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Drei Schwestern. Katharina Abt (Anne), Keren Trüger (Charlotte) und Dalma Viczina (Emily).

© Joachim Fieguth

"Schestern im Geiste" an der Neuköllner Oper: Runter von der Sturmhöhe

Das 19. Jahrhundert und heute: Peter Lunds Musical „Schwestern im Geiste“ an der Neuköllner Oper.

Drei Pfarrerstöchter, denen in der verzopften, hochgeknöpften Gefühlswelt der Viktorianer die Luft zum Atmen wegbleibt, die durchs Schreiben den Befreiungsschlag suchen und an Krankheiten sterben, bevor sie 35 sind – kann das ein Musicalstoff sein? Wenn Peter Lund ihn anfasst, schon. Der UdK-Professor, einst Direktoriumsmitglied der Neuköllner Oper, kehrt einmal im Jahr an die Karl-Marx-Straße zurück, seine Inszenierungen – 2013 etwa „Stimmen im Kopf“ – sind meist Highlights im Spielplan. Weil er mit neuen, selbst geschriebenen Stücken kommt, anstatt Aufgüsse und Parodien bestehender Opern zu bieten.

„Schwestern im Geiste“ ist eine Hommage an Charlotte, Emily und Anne Brontë. Unter männlichen Pseudonymen verfassten sie Romane, die die bürgerliche Vorstellungswelt ihrer Epoche sprengten. Die dumpfe Lebenswelt eines anglikanischen Pfarrerhaushalts um 1850 alleine mutet Lund dem Zuschauer dabei nicht zu. Kunstvoll lässt er einen Gegenwartsstrang parallel laufen, in dem eine Englisch-Leistungskurslehrerin ihren beiden Schülerinnen die Texte der Brontë-Schwestern nahezubringen versucht. Die Story aus dem 19. Jahrhundert spielt ausschließlich auf der linken Bühnenseite (Ulrike Reinhard): Hier brüten die Schwestern, gesungen von Keren Trüger, Dalma Viczina und Katharina Abt, wie „Kartoffeln, die nur keimen, nicht blühen“. Sie sind Gefangene einer Zeit, in der Frauen als persönliches Eigentum ihres Mannes betrachtet wurden, und fiebern sich in ihren Texten in andere Sphären – am eindrücklichsten Dalma Viczina als Emily, deren einziger Roman „Wuthering Heights“, zu Deutsch „Sturmhöhe“, zur Weltliteratur zählt und die restlos entrückt vom „Wind und dem Regen“ singt, ohne den sie nicht leben kann.

Jeder Figur ist ein Pendant aus dem anderen Erzählstrang zugeordnet

Auf der rechten Bühnenseite steht die brillante, kopftuchtragende Einser-Schülerin Aydin (Jaqueline Reinhold) kurz davor, ihr Abitur abzubrechen, um gemäß Vaters Wille ihren Cousin zu heiraten und in die Türkei zu ziehen, was Lehrerin Lotte (Teresa Scherhag) verzweifelt verhindern will. Milly (Rubini Zöllner) wiederum begreift überhaupt nicht, warum sie sich mit ollen Texten von drei längst verstorbenen Frauen beschäftigen soll – und verführt die Lehrerin, um an die Abiturfragen zu kommen. Jeder der drei Figuren ist ein Pendant aus dem anderen Erzählstrang zugeordnet, was ein bisschen offensichtlich wirkt, aber auch auf erfrischende Weise eine längst vergangene Zeit ins Heute holt.

Das musikalische Niveau ist uneinheitlich, es reicht von Denis Edelmann (als Pastor und potenzieller Brontë-Gatte Arthur), dessen Gesangskünste jenseits der Schmerzgrenze liegen, bis zu Jaqueline Reinhold, deren gleißende Höhe gerne öfter glänzen dürfte. Der wackere Hans-Peter Kirchberg leitet eine Fünfer-Combo, die Thomas Zaufkes mit viel musicalgerechtem Schmelz, aber auch dissonant gewürzter Musik schmissig interpretiert. Ein Musical über die Emanzipation der Frauen also? Unbedingt. Eines, das die Zeitschichten ineinander spiegelt und zum Nachdenken anregt – über frühere Epochen, die nicht verstockt waren, und über die Gegenwart, die möglicherweise nicht so befreit ist, wie wir denken.

Wieder am 20.-23. und 27.-30. März sowie im April.

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