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Kisten und Kissen. Die Filmkuratorin und Programmgestalterin Verena von Stackelberg, 38

© Kai-Uwe Heinrich

Porträt Verena von Stackelberg: Die Spur der Leberwurst

Die Filmkuratorin und Programmgestalterin Verena von Stackelberg liebt das Kino. Was liegt da näher, als eins aufzumachen. Ein Baustellenbesuch.

Ein Märzabend in Neukölln, immer noch kühl, aber schon mit einem seidigen Hauch Frühling. An der unscheinbaren Kreuzung Weser- und Wildenbruchstraße ballt sich die Low-Budget-Kultur. Nur Katzensprünge voneinander entfernt laufen gleich drei Veranstaltungen: „Raum B“, eine Buchhandlung mit Café, lädt zur Lesung, „K fetisch“, eine Kulturkneipe, zu einem Vortrag mit Videoprojektion und schräg gegenüber strömen die Leute in einen Eckladen, der so undefinierbar wie unfertig aussieht. Das ist das „Wolf“.

Drinnen fleckige, rohe Wände und freigelegte Rohre. Kein aufgeschminkter Baustellenappeal, sondern richtig Baustelle. Ein weitläufiges Nochnichts in den Räumen des ehemaligen Bordells „Zigarre Zwei“ , das trotzdem schon etwas ist. Mit einer aus rohen Brettern gezimmerten Bar und einem improvisierten kleinen Kinosaal, in dem man auf Bierkisten und Bänken hockt. Mit Filmemachern wie den Brüdern Lass, Caroline Kirberg, Sandra Schäfer oder Stephan Geene, die als Baustellenbespielung ihre und andere Filme zeigen. Mit einem „Wolf-Gang“ genannten Crowdfunding-Unterstützerkreis. Und mit der in der unabhängigen Filmszene gut vernetzten Initiatorin Verena von Stackelberg an der Spitze.

Kino darf man nicht nur als Ort denken - sondern als Kommunikationsform- und forum

„Könnte ihr da vorne noch etwas zusammenrücken?“, lässt sie sich gerade eher handfest als visionär vernehmen, und schleppt weitere Holzbänke in den übervollen Raum. Es laufen Kurzfilme einer DVD-Edition, die Regisseure zur Verfügung gestellt haben. Ein selbst produzierter Trailer, der mit „echtem Wolf“, wie die Chefin ankündigt, für ihr zukünftiges Kino wirbt. Und der vergangenes Jahr auch auf der Berlinale gelaufene Kinofilm „Umsonst“ von Stephan Geene, der gleich hier im Hipster- und Drifter-Land diesseits und jenseits des Landwehrkanals spielt. Geene kennt das „Wolf“ seit Februar, seit einer Berlinale-Party. Die Größe der Räume beeindrucke ihn, sagt er, und das Konzept, Kino nicht nur als Ort zu denken, wo man stumm und steif sitzt und Filme guckt. „Die unabhängige Filmszene fällt ziemlich auseinander, jeder arbeitet isoliert, so ein Ort schafft mehr Spirit untereinander.“

Da hat er mal schön zusammengefasst, was Verena von Stackelberg ein paar Tage später bei Tageslicht in wohl durchdachten und gesetzen Worten von sich gibt. Ein zarter Duft nach Holz, Lehm und Zukunft erfüllt die leeren Räume. In einem bastelt eine Künstlerin gerade an einem weißen Wolf aus Gips. Für die Oster-Ausstellung, wo es hier Film, Fotografie, Kunst zu sehen gibt, sagt von Stackelberg. Dringlicher noch als die Frage nach ihrem Konzept für die 360 Quadratmeter, die für „Wolf“ veranschlagt sind, ist aber eine ganz andere: Der schwarze Wolf, der im Trailer vorsichtig über den Neuköllner Elsensteg schnürt, ist doch in Wirklichkeit nur ein zahmer Wolfshund, oder? Sie schüttelt den Kopf. Ist echt. Von „filmwolf.de“, ein Mietwolf sozusagen. Und da Wölfe im Gegensatz zu Hunden nicht wirklich trainierbar sind, hat ihn eine Leberwurst-Spur gefügig gemacht.

Seit diesem Dreh gehört auch der Filmwolf-Züchter zu den Unterstützern des Projekts. So wie Thomas Arslan, Pia Marais, Florian Koerner von Gustorf, Emily Atef, Monika Treut, Béla Tarr und viele andere Filmschaffende. Wie der Ungar Tarr dazu gekommen ist? „Das ist ein guter Bekannter von mir, seit ich 2009 seinen Film ,The Man from London‘ in Deutschland ins Kino gebracht habe.“

Verena von Stackelberg lebt seit 2008 in Berlin

Verena von Stackelberg hat viele gute Bekannte. Sie ist 1977 in Heidelberg geboren, seit 2008 in Berlin ansässig und hat reichlich Erfahrung als Verleiherin und Programmgestalterin. Sie hat Medienkunst in Barcelona und Fotografie und Film in London studiert, wo sie zehn Jahre lebte. Fünf Jahre hat sie dort als Veranstaltungschefin der Curzon Kinokette gearbeitet. Die entscheidende Prägung für die schon als Teenager durch die Tragikkomödie „Gas Food Lodging“ für den Indiefilm entflammte. „In London habe ich die wahnsinnige Macht des Kinos gespürt, als mich Leute verprügeln wollten, die sich über Gaspar Noéts Vergewaltigungsdrama ,Irreversible‘ empört haben.“ Da wusste sie: bestimmte Filme brauchen Begleitung, nicht weil sie Produkte sind, die mit dem richtigen Marketing zu Geldmaschinen werden, sondern Kunstwerke, die besser in einem Kenntnisse und Kommunikation fördernden Rahmen wirken. „Verständnis schaffen für den filmischen Prozess“, nennt sie das.

In Berlin angekommen, trat die Idee, so etwas aufzubauen, dann erstmal zurück. Sie arbeitete für Arthaus-Filmverleiher und als Programmgestalterin für Festivals und das Soho House Kino. Einige Jahre hat sie auch zum beratenden Auswahlgremium des Wettbewerbs der Berlinale gehört. Jetzt konzentriert sie sich auf ihren Traum, auf „Wolf“.

Die Hälfte des veranschlagten Budgets von 500 000 Euro für Sanierung und Austattung haben sie und ihre Unterstützer zusammen. Bis zum 8. April läuft die Spendenaktion, am 10. August müssen alle Verträge erfüllt sein. Die nötigen Genehmigungen sind erteilt, der Bezirk ist laut von Stackelberg erfreut und wenn alles klappt, wird im Dezember Einweihung gefeiert. Von zwei digitalen Kinosälen mit je 50 Plätzen, einer Café-Bar, einem Raum mit 40 Plätzen für Werkstattgespräche, Seminare, Ausstellungen und angeschlossenen Postproduktionsarbeitsplätzen.

Von Stackelberg will, dass alles unter einem Dach geschieht: Film erleben, diskutieren, bearbeiten, entwickeln. Unabhängig von Verleihern, von Markterfordernissen, offen für Experimente. Auch für neue Online-Distributionsformen. Der erste Testballon ihrer erst durch die Digitalisierung umsetzbaren Idee, Filme parallel im Kino Wolf für Eintritt und Online gegen Gebühr zu zeigen, steigt schon während der Baustellenbespielung: Am 26. März läuft im „Wolf“ der Film „Ningen“, Online-Crowdfunder bekommen einen Link und können den Film einige Tage lang im Netz ansehen.

Kino nicht als Ort des Filmkonsums, sondern als Plattform für die Filmszene, als sozialer Treffpunkt, der in die Nachbarschaft ausstrahlt, das sei das kommende Konzept, ja sogar eine junge, internationale Bewegung, ist Verena von Stackelberg überzeugt. Sie zählt Beispiele in Brüssel, im serbischen Subotica, in Kairo auf, wo ihr Freund das alternative Filmhaus Cimatheque aufgebaut hat.

Hier in Nord-Neukölln gibt es neuerdings auch eine Kinokneipe namens „Il Kino“. Und wenn bis zur Eröffnung von „Wolf“ noch mehr dazukommen? Gelassenes Lächeln. „In dieser Szene macht Konkurrenzdenken keinen Sinn, je mehr je besser, so klein wie wir sind.“ Die Frau hat eine Mission. Sie will das Gemeinschaftserlebnis Kino zukunftsfähig und finanziell tragfähig machen. „Das ist mein Anspruch.“ Wenn es eine schafft, dann sie.

Wolf, Weserstr. 59, Termine: 26.3., 19.30 Uhr, Film „Ningen“; 31.3., 18 Uhr, Laser Bar der Regisseure Jakob und Tom Lass; 3.-5.4. Oster-Ausstellung; 7.4., 19 Uhr, Werner-Schroeter-Abend; www.wolfberlin.org

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