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Konzert- und CD-Kritik: Maurenbrecher für alle

Er ist einer der interessantesten Songschreiber in deutscher Sprache, und sein Werk lässt sich höchst unterschiedlich interpretieren. Eine Hommage an den Berliner Liedermacher Manfred Maurenbrecher auf CD und im Konzert.

Weil der Berliner Songpoet Manfred Maurenbrecher in diesem Jahr mit seinem sechzigsten Geburtstag auch sein dreißigstes Jahr öffentlicher Auftritte feiern konnte, erscheint ihm zu Ehren jetzt eine CD-Box: "Maurenbrecher für alle - Eine Hommage in 62 Liedern".

Freunde, Kollegen und Fans interpretieren ihre Lieblingssongs von Maurenbrecher, einem der interessantesten Songschreiber in deutscher Sprache. Ellenlang ist die Liste der Beiträge, 62 Songs und Interpreten des Maurenbrecherschen Oeuvres, darunter so alte Haudegen wie Reinhard Mey, Konstantin Wecker, Hannes Wader, Ulla Meinecke, Klaus Lage, aber auch jüngere oder unbekanntere, wie etwa die Kölner Band Klee oder der Chor der Grundschule am Rüdesheimer Platz. Drei komplette CDs mit mehr als dreieinhalb Stunden Spieldauer. Da fragt man sich ernsthaft: wer kauft so etwas? Wer hört sich so etwas an? 62 Maurenbrecher-Songs aus den verschiedensten Epochen seines dreißigjährigen musikalischen Schaffens, gesungen von 62 verschiedenen Interpreten. Von echten und unechten Musikern. Von Autoren, Kabarettisten, Kleinkünstlern, Chansonetten und diversen Lesebühnenmitgliedern.

Macht man sich die Mühe, die CDs tatsächlich in voller Länge durchzuhören, stellt man fest, dass Manfred Maurenbrecher eine Menge guter Songs geschrieben hat, sowohl textlich, wie auch kompositorisch. Und dass sie sich höchst unterschiedlich interpretieren lassen. Sparsam begleitet von nur einem Instrument, a cappella oder mit großer Band. Mit natürlichem oder elektronischem Instrumentarium, nüchtern oder dramatisch, rockig, jazzig, varietéhaft oder kammermusikalisch.

Beim Plattenveröffentlichungskonzert im Weddinger La Luz ist der Saal prall gefüllt. Dachten die Besucher möglicherweise, dies wäre ein Konzert von Maurenbrecher selbst, mit ein paar Bühnen-Gästen vielleicht. So hatte es offenbar auch der Berliner Musiker Lüül angenommen, der ein wenig irritiert darüber schien, dass er und seine Band nicht die einzigen Gäste des Abends waren, sondern dass es unzählige werden würden, nicht so viele wie auf der CD-Sammlung, aber eine Menge trotzdem. Vielleicht lag es auch an dieser Verwirrung zum Konzept, dass Lüül keinen Song von Maurenbrecher spielte, auch nicht den von Tom Waits, den Maurenbrecher sehr treffend ins Deutsche übertragen hatte, und den Lüül für die Platte aufgenommen hatte. Lüül singt einfach etwas anderes. Schlägt eine Ukulele, eine Säge singt, und ein Akkordeon wird gequetscht dazu.

Da ist das Programm schon im vollen Gange. Es geht Schlag auf Schlag, fliegender Wechsel auf der Bühne. Maurenbrecher moderiert witzig und charmant. Es sei schon komisch, seine Songs von anderen gesungen zu hören. Ihm, der das vorher nicht gekannt habe, komme das vor, als schaue er in unzählige Spiegel. Und manchmal sei es auch ein kurzer Schock gewesen, seine Lieder extrem verändert zu hören. Wie etwa vom Autor und Nichtmusiker Andreas Gläser, der sich mit einer witzig schrägen Version des Songs "Das" auf die Bühne stellt, mit trötigem Kazoo und berlinischen Sprachverprollungen. Wo sich "Gesicht" anhört wie "Jesüscht", was sich reimt auf "vaschprüscht" und "Lüscht" und "schlüscht". Sehr schön.

Zwischendrin legt Maurenbrecher immer wieder selbst Hand ans Piano. Bellt seinen Song "Es wirkt alles auf alles", donnert in die Tasten, stampft mit dem Fuß. Oder er begleitet gelegentlich einen seiner "Gäste": den Arzt und Schriftsteller Jakob Hein bei seiner sprechgesungenen zu "Erika" umgearbeiteten Version von Maurenbrechers "Edeka".

Ebenfalls am Klavier begleitet Maurenbrecher seinen alten Freund Diether Dehm. Diesen Hans Dampf in allen Gassen, Musikverleger und Unternehmer, Textautor von bots bis Klaus Lage, von "Das weiche Wasser bricht den Stein" bis zu "1000 und eine Nacht", vom Bundestagsabgeordneten der SPD zum stellvertretenden Parteivorsitzenden der Linken in Niedersachsen, Manager und Medienberater von Katarina Witt bis Wolf Biermann. Und war da nicht noch was? Ach ja: laut Stasi-Akte wurde er zwischen 1971 und 1978 vom "IM Dieter" zu "IM Willy". Jetzt singt der prominenteste und umtriebigste Gast des Abends ganz bescheiden Maurenbrechers Lied "Magdeburg '92" über die Nachwendeprofitgeier in der untergegangenen DDR.

Wenn Maurenbrecher gerade nicht singt, begleitet oder moderiert, sitzt er als Zuschauer am langen Tisch auf der Bühne, gemeinsam in einer Reihe pummlig kegelhafter Typen mit Prinz-Eisenherz-Frisuren. Wie eine Mischung aus Karnevalspräsidium, Parteikommitee bei der Vollversammlung und den Opas auf dem Balkon der Muppet-Show sitzen da Thilo Bock und Heiko Werning, die rührigen Initiatoren der Maurenbrecher-Hommage, sowie Andreas Albrecht, deren Produzent. Im Laufe des Abends singen auch sie alle mehr oder weniger schön, aber immer lustig.

Wirklich schön singen kann ein Mann namens Nikolic, der fast entschuldigend erklärt: "Von Haus aus komme ich aus der Klassik!" Und der dann eindrucksvoll demonstriert, wie man einen Maurenbrecher-Song mit ausgebildeter Opernstimme zum ergreifenden Kunstlied machen kann.

Toll singt auch die Französin Corinne Douarre in Begleitung des pfiffigen Pianisten Marc Haussmann. Wohingegen der Nichtsänger und Lesebühnenstar Ahne seinen Beitrag wunderbar manisch gesprochen darbietet, mit wild dazwischengebrülltem Refrain: "Kakerlaken durchfressen die Welt, Kakerlaken, bis alles zerfällt, Kakerlaken."

Um Mitternacht zerfällt dann auch ein höchst unterhaltsames, abwechslungsreiches Programm von Gesang und Nichtgesang, von Professionalität und charmanter Amateurhaftigkeit. Beim Rausgehen stauen sich die Zuschauer am Verkaufstisch für die Dreier-CD "Maurenbrecher für alle". Vielleicht wollen sie die heute Nacht noch durchhören?

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