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Filmemacher Oleg Sentsov bei der Urteilsverkündung in Moskau.

© AFP

Russland: Urteil gegen Oleg Senzow: "Die Herrschaft des verdammten Zwergs wird enden"

Oleg Senzow ist in Moskau wegen "Terrorismus" zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Der ukrainische Filmemacher zeigt sich unerschrocken und hat eine klare Botschaft für Putin.

Soll man das jetzt – zynisch – Milde nennen? Nicht zu 23 Jahren, wie vom Staatsanwalt gefordert, sondern „nur“ zu 20 Jahren Gefängnis hat ein russischen Militärgericht am Dienstag in Rostov am Don den 39-jährigen ukrainischen Filmemacher Oleg Senzow verurteilt. Der von Senzow bestrittene Vorwurf: Er habe mit seinem ukrainischen Mitangeklagten, dem Aktivisten Alexander Koltschenko, im Mai letzten Jahres das Büro einer prorussischen Partei auf der Krim in Brand gesetzt und außerdem eine Lenin-Statue in der Krim-Hauptstadt Simferopol sprengen wollen. Koltschenko, ebenfalls wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ angeklagt, wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Dies ist der einstweilige Höhepunkt eines politisch motivierten Strafverfahrens, wie es in dieser Härte in neuerer Zeit allenfalls mit dem Prozess gegen den Unternehmer und Gründer der „Open Russia“-Stiftung Michail Chodorkowski im Jahr 2003 vergleichbar ist. Über 15 Monate lang saß Sentsov bereits ohne Gerichtsverfahren in Haft, nachdem er am 11. Mai 2014, zwei Wochen vor der formalen Annektierung der Krim, in seinem Haus in Simferopol vom russischen Geheimdienst FSB verhaftet und nach Moskau verschleppt worden war. Senzow sagte jetzt vor Gericht, in den Tagen nach seiner Festnahme sei er gefoltert sowie mit Vergewaltigung und Mord bedroht worden, wenn er sich weigere, die Planung von Terrorakten zu gestehen. Seine Anwälte ergänzten, Zeugen seien zu Aussagen gegen die Angeklagten gezwungen worden. Am Dienstag kündigten sie an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.

Senzow zeigte sich unerschrocken

Schon im Vorfeld, bei einer Anhörung, hatte Senzow sich unerschrocken gezeigt. In der unlängst bei den ukrainischen Filmtagen in Berlin gezeigten Kurzdokumentation des Russen Askold Kurov sagt Senzow von einer vergitterten Anklagebank aus, er fürchte sich nicht vor 20 Jahren Haft, schließlich werde „die Herrschaft des verdammten Zwergs“ – gemeint ist der russische Präsident Wladimir Putin – vorher enden. Auch von der Urteilsverkündung am Dienstag ließen sich die beiden Angeklagten keineswegs einschüchtern. Laut dem unabhängigen russischen Radio Svoboda stimmten sie die ukrainische Nationalhymne an.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sagte am Dienstag laut Nachrichtenagentur Interfax, das Urteil bestätige, dass „der Besatzerstaat“ keine gerechten Urteile gegen Ukrainer fälle. Zudem verstoße das Urteil gegen das Minsker Abkommen, in der die Freilassung von Gefangenen aus den besetzten Gebieten festgelegt sei. Auch sonst ist die Solidarität für Senzow, der sich nach seinem Regiedebüt „Gamer“ der ukrainischen Maidan- Bewegung angeschlossen hatte, stark. Die Europäische Filmakademie forderte seine Freilassung in einem von 1000 Filmkünstlern unterzeichneten offenen Brief an Putin. Und am Dienstag skandierten über 100 Personen vor der russischen Botschaft in Kiew bei Bekanntwerden des Urteils: „Schande!“

Chodorkowski wurde nach zehn Jahren begnadigt

Michail Chodorkowski übrigens war zehn Jahre lang in russischen Gefängnissen und Straflagern interniert, bevor er im Dezember 2013 begnadigt wurde. Eine Woche später kündigte der Oberste Gerichtshof in Moskau an, die gegen ihn ergangenen Urteile wegen Steuerhinterziehung zu überprüfen, wegen „neuer Umstände“. Soll man das, zynisch, späte Einsicht nennen?

Mitarbeit: Nane Khachatryan

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