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Kultur: Raus aus der Welt

Hans Weingartner variiert ein Lebensthema: „Die Summe meiner einzelnen Teile“.

Recht spät, der mit langem Atem inszenierte Langtitelfilm ist fast vorüber, erlaubt sich sein Regisseur und Drehbuchautor ein szenisches Selbstzitat. Der Banker, den der junge Außenseiter am Geldautomaten abzockt – ist das nicht der tolle Burghart Klaußner aus „Die fetten Jahre sind vorbei“, Hans Weingartners Hit von 2004? Fast. Denn der Banker bleibt hier durchweg fies, und sein Widersacher ist am Ende seiner Kräfte.

Davor aber erinnert „Die Summe meiner einzelnen Teile“ vor allem an Weingartners Debüt „Das weiße Rauschen“ (2001), nicht als Selbstzitat diesmal, sondern als Variation. Spielte damals Daniel Brühl einen jungen Typen, der nach Drogenexzessen schizophrene Schübe bekam und in der Psychiatrie landete, versucht hier der Theaterschauspieler Peter Schneider als Martin Blunt der Diagnose Psychose zu entkommen, sechs Monate Klinikaufenthalt inklusive.

Alle Weingartner-Filme – auch seine arg platt geratene Mediensatire „Free Rainer“ – sind gesellschaftliche oder private Aussteigerfantasien, und „Die Summe meiner einzelnen Teile“ ist seine bisher radikalste. Nicht weil sie lauter oder grober tönte als ihre Vorgänger, im Gegenteil. Sondern Weingartner verschränkt hier die Innenwelt seines Protagonisten total mit der sogenannten Außenwelt, und das ist oft anrührend und stellenweise spannend anzusehen.

Martin also. Nach sechs Monaten wieder draußen aus der Klinik, fliegt er Schlag auf Schlag raus aus der Welt. Das Unternehmen, dessen bester Mathematiker er war, will ihn nicht mehr. Die Freundin hat längst einen anderen. Die Neustartwohnung in Berlin-Marzahn: ruckzuck zwangsgeräumt. Und schon ist Martin obdachlos unter Obdachlosen und nicht mal mehr auf Schmuddelmatratzen in Abbruchhäusern sicher.

Was hält so ein Leben noch auf, das rasant in den Abgrund trudelt? Ein kleiner Freund namens Viktor (Timur Massold) vielleicht, zehn Jahre ist er, spricht nur Russisch und lebt vom Erlös der Pfandflaschen, die er aus Mülleimern klaubt. Und eine Art Freundin namens Lena (Henrike von Kuick), der sich Martin vorsichtig nähert und die er schüchtern zu einer Reise nach Portugal verführen will.

Und dann ist da der Wald, der hier eine heimliche Hauptrolle spielt. Im immer tieferen Wald baut Martin sich eine Hütte mit Viktor, im Wald wird der kaputte Martin, der dort sogar ohne Tabletten und erst recht ohne Schnäpse auskommt, wieder zum Naturmenschen und irgendwie gesund. Aber die Welt rückt näher, in Gestalt von Förstern und Polizisten, und zerschlägt auch diese Utopie.

Wie das geschieht, auf einer Oberflächen- und einer schmerzhaft tieferen Ebene, sei hier nicht verraten. Nur, dass Weingartner seine Geschichte sehr sicher erzählt, mit sparsamen, exakt dem Alltag abgelauschten Dialogen und starken, frischen Kinogesichtern. Und, manchmal, mit einer Emphase, die ans Herz geht. So ist „Die Summe meiner einzelnen Teile“ eine schöne, zarte Etüde geworden. Der wirklich große Film steht Hans Weingartner noch bevor.

Cinemaxx, fsk, FT Friedrichshain

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