zum Hauptinhalt
Vortragskünstler mit der Energie von Jazz und Rap. Fiston Mwanza Mujila.

© Leonhard Hilzensauer/Paul Zsolnay Verlag

Roman aus dem Kongo: Latrine der Globalisierung

Der Kongolese Fiston Mwanza Mujila setzt seiner Heimatstadt Lubumbashi in „Tram 83“ ein finster-sprachmächtiges Romandenkmal.

Eigentlich wollte er Saxofonist werden. Aber weil sich keine Gelegenheit bot, fing Fiston Mwanza Mujila an zu schreiben. Im Endeffekt ist er doch Musiker geworden, denn seine Sätze reißen den Leser mit wie virtuoser Jazz. In schnellen Kaskaden, kreiselnden Aufzählungen und wiederkehrenden Motiven entwickeln seine Romankapitel einen ungewöhnlichen Drive. Sein Schreiben beginnt mit dem Rhythmus, sagte er in einem Interview, „der Rhythmus lässt Farben entstehen, Emotion, den Himmel, Krankheit, Lepra, Eifersucht, Liebe.“

Es geht um „Tram 83“, einen Nachtclub, der seinem Roman auch den Titel gegeben hat, und um die verrohte, bitterarme Stadt in Äquatorialafrika, die ihn beherbergt. Immer neue Bürgerkriegswellen sind über diese Stadt hinweggeflutet. Waren es zwei oder drei? Weder die dauerstreikenden Studenten noch die erschöpften Minenarbeiter erinnern sich genau daran.

Jetzt ist der wichtige Nordbahnhof nur noch „ein von Granateinschlägen zerschundenes Metallgerüst mit ein paar Gleisen und Lokomotiven, die noch an Stanleys Eisenbahntrasse erinnerten.“ Wer hierherkommt, will schnell Geld verdienen, träumt von Diamanten, Kupfer und Kobalt, während die, die hier geboren sind, einfach nur überleben wollen.

Lubumbashi, die zweitgrößte Stadt der Demokratischen Republik Kongo, in der Fiston Mwanza Mujila 1981 geboren wurde und Sprach- und Humanwissenschaft studierte, hat Pate für die in Musik und Staub eingehüllte Stadt gestanden, deren wild schlagendes Herz das „Tram 83“ ist. Die Bands spielen Salsa, Flamenco und Merengue, für die Fremden auch Jazz. Die gegrillten Hundespießchen sind legendär, und die Prostituierten, Single-Mamis genannt, sind dreister, jünger und hübscher als irgendwo sonst.

Er rappt und schreit seine Sätze

Bei seinen Lesungen singt, schreit und rappt der Autor seine Sätze, inszeniert seinen Roman als ein geradezu orchestrales Klangereignis, das die Klänge der Straße und der metallisch stampfenden Eisenbahn einfängt, das Murmeln und Fluchen der Wanderarbeiter, die Schreie der Händler und Schlägereien der Kindersoldaten. „Es ist ein Text, der bis jetzt zusammenfasst, was ich seit mehreren Jahren mache“, sagt Mujila mit Blick auf seine Theaterstücke und Gedichtbände.

Den Roman kann man sich sofort auf der Bühne vorstellen, denn das Ganze ist eine hochdramatische Inszenierung: der düstere, überfüllte Clubraum mit den gemischten Toiletten am Ende gibt eine eindrucksvolle Kulisse ab für den Pulk nach Trinkgeld schreiender Kellnerinnen, für die Massen „gewinnorientierter Touristen“ und Diamantsucher aus der ganzen Welt.

Mittendrin streiten sich die beiden Hauptfiguren Lucien und Requiem, der Dichter und der Mafioso, einst alte Freunde, nach Luciens Gefängniszeit einander mehr als überdrüssig, über Geld, Moral und beiläufig auch über Literatur. Fiston Mwanza Mujilas zu Recht für die Longlist des Man Booker Prize nominiertes Romandebüt ist ein kluges, leicht spöttisches Welttheater – und ein erschütternder Abgesang auf eine verlorene, trotz ungeheurer Bodenschätze verhungernde Stadt, deren während einer grausamen Kolonialherrschaft geschlagene Wunden noch kaum verheilt sind. Mujila nennt sie halb wütend, halb traurig, eine „Latrine der Globalisierung“.

Der Dichter Lucien ist so aus der Zeit gefallen und zugleich so zeittypisch, dass man unwillkürlich an seinen Namensvetter Lucien Leuwen bei Stendhal denkt. Wie dieser ist er ein Auserwählter und Außenseiter, ein Gesellschaftverweigerer und quälend guter Mensch. „Er nervt uns“, hört man eine kommentierende Stimme in „Tram 83“ sagen. Sie hat für Luciens dichterische Darbietungen wenig übrig, auch wenn er zusammen mit einer umjubelten Diva, einer dunklen Maria Callas, auftritt. In gefährlichen Situationen kritzelt Lucien in sein Notizbuch, um alles Geschehen festzuhalten – ein sprachmächtiger Chronist, den die Frauen vergöttern und dessen Unschuld die rohe Gewalt ringsum absurd erscheinen lässt.

Mwanza Majila selbst floh vor dem Bürgerkrieg nach Europa und ist mittlerweile in Graz heimisch geworden, wo er, nach einem Stipendium als Stadtschreiber, inzwischen an der Universität afrikanische Literatur unterrichtet. In seiner poetischen Sprache, die Katharina Meyer und Lena Müller leuchtend übersetzt haben, verwirbeln sich Spoken-Word-Elemente und klassisch literarische Motive. Und stets spürt man die Liebe zu seinem Land. Als Kind, sagt Mujila, habe ihn sein Vater gefragt, was er denn mit dem ihm gehörenden Kongo-Fluss machen wolle. Jetzt weiß er es: Er nimmt ihn, in Sprache verwandelt, überallhin mit.

Fiston Mwanza Mujila: Tram 83. Roman. Aus dem Französischen von Katharina Meyer und Lena Müller. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016. 207 Seiten, 20 €.

Nicole Henneberg

Zur Startseite