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Kölsch-Rocker. Wolfgang Niedecken, Jahrgang 1951, studierte von 1970 bis 1976 Freie Malerei in Köln und ist das letzte Gründungmitglied bei der Band BAP, die ihren Durchbruch 1981 mit dem Album „Für usszeschnigge“ hatte.

© Thilo Rückeis

Wolfgang Niedecken: "Rock ’n’ Roll hat mich gerettet"

Wolfgang Niedecken spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über den 1.FC Köln, Karneval, Kindesmissbrauch und das neue BAP-Album.

Herr Niedecken, Ihr Lieblingsverein, der 1. FC Köln, hat nach einer guten Phase gerade einen Dämpfer beim HSV bekommen. War das 6:2 so ein Moment, in dem Sie sich gefragt haben: „Woröm dunn ich mir dat eijentlich ann?“ So heißt ja ein Song auf dem neuen BAP-Album.

Nein, ich weiß ja, warum ich es mir antue. Deshalb ist es auch nicht mehr so schlimm. Die Antwort ist auch im Lied enthalten: „Jung, et jitt drei Sache, die söök sich keiner uss: Vatter un Mutter un – wat willste maache – dä Club, mit dem man leiden muss.“ Der letzte Teil ist mit Absicht auf Hochdeutsch, als Zeichen, dass es wirklich ernst ist.

Haben Sie noch Abstiegsängste?

Nein, denn furchtbar viele Punkte brauchen wir nicht mehr, um drinzubleiben. Das werden wir schon schaffen. Aber von alleine wird es nicht gehen. Das weiß die Mannschaft auch.

Das neue Album „Halv su wild“ greift klassische BAP-Themen auf und bilanziert, genau wie ihre Autobiografie „Für ’ne Moment“. Wie lief die Rückschau?

An dem Buch habe ich zwei Jahre lang mit dem Literaturwissenschaftler Oliver Kobold gearbeitet. Er ist ein alter Freund. Und wenn du dein Leben umgräbst, stößt du auf einiges, das dir lange nicht mehr begegnet ist. Das hatte dann auch Auswirkungen auf die Texte des Albums. Diese Klassenarbeit „Welches Gedicht hat Sie in Ihrem Leben am meisten beeinflusst?“ hatte ich zum Beispiel schon völlig vergessen. Ich habe „Sympathy for the Devil“ übersetzt und interpretiert. Weil das im Buch auftauchte, kam ich auf die Idee, darüber auch mal einen Song zu machen. So sprangen die Themen immer wieder über.

Ein solches Thema ist Karneval, über den es ebenfalls ein Lied auf dem Album gibt. Sie galten lange als Karnevalshasser. Das hat sich kürzlich geändert.

Sehr sogar. In den 30 Jahren die seit dem Anti-Karnevals-Song „Nit für Kooche“ vergangen sind, ist viel passiert. Zum Beispiel ist die Stunk-Sitzung gegründet worden. Da haben sich noch mehr Leute unwohl gefühlt mit dem bräsigen Vereinsmeier-Bonzen-Karneval. Teilweise hat sich das dann – ich will nicht zynisch sein – biologisch gelöst. Inzwischen ist da eine andere Generation verantwortlich, die zuletzt einen Rosenmontagszug ermöglicht hat, der thematisch fast schon grün ausgerichtet war. So was gab es früher nicht. Diese Veränderung muss man auch mal anerkennen.

Sie haben 2010 sogar einen Wagen des Rosenmontagszugs gestaltet.

Zwei! Der Leiter des Zugs, Christoph Kuckelkorn, hatte mir vorgeschlagen, einen Wagen zum Thema „Krisenkontinent Afrika“ zu machen. Als ich sagte, ein einzelner Persiflage-Wagen ginge nicht, meinte er: „Dann machen wir eben zwei.“ Da war ich schachmatt. So entstanden dann „Der Sponsor kütt“, auf dem ein europäischer Geschäftsmann einen Koffer mit Bestechungsgeld an ein afrikanisches Präsidentenpaar übergibt. Der zweite Wagen hieß „Weggezappt“ und thematisierte das Wegschauen des Westens. Für beide gab es viel Applaus. Zu mir kamen auch viele Leute, die sich freuten, dass der verlorene Sohn wieder zurück ist. Dieses Jahr bin ich sogar auf dem ersten Wagen mitgefahren.

Für Ihr Afrika-Engagement sind Sie, wie die Kollegen Bob Geldof und Bono, immer wieder als „Gutmensch“ verspottet worden.

Das ist für mich das Unwort des ausgehenden 20. Jahrhunderts! Wer dieses Wort zückt, ist der tolle Hecht und der, der was ändern will, ist der Arsch. Unfassbar! Da schwingt immer der Vorwurf der Naivität mit und des nur Gut-Gemeinten als Gegenteil des Gut-Gemachten mit. Statt sich mit den Themen auseinanderzusetzen, wird viel Platz dafür verschwendet, Leute wie Geldof und Bono zu kritisieren. Ich lass mich da nicht mehr drauf ein.

Ein Kapitel Ihrer Autobiografie handelt von Ihrer Zeit am katholischen Internat in Rheinbach und vom Missbrauch durch einen Pater. Ein Thema, das vergangenes Jahr riesengroß war. Wie erklären Sie es sich, dass die Aufklärung so spät kam?

Ich habe das zum ersten Mal auf meinem Solo-Album „Schlagzeiten“ in dem Stück „Nie met Aljebra“ angesprochen. Im Buch „Auskunft“ habe ich vor 20 Jahren ebenfalls darüber geschrieben – ohne Resonanz. Das war mitten in den 16 endlosen Jahren der Regierung Kohl. Damals wagte man es einfach nicht, darauf einzugehen. Es war eine verklemmte Zeit. Die Medien waren nicht bereit, Klartext zu sprechen. Umso besser, dass es jetzt geschieht. Vor den Verantwortlichen des Canisius-Kollegs in Berlin ziehe ich meinen Hut. Sie haben dafür gesorgt, dass eine Debatte in Gang kommt. Besonders wichtig ist mir auch, dass die Betroffenen von der Schuld befreit wurden. Denn oft ist es ja so, dass die Schande bei den Geschändeten bleibt.

Und Sie selbst?

Was ich persönlich erlitten habe, war so gut wie gar nichts gegen das, was andere durchgemacht haben. Mich hat das in meiner sexuellen Entwicklung nicht beeinträchtigt. Aber ich kenne Leute – auch aus dem Internat –, die sind daran zerbrochen. „My Life was saved by Rock’n’Roll“, wie Velvet Underground so schön gesungen haben.

Aber auch Ihr Vater hat Ihnen geholfen.

Ja, er sah unter der Dusche die Striemen auf meinem Rücken und meinem Hintern. Er fragte, was da passiert sei und ob noch andere Jungs betroffen seien. Ich wusste von einem. Mit dessen Vater fuhr er dann zu meinem Internat und sorgte dafür, dass dieser Pater versetzt wurde. Außerdem sagte er zu mir: Rede da bloß mit niemandem drüber. Er hat instinktiv gewusst, dass die Schande an mir hängen bleiben würde. Und wir haben auch nie mehr darüber geredet.

Um Sprachlosigkeit geht es ja auch im BAP-Hit „Verdamp lang her“.

Ja, mein Vater und ich haben irgendwann über gar nichts mehr miteinander gesprochen. Vor allem, als wir uns dann politisch in die Haare gerieten. Ich war mit 17, 18 Jahren auch sehr selbstgerecht. Später hat mir vieles leid getan. Mein Vater war ja ein ganz lieber Mensch. Der muss gelitten haben wie ein Schwein. Ihm ist sein Kronprinz verloren gegangen. Ich war zuvor ein echtes Papa-Kind gewesen.

Dann kam der Rock’n’Roll. Die Beatles, die Stones und später auch Bob Dylan und Bruce Springsteen. Viele Ihrer alten Helden sind immer noch dabei. Kaufen Sie sich deren neue Alben?

Am Erscheinungstag. Ich bin dann nervös und hoffe, dass mir die Platte gefällt. Falls das beim ersten Hören nicht klappt, versuche ich, sie mir schönzuhören. Ich gebe aber auch zu, wenn es nichts geworden ist. Dann sage ich: Ab ins Regal, vielleicht klappt’s beim nächsten Mal.

Bruce Springsteen kennen Sie ja persönlich, treten gelegentlich mit ihm auf. Würden Sie es ihm sagen, wenn Ihnen ein Album nicht gefällt?

Ja, aber da habe ich nichts dran zu nörgeln. Das letzte, das ich nicht gut fand, war sein Riesen-Erfolg „Born in the USA“. Das war mir zu poppig produziert. So kamen die tollen Songs nicht richtig zur Geltung. Live sind die großartig. Beim Saxofon-Solo am Ende von „Bobby Jean“ habe ich regelmäßig Tränen in den Augen.

„Trost ist immer nur so weit weg wie die nächste Jukebox“ heißt es in Ihrem Buch. Heute hat jeder ständig seine Jukebox in Form eines mp3-Players dabei. Eigentlich müssten die Menschen alle immer froh sein.

Das ist leider nicht so. Es ist eine Inflationierung, eine Trost-Inflationierung. Ich hatte früher einen Stapel Platten, den habe ich überall mit hingeschleppt. Da kannte ich  jedes Stück in- und auswendig. Und es gibt immer noch Songs, die ich therapeutisch einsetzen kann. „Tumbling Dice“ von den Rolling Stones hat noch gegen jeden grauen Tag geholfen.

Das Gespräch führte Nadine Lange.

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