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Premier als Partygänger. Weder Parteigenossen noch Hostessen oder Journalisten werden von B.s Zudringlichkeiten verschont.

© Imago

Italien: Signor B. und die Frauen

Vor kurzem setzte ich mit der Fähre von Neapel nach Palermo über. Ich war allein unter Männern, deren Annäherungsversuche nicht lange auf sich warten ließen. Ein italienisches Sittenbild.

Vor kurzem setzte ich mit der Fähre von Neapel nach Palermo über. Die Luft roch nach Nebel, an Bord waren keine Touristen, nur Lkw-Fahrer und ich. Die Lkw-Fahrer wollten sich mit der nächtlichen Überfahrt die lange Autobahnstrecke von Neapel über Reggio Calabria nach Sizilien ersparen; mein Auto wirkte etwas verloren zwischen all den Gemüsetransportern, Sattelschleppern und Kühlwagen.

Als ich meinen Koffer aus dem Wagen hob, klebte sofort ein Schwarm von Stewards an mir, die ihn mir aus der Hand rissen, zur Kabine trugen und androhten, mir bald auch noch eine gute Nacht zu wünschen. Später ging ich zum Abendessen ins Bordrestaurant, ein Selbstbedienungs-Imbiss in bleichem Neonlicht. Die meisten Gerichte waren bereits ausverkauft, mir blieb nur ein vertrocknetes Stück Pizza. Während ich versuchte, der Pizza mit einem stumpfen Messer beizukommen, wurden die Lichter Neapels von der Nacht verschluckt. Die Lkw-Fahrer hockten wie Krähen um mich herum. Ab und zu hüpfte eine Krähe etwas näher.

Als ich mit der Pizza fast fertig war, lud einer der Männer mich auf einen Kaffee ein und überreichte mir eine Visitenkarte, so groß wie eine Postkarte.

Wenig später saß ich in einem verblichenen fliederfarbenen Cocktailsessel in der Bar und nippte an einem Espresso. Laut Visitenkarte war der Mann kein Lkw-Fahrer, sondern Richter am obersten Kassationshof, dem obersten Gericht Italiens. Er hatte seine Mobilnummer auf die Visitenkarte gekritzelt und kühn alle Ehrentitel durchgestrichen, den „Generalstaatsanwalt am Kassationshof“, den „Professor an der Universität Federico II. in Neapel“ und den „Professor h. c. an der Universität Palermo“, ganz so, als handele es sich um Nichtigkeiten. Darunter befanden sich drei Adressen, eine in Rom, eine in Neapel, eine in Capri. Die Festnetznummer in Neapel hatte er unterstrichen.

Der Barpianist, ein trauriger Mann im Glitzerjackett, spielte auf einer Hammondorgel „Torna a Sorrento“. Manche der Lkw-Fahrer sprach der Richter mit Vornamen an, anscheinend war er bestens mit ihnen bekannt. Er erklärte mir, dass er jede Woche mit dem Schiff von Neapel nach Palermo fuhr, da ergeben sich Bekanntschaften im Lauf der Zeit. Einer der Lkw-Fahrer nahm Platz an unserem Tisch, ein Sizilianer, der mir offenbarte, dass er Cassata-Eis herstelle, welches er in Neapel, Capri und Genua verkaufe. Der Richter fragte mich, ob ich Ungarin sei.

Ungarinnen sind in Italien sehr beliebt, weil man in ihnen fast immer Pornostars vermutet. Ich bin eine falsche Blondine und fahre einen Spider, das reichte aus, um auch mich für eine Ungarin zu halten. Ilona Staller, vulgo Cicciolina, hat die ungarischen Pornostars in Italien salonfähig gemacht. Auch als Abgeordnete der Radikalen Partei fühlte sie sich weiter ihrer Sache verpflichtet, weshalb sie im italienischen Parlament für freie Liebe warb und dort regelmäßig ihre Brust entblößte – anders als die heutige Gleichstellungsministerin Mara Garfagna, ein ehemaliges Nacktmodell, das, seitdem Berlusconi sie zur Ministerin erhob, sich nur noch in züchtige, hamsterfarbene Hosenanzüge hüllt und farblosen Lippenstift benutzt. Sie tut so, als tadelte sie Supersilvio, wenn er etwa nach der Sexgeschichte mit der minderjährigen marokkanischen Skandalnudel Ruby erklärt, seinen Lebensstil nicht ändern zu wollen und lieber Frauen zu lieben als schwul zu sein.

Nein, sagte ich, ich bin keine Ungarin, ich bin Deutsche.

Ach, sagte der Richter enttäuscht. Dann erzählte er mir, dass er seit 39 Jahren verheiratet sei und seine Frau mit 13 kennengelernt habe. Vor mir auf dem Tisch lag eine zerfledderte „Repubblica“, die darüber berichtete, dass eine weitere von B.s unzähligen Escort-Damen gerade in Palermo aufgetaucht war. Nadia war für zwei Mal Sex mit B. mit 10 000 Euro entlohnt worden. Sie hatte von Marijuana und Minderjährigen in B.s Villen berichtet – „bevor alle zusammen in den Pool gingen“ – und war bei B. in Ungnade gefallen, weil sie auf seine Frage „Was machst du so Schönes im Leben“ mit einem aufrichtigen „Ich gehe auf den Strich, was sonst“ geantwortet hatte.

Man kann es kaum noch ertragen, sagte ich zu dem Richter und deutete auf die Schlagzeile „Ruby und der Escort-Verkehr“. Jeder, der in Italien regelmäßig Zeitungen liest, kennt die Geschichten des Lüstlings im Doppelreiher mit gefärbtem, nachgepflanztem Haar bis zum Überdruss. Geschichten eines Vorstadtgockels, der schon beim Anblick eines weiblichen Fußknöchels einen Kontrollverlust erleidet und bei Forza-Italia-Kundgebungen sagt: „In der ersten Reihe sehe ich nur schöne Beine!“ (Bologna, 5. April 2002), „Ich musste mir den Lippenstift vom Gesicht entfernen. Es waren die Küsse der Damen von vorhin, gut, dass Veronica nicht da war …“ (Catania, 5. Mai 2005) oder auch „Ich bin bereit, Telefonnummern aufzunehmen und mich zu verlieben“ (Genua, 20. Januar 2007).

Weder Journalistinnen („Ich finde Sie besonders schön, meine Damen Journalistinnen, prachtvoll in den Farben des Sommers, ich weiß, was ich täte, wenn ich nicht Premierminister wäre“), noch Hostessen („Bitte geben Sie mir Ihre Telefonnummer, Signorina, später habe ich etwas freie Zeit“) bleiben verschont, selbst vor amerikanischen Investoren schreckt er nicht zurück: „Wir haben hier nicht nur ständig schönes Wetter und eine wunderbare Landschaft, sondern auch wunderschöne Sekretärinnen!“

Fährt er nach Paris, verlautet er: „Ich hatte in Paris eine Freundin.“ Fährt er nach Berlin, gibt er kund: „Ich hatte in Berlin eine Freundin.“ Trifft er türkische Unternehmer, heißt es: „Ich hatte eine wunderbare türkische Freundin.“ Besucht er Russland, droht er an: „Ich will die schönste und beste Arbeiterin küssen!“ und führt dies umgehend aus: Dem klein gewachsenen B. (1,58 Meter) gelang es jedoch erst nach zwei Sprüngen, einer hoch gewachsenen Russin den Mund zu küssen, stand in der Zeitung „Kommersant“.

Seine Frau erklärte ihn für krank und lässt sich gegen einen dreistelligen Millionenbetrag von ihm scheiden. Und die Polizei ermittelt wegen Begünstigung von Prostitution – nicht gegen B., der seinem Anwalt zufolge ja nur „Endverbraucher“ ist, sondern gegen den Nachrichtenmoderator von B.s Fernsehsender Rete 4 sowie gegen einen Mailänder Impresario. Sie hätten B. regelmäßig in Mailand mit Prostituierten beliefert. In Rom hatte B. einen anderen Lieferanten, der ihm allein 30 Damen zugeführt habe. Eine davon, Patrizia D’Addario, nahm sein Geflüster im Putin-Bett auf (ein Geschenk von Putin) und übergab die Kassette den Staatsanwälten. Die Italiener bewegt vor allem eine Frage: Wie schafft es B., ohne Prostata Sex zu haben?

Sogar das Parlament beschäftigte sich mit B.s Unterleib. Es sei alles rechtens gewesen, als B. nachts auf der Mailänder Polizeipräfektur anrief, um dem Polizeipräfekten zu sagen, dass es sich bei der festgenommenen Marokkanerin Ruby keineswegs um eine minderjährige Prostituierte handele, sondern um die Nichte des ägyptischen Präsidenten Mubarak. Weshalb Ruby umgehend freizulassen sei.

Glauben Sie nicht, dass ich eine Affäre will. Ich liebe meine Frau, sagte der Richter zu mir. Es war an der Zeit, den Mann darüber aufzuklären, dass ich Journalistin bin und vorwiegend über die Mafia schreibe. Ich war nach Palermo unterwegs, um dort einen Staatsanwalt zu interviewen, der gerade ermittelte, welche Rolle die Verstrickungen von B.s Partei Forza Italia und der Mafia in der Zeit der Attentate gegen die beiden Richter Falcone und Borsellino gespielt hatten. Einem Mann, der Richter am obersten Kassationshof war, konnte so etwas nicht gleichgültig sein. Und, wer weiß, vielleicht hätte er ein paar Hintergrundinformationen für mich?

Ich verachte Berlusconi, sagte er, ich habe mein Leben lang links gewählt!

Statt Hintergrundinformationen gab er ein Gedicht von Jacques Prévert zum Besten. Er sprang auf, riss dem entgeisterten Barpianisten das Mikrofon aus der Hand und deklamierte „Pour toi, mon amour“. Auf Italienisch. Die Lkw-Fahrer lauschten wie Kinder an Weihnachten, und ich dachte daran, dass selbst B.s Leibwächter sich für ihn fremdschämten: „Viele unserer Kollegen haben Staatsanwälte oder Politiker bewacht, die dafür gestorben sind, dass sie den Staat verteidigt haben. Und wir sind nichts anderes als Taxifahrer für Sexpartys.“ Manchmal versuche B., sie aufzuheitern, erzähle einen Witz, schicke ihnen eine Bauchtänzerin oder sage: „Ach, ihr Glücklichen, Ihr könnt jetzt nach Hause gehen und schlafen, ich dagegen muss noch vögeln.“

Der Richter setzte sich leicht erhitzt wieder an den Tisch. Ich wollte Schauspieler werden, aber seit neun Generationen waren alle in meiner Familie Juristen, sagte er. Und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ich wagte einen neuen Versuch, mit ihm über B. zu reden.

Etliche Mafiaabtrünnige haben ja bereits vor Jahren die Verhandlungen zwischen der Cosa Nostra und dem italienischen Staat enthüllt, meinte ich. Verhandlungen, in deren Folge B. an die Macht gekommen ist. Ich erinnerte an die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft von Palermo im Prozess gegen den Sizilianer Marcello Dell’Utri; am Ende wurde der Forza-Italia-Gründer, Senator und wichtigster Freund und Mitarbeiter von B., als Mafia-Gehilfe keineswegs freigesprochen, wie ganz Palermo erwartet hatte, sondern zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Bei einer Vernehmung im Hochsicherheits-Gerichtssaal von Turin hatte der Abtrünnige Gasparre Spatuzza geschildert, wie beglückt sein Boss Giuseppe Graviano ihm in der römischen Bar Doney in der Via Veneto erzählt habe, dass die Verhandlungen erfolgreich verlaufen seien. Man habe das Land in der Hand, dank eines sizilianischen Landsmannes und „dem von Canale 5“, eben B.

Dies war der Moment, in dem das endgültige Zerwürfnis mit Gianfranco Fini begann, dem Vizepremier, Parlamentspräsidenten und einstigen Parteigenossen von B.: Die Bekenntnisse von Spatuzza seien eine Atombombe, hatte Fini erklärt. Das hätte doch eigentlich reichen müssen, um B. zum Rücktritt zu zwingen, fragte ich den Richter.

Aber der hörte mir gar nicht mehr zu, sondern stand mit dem Mikrofon vor uns und deklamierte nun Dante: Was ist die Welt hinter der Sonne? Die Lkw-Fahrer applaudierten euphorisch.

B. war wegen Steuerbetrugs, Bilanzfälschung, Richterbestechung und Mittäterschaft bei Anschlägen angeklagt, sagte ich, als der Richter sich wieder neben mich setzte.

Und ich wäre letztes Jahr fast gestorben, sagte er. Während ich mich noch fragte, wie ich angemessen darauf reagieren sollte, ging er wieder nach vorn und sang nun „Vita spericolata“, Vasco Rossis Hymne auf das furchtlose Leben. Die Lkw-Fahrer stießen spitze Schreie der Begeisterung aus. Der Richter verneigte sich nach rechts und links und kehrte wieder an den Tisch zurück.

Kann man sich das alles damit erklären, dass sich 90 Prozent der Italiener ausschließlich über das von B. kontrollierte Fernsehen informieren?, fragte ich. Ein Fernsehen, in dem die Zuschauer mit B.s-Propagandanachrichten, Fernsehballetten und Sendungen über Morde in der Familie (Mutter erschlägt Kind mit dem Bügeleisen/Geliebter zerhackt Geliebte/Cousine erdrosselt Cousine) verdummt werden. Oder mit Talkshows, in denen B. oder seine Höflinge darauf warten, dass der Talkmaster ihnen Stichwörter liefert, zu B.s unentwegt steigenden Popularitätswerten, dem Segen von B.s Immunitäts- und Abhörgesetz sowie dem Fluch der von B. beschimpften Staatsanwälte?

Der Richter antwortete: Früher war ich ein Hengst.

Tja, sagte ich. Und versuchte, das Gespräch auf die Rolle der Opposition in den Jahren von B.s Herrschaft zu lenken. Eine Rolle, die ausgesprochen beschämend war, zum Beispiel im letzten Sommer, als B.s Pol der Freiheit nach Gianfranco Finis Parteiausschluss implodiert war. Ohne Finis Anhänger hat B. keine Mehrheit mehr im Parlament. Aber anstatt Neuwahlen zu fordern, war die Opposition in Schreckstarre verfallen. Fast sämtliche Oppositionspolitiker haben sich in den 16 Berlusconi-Jahren an ihm verschlissen – nicht in Auflehnung ihm gegenüber, sondern in Annäherung: Massimo D’Alema hat mit B. in schönster Eintracht Antimafia-Gesetze abgeschafft und B. als „ernsthaften Reformator“ gerühmt. Der glücklose Oppositionskandidat Walter Veltroni kündigte gar gemeinsame Reformen mit B. an, genau wie der jetzige Oppositionsführer Bersani, der noch vor kurzem einen konstruktiven Dialog mit B. wollte. Anstatt einfach zu sagen, dass der Mann verrückt ist.

Oder ist es etwa nicht Wahnsinn, wenn B. auf die Idee kommt, von einem mafiosen Komplott zu schwafeln, das sich hinter den Escortskandalen verbirgt. Halb Italien hält sich den Bauch vor Lachen: Statt abgehackter Pferdeköpfe legt die Mafia jetzt Mädchen ins Bett?

Letztes Jahr wurde ich an der Prostata operiert, sagte der Richter. Aber die Erektionsfähigkeit ist noch da. Es funktioniert per Injektion. Genau wie bei Berlusconi.

Ah, sagte ich.

Die Autorin lebt als Publizistin und Journalistin in Venedig. Zuletzt erschien ihr politisches Reisebuch „Von Kamen nach Corleone. Die Mafia in Deutschland“ (Hoffmann & Campe 2010, 352 S., 20 €)

Petra Reski

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