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Kultur: Schaut nicht so bedeppert

Wenn es einem zuzutrauen wäre, über den eigenen Tod hinaus zu schreiben, dann Philip Roth. Seit mehr als 40 Jahren veröffentlicht der inzwischen 79-Jährige fast jahrein, jahraus Romane, die so unmerklich in ein kraftvoll altersbitteres Spätwerk gemündet sind, dass man sich von ihm auch Aufschluss über das jüdische Jenseits versprechen würde.

Wenn es einem zuzutrauen wäre, über den eigenen Tod hinaus zu schreiben, dann Philip Roth. Seit mehr als 40 Jahren veröffentlicht der inzwischen 79-Jährige fast jahrein, jahraus Romane, die so unmerklich in ein kraftvoll altersbitteres Spätwerk gemündet sind, dass man sich von ihm auch Aufschluss über das jüdische Jenseits versprechen würde. Damit wird es nun wohl nichts mehr werden.

In der französischen Zeitschrift „Les Inrockuptibles“ kündigte er an, dass „Nemesis“, sein vor einem Jahr auch auf Deutsch erschienenes 31. Buch, sein letztes bleiben werde. E.M. Forster habe sich bereits mit 40 Jahren von der Belletristik verabschiedet. Roths Bostoner Verlag Houghton Mifflin hat die Absicht unterdessen bestätigt, und ob sie einem heroischen Akt, der Selbsterkenntnis oder einer Schwäche entspringt, könnte am besten ein 32. Buch beantworten.

Anders als ausübende Künstler brechen Schriftsteller, Maler oder Komponisten nicht auf offener Bühne oder vor laufender Kamera zusammen. Die Drohung der Endlichkeit lässt manche erst recht aufblühen und bringt Werke wie die von Maria Lassnig, Louise Bourgeois oder Elliott Carter hervor. Manche jedoch verwässern ihre Arbeit in formelhafter Wiederholung oder demontieren sich gar in Karikaturen ihrer selbst.

Zumal Romanciers entschwinden obendrein die Themen, die man ihnen abnimmt – außer sie rammen sich auf den letzten Metern des Vergehens den Griffel jedes Mal noch ein Stück tiefer ins Herz, wie es Peter Rühmkorf tat. „Schaut nur nicht so bedeppert in diese Grube / Nur immer rein in die gute Stube“, reimte er in seinem letzten Band „Paradiesvogelschiss“. Und als hätte er seinem Initialenvetter Philip Roth das Stichwort geben wollen: „Immer gut, etwas Neues anzupacken / Dann packt dich das Neue von selbst beim Nacken. / Grad heut mich mal wieder aufgerafft / und gleich ein Totentänzchen geschafft!“

Was sich bei Roth 1995 mit „Sabbaths Theater“ ankündigte, in „Der menschliche Makel“ fortsetzte und in „Das sterbende Tier“ und „Jedermann“ („Sex als Widerstand gegen den Tod fängt mit spätestens 30 an“) noch einmal aufbäumte, waren alles Totentänze: einer verzweifelter als der andere, jeder aber auch ein wenig matter als der vorherige. Mit dem jetzt anbrechenden Schweigen hat Roth womöglich sogar seine Chancen auf den Nobelpreis erhöht. Alle Hoffnungen auf Unsterblichkeit ruhen jetzt auf Tom Wolfe. Mit „Back to Blood“ hat er gerade ein überbordend vitales Miami-Panorama veröffentlicht, das nicht zuletzt sein Alter Lügen strafen soll: Wolfe ist 81 Jahre alt.

Gregor Dotzauer über das Schweigegelübde von Philip Roth

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