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Film: Soweit eigentlich alles okay

Ferien in Chile:  Alicia Scherson heftet sich in ihrem charmanten zweiten Film „Turistas“ an die Fersen einer Hauptstadtneurotikerin.

„Analysier’ mich nicht!“ Nichts hasst Carla mehr, als dass Leute mit einem gewissen Vertrautheitsstatus plötzlich loslegen und ihr sagen, wer sie ist. Oder auch nur, wie sie sie finden. Wo sie sich doch selber noch nicht gefunden hat.

Wie schön, dass Carla an dieser Stelle mal nicht scharf dazwischenreden kann. Also: Sie ist 37 und verheiratet. Chilenische Mittelschicht, moderne Metropolenbewohnerin, soweit eigentlich alles okay. Aber ist sie glücklich mit ihrem Mann? Und warum nicht? Und warum reißt sie dann nicht aus? Vielleicht, weil sie auch mit keinem anderen glücklich wäre?

„Turistas“, der charmant beiläufig dahertänzelnde zweite Film von Alicia Scherson („Play“), analysiert seine Heldin und Hauptstadtneurotikerin nicht, er schaut ihr zu. Wobei der Film so grandios anhebt wie Max Frischs Tagebuch-Geschichte „Skizze eines Unglücks“: Carla (Aline Kuppenheim) und ihr Mann Joel (Marcelo Alonso) sind unterwegs mit dem Auto in die Ferien. Tolles Wetter, auf dem Hänger ein lustiges, ein bisschen babyspielzeugmäßig wirkendes Waterbike, eigentlich alles okay. Aber dann.

Dass Carla sich nach einer Pinkelpause allein am Straßenrand wiederfindet, ist nun insofern okay, als dass das gemeinsame Weiterreisen wegen eines fundamentalen Problems ohnehin nicht mehr drin gewesen wäre. Verschiedene Schmerzen, angetane, erlittene, unbegriffene, überlagern sich und lassen am Ende nur eine Art Tapferkeit zu. Und Offenheit für etwas Neues, vielleicht. Das Selbstanalysieren, das besonders verhasste, kann Carla ja auf später verschieben.

Die Auszeit, die sich Carla nimmt, gibt dem Film den dramaturgischen Rahmen, und er erzählt sie auf höchst entspannte Weise, Wichtiges und Unwichtiges durcheinander. Carla landet in paradiesischer Natur, aber dann ist es doch nur ein Campingplatz im Naturpark. Sie lernt einen Parkwächter kennen, aber dann ist – oder war – er eher Schlagersänger. Und dann wäre da noch der blutjunge Ulrik (Diego Noruera) – aber wer ist Ulrik eigentlich, dieser wasserstoffblonde Norweger, der noch nicht so genau weiß, ob er schwul ist oder doch lieber mit Carla … ?

Immerhin: Carla analysiert ihn grob, indem sie sein oberflächlichstes Rätsel aufklärt. Aber zerstört sie damit nicht den Zauber ihrer Nähe? Oder könnte hier gerade deshalb etwas anfangen, und warum tut es das nicht? Okay, das klingt jetzt ziemlich anstrengend. Guckt sich aber verblüffend ermüdungsfrei. Wie man einer anderweitigen Heilung zusieht für eine Weile, einer vorübergehenden, ganz wie im Leben. Jan Schulz-Ojala

In Berlin im Eiszeit-Kino

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