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Nie ohne meine Halskrause. Ward Weemhoff, Vincent van der Valk und Rüdiger Hauffe im HAU.

©  Hans Jörg Michel

Revolutionstheater: Besetzt die Bühne!

Was haben der Aufstand der Niederlande gegen die spanischen Besatzer vor fast 500 Jahren, Agit Prop und Occupy gemeinsam? Die Truppe andcompany&Co. zeigt es garantiert ironieverliebt in „Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller“ im HAU.

Revolutionäre treten meist in den Kostümen vergangener Revolutionen auf. Alte Marx-Weisheit. Im HAU 1 tragen die protestbewegten Performer Bettler-Look, üben Occupy-Chöre, zitieren aus Schillers „Don Carlos“ und einem zeitgenössischen Anarcho-Pamphlet, das es zu Berühmtheit gebracht hat: „Unter welchem Blickwinkel man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ausweglos“. Schwer zu sagen, in welcher Epoche des Umsturzes wir uns befinden. Aber die muntere Kreuzung historischer Wegmarken ist bei der Gruppe andcompany&Co. Programm. Wo der Benjamin’sche Engel der Geschichte sein Trümmerfeld erblickt, erkennen diese Performer eine Spielwiese. „Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller“ heißt ihr Aktionsabend, der Passagen aus der Kapitalismus-Dämmerung des Kollektivs „Unsichtbares Komitee“ mit Schillers Schrift „Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande“ von 1788 kreuzt. Unter anderem.

Durchmessen wird auf mehreren Ebenen die kürzeste gedankliche Entfernung zwischen zwei Aufständen. Vor 444 Jahren erhoben sich im Nachbarland die Geusen gegen die spanischen Unterdrücker: frühe Wutbürger, die bei der Statthalterin von Philipp II. ihre Privilegien einklagten. Wobei es zu dem berühmten Ausspruch eines Höflings kam: „N’ayez pas peur Madame, ce ne sont que des gueux“ – Keine Angst, Madame, das sind bloß Bettler. Die Bürger der Niederlande griffen das dankbar auf und kleideten sich in Protestlumpen. Eine ziemlich smarte Pop-Demo. Währenddessen zog der 80-jährige Krieg herauf.

Heute heißen die Bettler Künstler. Und der Beschwichtigungsspruch auf der HAU-Bühne entsprechend: Keine Angst, wir sind bloß Schauspieler. Die andcompany-Vasallen um Alexander Karschnia und Sascha Sulimma haben sich mit holländischen Kollegen zusammengetan, die im dortigen rechtspopulistisch-verhangenen Klima des gewollten Kulturkahlschlags durchaus Grund zur Klage haben. Und hier gemeinsam – und teils in folkloristisch korrekten Holzpantinen – im wahrsten Sinne den Aufstand proben.

Die Performance greift dabei ironiegeschult in den Fundus von Agit-Prop und Mitmachtheater. Klampfige Utopisten- Hymnen sollen die Zuschauer zur kollektiven Erhebung animieren. Ein Nackter, dem man nicht in die Taschen greifen kann, rennt durch die Reihen und stellt existenzielle Fragen nach Wirtschaftsmoral und Marktglauben. Die Neu-Geusen nehmen die Bühne, ein charmant-höfisches Papp-Kabinett, als Protestplattform in Beschlag. Das Schauspiel als Besetzungsprobe.

Man kann das als linksromantischen Karneval im postdramatischen Bert-Old-Brecht-Leerlauf abtun. Sich der Remix-Freude der Performer verweigern, die von der deutschen Occupy-Bewegung anno 1940 in Den Haag den Bogen umstandslos zur Wall Street schlagen. Oder man lässt sich vom sprühenden Assoziationsfuror anstecken. Was zu empfehlen wäre, denn „Der (kommende) Aufstand“ zählt zu den stärkeren andcompany-Abenden der jüngeren Vergangenheit. Weil er im Tumult an bedenkenswerten Fragen rührt. Etwa, ob Schillers berühmter Ruf „Geben Sie Gedankenfreiheit!“ heute noch mehr sein kann als eine hohle Pathosformel.

noch einmal am heutigen Donnerstag, 28.2., 20 Uhr

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