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Kultur: Ritt über den See

Sopranistin Dagmar Schellenberger übernimmt die Festspiele im österreichischen Mörbisch.

In den goldenen Jahren der Ära Harry Kupfer war sie ein Star im Ensemble: Blutjung kam Dagmar Schellenberger an die Komische Oper, berührte hier als Gluck-Eurydike neben Jochen Kowalskis Orpheus, sang große Mozart-Rollen, war Rosalinde in der „Fledermaus“ und wagte schließlich sogar alle drei Frauenrollen in „Hoffmanns Erzählungen“. 1997 verabschiedete sich die aus Sachsen stammende Sopranistin von dem Haus, setzte ihre Karriere im Ausland fort, debütierte an der Mailänder Scala, in Buenos Aires und Tokio. Von 2006 bis 2009 ließ sie sich dann noch einmal von der Deutschen Oper am Rhein verpflichten.

Jetzt überrascht Dagmar Schellenberger mit einem Fachwechsel. Ab diesem Sommer zeichnet sie als Intendantin für die österreichischen Seefestspiele Mörbisch verantwortlich. Das größte Freiluft-Operettenspektakel der Welt am Ufer des Neusiedlersees ist ihr vertraut: 2004 sang sie hier die Titelrolle in Kálmáns „Gräfin Mariza“, im Jahr darauf war sie dann die „Lustige Witwe“.

Als man 2010 in Mörbisch beschloss, nach 20 Jahren die Amtszeit von Festivalchef Harald Serafin auslaufen zu lassen, wurde Schellenberger von verschiedenen Mitarbeitern aus dem Mörbischer Team aufgefordert, sich zu bewerben. „Eine Intendanz zu übernehmen gehörte nicht zu den Dingen, die ich noch in meinem Leben vorhatte“, erzählt sie. „Doch dann kamen mir so viele Ideen, dass ich es gewagt habe.“ Und tatsächlich entschied sich die Auswahlkommission für die Sängerin. Am 11. Juli wird sie ihre erste Premiere auf dem See präsentieren, Carl Millöckers „Bettelstudent“.

Eine Frau, eine Quereinsteigerin und dazu noch eine Piefke – da schlugen die Wellen natürlich erst einmal hoch im Heimatland der Operette. Mit dem Charme einer erfahrenen Bühnendiva versucht Dagmar Schellenberger seitdem die Ressentiments wegzulächeln, tourt über die Tourismusmessen und wirbt für ihren Neustart. Sie will nicht alles anders machen, aber vieles soll künftig frischer werden, vielleicht auch ein wenig frecher als bei Serafin, einem prototypischen Küss- die-Hand-Kavalier, Jahrgang 1931, der jedes Österreich-Klischee lustvoll ausspielte, auf der Bühne wie auch im Leben. Dass Dagmar Schellenberger für 2014 mit „Anatevka“ erstmals ein Musical in Mörbisch herausbringen wird, zeugt auf jeden Fall vom Wagemut der neuen Intendantin.

Ihre Geldgeber, das 2322-Seelen-Örtchen Mörbisch und die Region Burgenland, hat sie zudem überredet, 6,5 Millionen in die Infrastruktur des Festivals zu investieren. Bei ausverkauften Vorstellungen strömen allabendlich immerhin 6000 Besucher aufs Gelände. Die werden es nun dank der neuen überdachten Freiluftfoyers mit diversen gastronomischen Angeboten nun deutlich bequemer haben.

Zudem entsteht neben der Seetribüne derzeit eine Zweitspielstätte, die ab 2014 mit Kinderstücken bespielt wird. Die entstehen dann jeweils als Auftragswerke ganz neu für Mörbisch. Außerdem träumt die Sopranistin davon, eine Sommerakademie zu gründen, in der junge Sänger die Kniffe und Tricks der leichten Muse lernen können: „Die Hochschulen bieten den Studierenden wirklich eine umfassende Ausbildung“, erzählt Schellenberger, die bis vor kurzem selber als Professorin an der Berliner Universität der Künste gearbeitet hat. „Nur die Operette kommt immer zu kurz. Weil viele Lehrer das Genre für unter ihrer Würde halten. Wenn die Absolventen dann aber ihr erstes Engagement antreten, werden sie garantiert mit Operettenrollen konfrontiert – und wissen oft nicht, was sie tun sollen.“

In diesem Sommer aber muss sich die neue Chefin erst einmal darum kümmern, die Stammgäste davon zu überzeugen, dass sie die richtige Wahl war. Ein echter Coup ist ihr bei der Wahl des Bühnenbildners für den „Bettelstudenten“ gelungen. Für die Ausstattung konnte sie nämlich den Panoramen-Künstler Yadegar Asisi gewinnen. Jemand, der das antike Pergamon auf 25 mal 103 Metern auferstehen lassen kann, kennt auch keine Angst vor einer 3500-Quadratmeter- Bühne unter freiem Himmel.

Die Kostüme werden opulent und „barock angehaucht“ sein, verspricht Schellenberger, und auch der Berliner Regisseur Ralf Nürnberger will mit seiner szenischen Umsetzung die Traditionalisten keineswegs vor den Kopf stoßen. Schließlich gilt es, in der Sommersaison 150 000 Besucher zufriedenzustellen. Oder um es mit den Worten aus Millöckers Evergreen-Operette zu sagen: „Es wird schon geh’n, macht es auch Plag’. Nichts ist zu schön für diesen Tag!“ Frederik Hanssen

Infos: www.seefestspiele-moerbisch.at Am 30. April präsentiert Dagmar Schellenberger ihr Festival in Berlin um 19 Uhr im Kleinen Sendesaal des RBB bei einem Live-Gespräch mit Musikbeispielen, das Marek Kalina moderiert (Eintritt frei, Anmeldung unter 97993 33706).

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