Dunham

Charles Bradley – No time for dreaming: Der alte Mann mit der traurigen Seele

Echter Soul hat mit Schmerz zu tun. Deshalb transportieren gute Soulalben ein Gefühl zwischen Leid und Glückseligkeit. Dafür steht wie kaum ein anderer Charles Bradley, der mit 63 Jahren seine erste Langspielplatte auf den Markt bringt.

Einfach hatte es Charles Bradley aus Gainsville, Florida nicht. Als Kind trieb er sich auf den Straßen Brooklyns herum und lernte dort, was man auf der Straße lernen kann. 1962 weckte der Besuch des legendären James Brown Konzerts im Apollo seine Leidenschaft für Musik und Performance. Neben seinen Jobs als Koch in Maine, Alaska, Kalifornien und New York machte Bradley immer auch Musik. Sie begleitete ihn sein Leben lang. Erfolge konnte er damit nie feiern. Kurz vor dem Durchbruch kam stets etwas dazwischen: Vietnam, der Tod seines Bruders, die Polizei. Ein hoffnungsloser Lebenslauf.

Diese Hoffnungslosigkeit wurde erst gebrochen, als Bradley in Kontakt mit dem New Yorker Daptone Label kam. Dort erkannte man schnell sein Talent und verkuppelte ihn mit der labeleigenen Menahan Street Band. Etwas Besseres hätte Band und Sänger nicht passieren können. Die bisher instrumental aufspielende Kapelle liefert den perfekten Background für Bradley Blues getränkte Stimme. Die gemeinsam geschriebenen Stücke sind über jeden Zweifel erhaben. Aus prekären Umständen erwuchs Großes.

Der Sound führt zurück in die 60er und 70er Jahre, die Hochzeit der Soulmusik. Es ist der selbe Weg, den im vergangenen Jahr auch Aloe Blacc so erfolgreich gegangen ist. Und doch unterscheiden sich beide Platten grundlegend. Im Vergleich zu Bradley blieb Blacc textlich doch eher an der Oberfläche. Der selbst durchlebte Schmerz steht auf „No time for dreaming“ im Vordergrund. Das ist alles andere als ein Pop-Album.

Es ist erstaunlich, dass unsere Zeit solch großartige Soul-Künstler wie Blacc und Bradley hervorbringt. Noch erstaunlicher und sehr erfreulich ist, dass es Plattenfirmen gibt, die auch 63 jährigen Talenten erlaubt, ihren Lebenstraum endlich zu verwirklichen. Und wenn sich das jemand verdient hat, dann der alte Mann mit der traurigen Seele.

Ebenfalls neu auf Vinyl:

Wer doch eher auf die Leichtigkeit des Seins abhebt, ist bei den Dänen von Treelight for Sunlight gut aufgehoben. Die vielstimmig arrangierten Stücke auf deren selbstbetitelten Album verbreiten die angenehme Wärme der Sonne im Mai. In ihrer Versponnenheit erinnern Treelight for Sunlight an MGMT oder die gerade so erfolgreichen Empire of the Sun. Selten war eine Platte derart geeignet, die Kälte vor den Fenstern zu verdrängen und sich einfach nur noch auf den Frühling zu freuen.

Martin Väterlein

Zur Startseite